Gutherziger Satanismus
Der Satanic Temple trollt seit Jahren Christ*innen. Nun knöpft er sich das Thema Abtreibung vor
Von Bilke Schnibbe
Gute Kommunist*innen lehnen Religionen ab, heißt es. Aber gilt das auch, wenn Aktivist*innen eine Religion gründen, um die Gesellschaft zu verändern? Die Satanist*innen des Satanic Temple sind sogenannte »social right activists«, Aktivist*innen für soziale Gerechtigkeit – in ihren sieben Grundsätzen verpflichten sich die Mitglieder unter anderem der Wissenschaftlichkeit und dem Recht auf körperliche Selbstbestimmung. Seit seiner Gründung 2013 sorgte der Satanic Temple mit seinen Aktionen mehrmals für Furore, insbesondere unter teufelsgläubigen Christ*innen in den USA.
Die Gründer des Satanic Temple sehen die Trennung von Kirche und Staat zunehmend in Gefahr. Die in der Verfassung festgeschriebene Gleichbehandlung verschiedener Religionen finde de facto nicht statt. Deshalb gründeten die Aktivist*innen mit dem Temple eine Institution, die alle staatlichen Kriterien erfüllt, um als Religion anerkannt zu werden, und gleichzeitig in ihren Werten und Aktionen möglichst abstoßend auf die christlichen Kirchen wirkt. Auf diese Weise instrumentalisieren die Satanist*innen die Religionsfreiheit in den USA, um etwas gegen die Vorherrschaft christlicher Institutionen in Politik und Öffentlichkeit zu unternehmen.
2018 protestierten die Satanist*innen gegen die Errichtung einer Statue der christlichen zehn Gebote auf einem öffentlichen Platz vor einem Regierungsgebäude in Arkansas. Sie forderten, dass ihre Bronzestatue von Baphomet, einem okkulten Dämon mit Ziegenkopf, daneben errichtet wird. Christlicher Gegenprotest ließ nicht lange auf sich warten, der republikanische Senator von Arkansas, Jason Rapert, sagte sinngemäß, dass wohl erst die Hölle zufrieren müsse, bevor die Statue von Baphomet vor dem Regierungsgebäude stehen würde. Ob die Statue nun kommt oder nicht, die Satanist*innen haben ihr Ziel sowieso erreicht: Zu zeigen, dass eben keine Gleichbehandlung der Religionen besteht.
Gleiches Recht für alle
Lucien Greaves, Mitbegründer des Temples, betont, dass der Satanic Temple eine Religion sei, die sich explizit keiner Gottesfigur verschrieben hat. Der Teufel wird deshalb nicht angebetet, sondern ist vielmehr eine Inspiration – Satan sei schließlich der Inbegriff des Widerstandes gegen alles Autoritäre.
2019 wurde der Satanic Temple auch auf Bundesebene als Religion anerkannt, nachdem er zunächst explizit abgelehnt hatte, zum Beispiel Steuervergünstigungen wegen des religiösen Charakters der Vereinigung zu erhalten. Nachdem unter Präsident Trump weitere Gesetzesänderungen zugunsten religiöser Vereinigungen folgten, änderten die Satanist*innen ihre Strategie. Es sei wichtig, dass die Privilegien, die zum Beispiel Kirchen genießen, auch von atheistischen Gruppierungen wie dem Satanic Temple genutzt werden, so Greaves. Durch die so erlangten religiösen Sonderrechte ergibt sich ein neuer politischer Aktionsradius für die Mitglieder.
Den nutzen sie nun beim Thema Abtreibung – ebenfalls mit dem Versuch, eigentlich für christliche Kirchen geschaffene Gesetze und Erlasse zu ihren Gunsten zu nutzen. Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung ist im dritten religiösen Grundsatz des Temples festgeschrieben: »Dein Körper ist unverletzlich und untersteht nur deinem Willen.«
2014 war der christlichen Ladenkette »Hobby Lobby« gerichtlich erlaubt worden, ihren Mitarbeiter*innen Verhütungsmittel vorzuenthalten, obwohl das Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet wäre, diese seinen Angestellten im Rahmen der Krankenversicherung zur Verfügung zu stellen. Es widerspräche dem Glauben der Eigentümer des Unternehmens für Bastelbedarf, Verhütungsmittel zu finanzieren, und deshalb sei eine Ausnahme aufgrund des sogenannten »Religious Freedom Restoration Act« (dt.: Gesetz zur Wiederherstellung der religiösen Freiheit) angemessen, urteilte das Supreme Court, das höchste US-amerikanische Gericht. Staatlichen Institutionen ist es nach dem Religious Freedom Restoration Act nicht gestattet, in das Recht der Einzelnen einzugreifen, ihre Religion auszuüben.
Feministische Satanist*innen
Dieses Urteil versucht der Satanic Temple nun als Basis zu nutzen, um die eigenen religiösen Praktiken zu schützen. Die Mitglieder des Temples erklärten dementsprechend, dass Abtreibungen im satanistischen Glauben kein Mord und Schwangerschaftsabbrüche im ersten Drittel der Schwangerschaft eine religiöse Praxis seien – ein Ritual, das Anhänger*innen des Temples als Ausübung ihrer Religion durchführen. Damit besteht die Chance, dass Mitglieder des Temples in Zukunft in Bundesstaaten, die den Religious Freedom Restoration Act verabschiedet haben, abtreiben können, ohne sich an gesetzliche Regulierungen halten zu müssen. Konkret heißt das, dass schwangere Satanic-Temple-Mitglieder vor einer Abtreibung beispielsweise nicht mehr gezwungen werden können, sich den Herzschlag des Embryos oder Fötus anzuhören, an einer Zwangsberatung teilzunehmen oder zwischen Beratung und Eingriff eine Wartezeit einzuhalten, weil dies explizit ihrem Glauben widersprechen würde. Alle medizinisch und damit wissenschaftlich nicht begründbaren »Extras«, die als Hürde für Abtreibungen in vielen Bundesstaaten existieren, werden so für die Mitglieder des Satanic Temple abgeschafft, weil die Religion eben Wissenschaftlichkeit und körperliche Selbstbestimmung als höchstes Gut ansieht. Der Satanic Temple führt also einen Kampf, der sich die Sonderrechte der antifeministischen US-Kirchen zunutze macht, um feministische Ziele zu verfolgen.
Wie zu erwarten war, wird das Supreme Court entscheiden müssen, ob der Satanic Temple damit durchkommt. Nachdem ein Mitglied der Kirche gezwungen worden war, vor der Abtreibung eine abtreibungskritische Broschüre zu lesen und anschließend drei Tage auf den Eingriff zu warten, reichte der Temple Verfassungsbeschwerde ein. Das Supreme Court entscheidet nun, ob es den Fall hören wird oder abweist. Ein Antrag des Satanic Temple, die kürzlich von Trump eingesetzte christliche und ultrakonservative Verfassungsrichterin Amy Coney Barrett von dem Fall abzuziehen, wurde schon zurückgewiesen. Der Satanic Temple hatte argumentiert, dass Barretts Neutralität aufgrund vorheriger Aussagen zum Thema Abtreibung angezweifelt werden müsse.
Egal, wie dieser Fall ausgeht, die Satanist*innen werden ihren Punkt machen: Ist die Verfassungsbeschwerde erfolgreich, erhalten Mitglieder der Religion die Möglichkeit, die Hürden, die es in Bezug auf Abtreibungen gibt, zu umgehen. Scheitert die Beschwerde, können die Aktivist*innen einmal mehr ihren Finger darauf legen, dass der US-amerikanische Staat eben nicht religiös neutral ist.