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|Thema in ak 666: Satan & die Hölle

Tief unten

Wie der französische Schriftsteller, Mystiker und Katholik Joris-Karl Huysmans aus Versehen sogar Satanisten inspirierte

Von Frédéric Valin

Dem französischen Katholizismus ging es nicht gut am Ende des 19. Jahrhunderts. Seit der Christianisierung hatte das monarchische Frankreich als erste Tochter Roms gegolten, eine wichtige Stütze vor allem nach den Schismen in England und dem deutschen Reich. Diese Stütze brach mit der Revolution 1789 ein, und obwohl es Hoffnung gab, die Restauration nach der Niederlage Napoleons könnte Frankreich zurückführen in den Schoß der Kirche, setzte sich die laizistische Linke durch. Sie tat das auch mit Hilfe diverser Verschwörungstheorien, einer Erzählform, die im 19. Jahrhundert aufploppte und sich im damaligen Frankreich besonders gegen Jesuiten richtete. Man verdächtigte sie, die republikanische Ordnung untergraben zu wollen, ja, Frankreich dem Untergang anheimzugeben.

Joris-Karl Huysmans sah all dies und nahm es ernst. Er, geboren im Revolutionsjahr 1848, war ursprünglich einmal Naturalist gewesen, Anhänger Émile Zolas. Er hatte großen literarischen Erfolg gehabt mit seinem Roman »À rebours« (»Gegen den Strich«), einem Meilenstein der Bohème-Literatur. Er war ein renommierter, wenn auch nicht unbedingt begabter Schriftsteller, als er sich dem Katholizismus zuwandte; einem sehr düsteren Katholizismus, dem alles Natürliche bedrohlich erschien.

Gottes Schöpfung ist bei Huysmans das Böse, vor allem alles Sexuelle ist eine einzige Gefahr. Erheben kann sich der Mensch aus dem Chaos der Schöpfung nur durch die Kultur; nicht durch die Wissenschaften, die die Natur nur beobachten und bändigen wollen, und deren »Bankrott«, sondern das Romantische, Schwärmerische, Fantastische. Die Mystik, die Ende des 19. Jahrhunderts um sich greift, erfasst auch Huysmans: Auch er nimmt an den Ritualen des Aberglaubens teil. In den großen Salons werden Geister-Séancen abgehalten, Tische werden gerückt, und die Toten werden befragt, man munkelt von schwarzen Messen in Paris.

Geschichte einer spirituellen Suche

Bald schon wendet sich Huymans von diesen Scharlatanerien wieder ab: Sie gehen ihm nicht weit genug. Er erkennt darin die Koketterie, die Modeerscheinungen anhaften. Unter Zeitgenossen, scheint ihm, wird er nicht die Tiefe mystischen Erlebens finden, nach der ihm verlangt; er imaginiert sich ins Mittelalter, das ihm reiner und wahrhaftiger erscheint als die neue, oberflächliche Zeit.

Er schreibt »Là-bas« (»Tief unten«). Seine Hauptfigur, der Schriftsteller und Historiker Durtal, sucht wie Huysmans selbst einen Ausweg aus der enttäuschenden Gegenwart und findet ihn im Glockenturm einer Pariser Kirche, wo er mit dem zynischen Intellektuellen Des Hermies und dem Glöckner Carhaix die Geheimnisse mittelalterlicher Mystik bespricht. Ihn interessiert besonders die Geschichte von Gilles de Rais, in dem er einen rastlos Suchenden sieht, der in seinem Versuch, die Geheimnisse der Welt zu ergründen, maß- und kompromisslos alle Konventionen bricht, schlussendlich verurteilt wird, vorher aber die Vergebung der katholischen Kirche erfährt.

Gilles de Rais ist eine historische Figur, er lebte ungefähr von 1405 bis 1440 in der jetzigen Vendée, südlich der Bretagne. Er ist ein Zeitgenosse Karls VII. Und Jeanne dʼArcs, deren Gegenpart er in gewisser Hinsicht ist. Aus sehr einflussreichem Hause stammend, verfügt er über eines der größten Vermögen des Königreiches. Eines Königreichs, das kurz vor dem Untergang steht: Der Hundertjährige Krieg droht, zugunsten des englischen Königs zu kippen, der schwache und mittellose Karl VII. muss seinen Hof nach Bourges verlegen, die Aussichten sind düster. Da tritt die Jungfrau von Orléans auf den Plan und macht ihm den Weg nach Reims frei, wo er offiziell zum König gekrönt wird – ein Wendepunkt. An ihrer Seite: Gilles de Rais, der selbst einige Siege für die französische Monarchie erfochten hat.

