Müßiggang: Über eine Todsünde, die nur zu empfehlen ist
Von Johannes Tesfai
Die Faulheit, ein päpstliches Add-on der Todsünden, hat es im sechsten Jahrhundert in den Kanon der Kirche geschafft, um den Gläubigen ein weiteres Mal ihre lückenhafte Unfehlbarkeit vor Augen zu führen. Christliche Zeitgenossen mögen dem Prinzip der Todsünden etwas abgewinnen können: Es diene ja nur dazu, die Menschen davon abzuhalten, sich selbst ins Unglück zu stürzen und dadurch ein gutes Miteinander zu fördern. Und hat nicht einer der großen Kirchenväter selbst »ora et labora« zur Erlösungsfloskel auserkoren? Arbeiten und beten für das Seelenheil – Faulsein und Nichtstun als diabolischer Akt: Gar nicht so unpraktisch für eine Institution, die nicht nur Glaubensgemeinschaft, sondern im Mittelalter auch ein mächtiger Wirtschaftsbetrieb mit zu bestellenden Feldern und Untertanen war.
Die Motivation in den Diensten der Kirche auf dem Feld die Hacke zu schwingen, dürfte jedenfalls um einiges höher gewesen sein, seitdem die einfachen Leute eine Höllenangst vor den Konsequenzen der Faulheit hatten. Vor allem dann, wenn der Chef der Pastor und der Pastor der Chef ist. Ein Mann mit Standleitung direkt zum heiligen Vater im Himmel, Entscheider über Paradies oder Fegefeuer. Dem Herrn sei Dank, war es irgendwann vorbei mit diesen schrägen Priestervögeln, die Graf und Sprachrohr Gottes in einem sein konnten – der Müßiggang als Todsünde aber blieb. Es ist erstaunlich, aber irgendwo zwischen albernen Gewändern, ordentlich Weihrauch und dem Marketingtrick »Nächstenliebe« scheint es der gegenwärtigen Kirche gelungen zu sein, davon abzulenken, was sie eigentlich ist: eine Angstproduzentin, die erwünschtes Verhalten erzwingt. Eine Methode, wirksamer als jede Bestrafung.
In der neuen Welt der Industrie steckten die Herrschaften renitente Arbeiter*innen in work houses, um ihnen Fleiß, Sittsamkeit und Pünktlichkeit einzuprügeln, kurzum die Faulheit auszutreiben. Wie die Pfaffen so wollte auch das Bürgertum die Leute zur fleißigen Arbeit in ihrem Sinne anhalten. Aufgeweckte Zeitgenoss*innen nannten so etwas Ausbeutung.
Die Firmenpatriarchen, die öffentlich zu mehr Fleiß aufrufen, gibt es zwar immer noch. Die Feinde der Faulheit sind aber noch zahlreicher geworden. Sportliche Abteilungsleitertypen heizen ihren Untergebenen beim Teambuilding ordentlich ein, denn Müßiggang ist da nur noch eine Charakterschwäche. Dass Angst neuerdings ein Thema in der Managementliteratur ist, zeigt, dass sich nicht so viel geändert hat seit jener Zeit, in der der Fleiß über Himmel oder Hölle entschied. Während sich die Kirche auf göttliche Botschaften berief, erfanden die Apologeten der Industrialisierung die unsichtbare Hand des Marktes.
Und während die Herrschaften weiter über frisch gewischte Böden schreiten, wird Fleiß zum Prinzip. Ohne Arbeit müssen sich die Kunden im Jobcenter selbst optimieren, ihr Leben soll ein andauerndes Bewerbungsgespräch sein. Überall lauert der nächste Chef, den man von seinen Qualitäten überzeugen muss. In schrägen Maßnahmen lernen die Arbeitslosen eine rastlose Geschäftigkeit gegenüber ihrem potenziellen Arbeitgeber vorzutäuschen, und am Ende landen wir wieder bei Glaubenssätzen: Arbeit zu bekommen, ist vor allem eine Sache der Einstellung.
Müßiggang erinnert Pastoren, Chefs und Fallmanager*innen immer auch daran, dass sie gar nicht so mächtig sind. Denn Faulheit ist nicht nur entspannend, sondern manchmal auch ein Zeichen der Gegenmacht.