Giles de Raisʼ teuflische Verbrechen

Wie eng das Verhältnis zwischen Gilles de Rais und Jeanne dʼArc tatsächlich war, bleibt Spekulation. Klar ist nur, dass de Rais sich nach ihrer Verhaftung und Hinrichtung zurückzieht auf seine Ländereien. Er hat viel Geld verprasst, und in der Version Huysmans ist das ein Grund, warum er sich zunächst der Alchemie, später der Teufelsanbetung widmet. In seinen Schlössern und Burgen – von denen nur noch wenige stehen – werden alchemistische Hochöfen aufgebaut, die zur Goldgewinnung dienen sollen. Als alle Versuche scheitern, aus minderwertigen Materialien Gold herzustellen, lässt de Rais von seinen Getreuen den Teufel anrufen; er selbst ist aber zu feige, um bei den Ritualen anwesend zu sein.

Was Huysmans übergeht: Bei Gilles de Rais handelte es sich um einen der furchtbarsten Serienmörder aller Zeiten. Es ist unter anderem dem Philosophen Roland Barthes zu verdanken, dass »Là-bas« in seinem Versuch der Glorifizierung de Raisʼ nicht erfolgreich war. Roland Barthes bringt 1959 die versammelten Prozessakten Gilles de Raisʼ heraus, die offenbaren, dass der Baron über Jahre Hunderte Kinder entführen ließ, folterte und tötete. Es ist unklar, wie hoch die Zahl seiner Opfer tatsächlich ist; selbst von den identifizierten Kindern kennt man zumeist die Namen nicht. Sie waren, soweit man weiß, Teil des einfachen Volks, Abkömmlinge von Tagelöhnern und Leibeigenen. Obwohl sehr schnell auffiel, dass, wo immer sich Gilles de Rais aufhielt, Kinder verschwanden, und er ganze Landstriche in Panik versetzte, interessierte sich weder die kirchliche noch die weltliche Justiz für diese Verbrechen. Tatsächlich wurde Gilles de Rais erst belangt, als er einen Kontrahenten aus einer Sonntagsmesse prügelte: Das war der Moment, an dem die Kirche beschloss, ihm den Prozess zu machen.

Die Verbrechen, die Gilles de Rais aus Furcht vor Folter und Hölle gesteht, entsetzen die Richter so sehr, dass sie das Kruzifix im Gerichtssaal verhüllen lassen.

Die Protokolle der Verhandlung lesen sich noch heute äußerst bizarr: Gilles de Rais oszilliert zwischen Verachtung dem Gericht gegenüber, unkontrollierten Wutausbrüchen und totaler Selbstaufgabe, sobald man ihm mit Exkommunikation oder peinlicher Befragung droht. Seine Schilderungen der Verbrechen, die er schließlich nicht aus Reue, sondern aus Furcht vor Folter und Hölle gesteht, entsetzen die Richter so sehr, dass sie das Kruzifix im Gerichtssaal verhüllen lassen. Gilles de Rais wird verurteilt, vor seiner Hinrichtung in Nantes aber von allen Sünden freigesprochen. Auf dem Schafott hält er zur versammelten Menschenmenge eine Rede, in der er dazu aufruft, gut auf die Kinder zu achten, damit sie nicht so werden wie er. Die katholischen Richter gewährten ihm den Wunsch, nach dem Erhängen nicht verbrannt zu werden und ein feierliches Begräbnis zu erhalten, weil er sich während des Prozesses als tiefgläubiger Christ erwiesen hatte. Noch Jahrhunderte später wurde der Fall zitiert, um die Barmherzigkeit der katholischen Kirche zu beweisen.

Für Durtal hat Huysmans keine Vergebung vorgesehen. Er geht eine Affäre mit einer geheimnisvollen Frau ein, die ihn mit zu einer Schwarzen Messe nimmt. Mit Entsetzen beobachtet Durtal dort die Ausschweifungen, die Gotteslästerei und die Hostienschändung; er flieht vom Ort des Geschehens und zieht sich in die Einsamkeit zurück, wohlwissend, dass er nun für immer aus der Gemeinschaft der Gläubigen verstoßen ist. Huysmans selbst zog sich nach Erscheinen des Buches in ein Kloster zurück. Sein Buch, das als Warnung gedacht war, zirkulierte anschließend in satanischen Kreisen, es sollen schwarze Messen nach seiner Schilderung gefeiert worden sein.

Frédéric Valin

ist Autor. In ak schreibt er die Kolumne »Torten & Tabletten«. Zuletzt erschien sein autobiografischer Roman »Ein Haus voller Wände« (Verbrecher-Verlag 2022) über seine Arbeit als Pfleger.