Car Wars
Wer den Klimawandel aufhalten will, muss die Macht der Autoindustrie brechen – das geht nur mit denen, die dort arbeiten
Von Jan Ole Arps und Lene Kempe
Am 28. Oktober war es endlich so weit: »Wir sind bereit«, verkündete der Verband der Automobilindustrie (VDA) auf seiner Website. »Die deutsche Automobilindustrie nimmt die Herausforderung des Klimaschutzes an.« Cool, denken die Autokonzerne endlich um? Im nächsten Satz wird es konkreter: »Unser Ziel ist klimaneutrale Mobilität bis spätestens 2050.« Ach so, 2050. Das sind ja nur noch 30 Jahre.
So lange wird sich der Klimawandel wohl nicht gedulden. Das wissen auch die Manager*innen der Automobilgiganten, die darauf aber keine Rücksicht nehmen können, weil ihr Job darin besteht, Jahr für Jahr für wachsende Profite zu sorgen. Und das tun sie: Für die deutsche Leitindustrie läuft es nach wie vor gut, trotz Überkapazitäten, Dieselskandal und verschärfter Umweltauflagen. Deutsche Autos sind immer noch gefragt – und werden vom Staat mit Milliarden subventioniert.
Nicht einmal der globale Wirtschaftseinbruch während der Corona-Krise hat daran etwas geändert. Zwar verschärfte er bei den Zulieferbetrieben die Krise, und große Automarken wie Daimler, VW, BMW kündigten die Streichung tausender Stellen an. Aber auch das bedeutet in einer globalisierten Welt nicht notwendig weniger Gewinn für die Konzerne. Die Verlagerung in Länder mit niedrigeren Arbeitskosten ist längst Realität. Die Bedeutung Chinas beispielsweise nicht nur als Absatzmarkt, sondern auch als Produktionsstandort, ist in den letzten Jahren immer weiter gewachsen. Konzerne wie Daimler planen neue Standorte in Polen und Rumänien, wo die Löhne niedriger sind. Stellenabbau ist also weniger ein Problem für die Konzerne als für die Arbeiter*innen der Branche.
Natürlich will die Industrie auch unter grüner Flagge nicht weniger, sondern mehr Autos verkaufen.
Zudem vermelden die Unternehmen nach einem deutlichen Einbruch der Verkäufe im zweiten Quartal schon wieder positive Zahlen. Allein im September wurden weit mehr als 265.000 Pkw in Deutschland neu zugelassen; das ist im Vergleich zum Vorjahresmonat ein Plus von 8,4 Prozent. Die Produktionsstopps durch die Corona-Krise und die üppigen staatlichen Zuschüsse via Kurzarbeitergeld und Fördermitteln haben den Autounternehmen eine willkommene Atempause verschafft. Inzwischen geht es weiter wie gehabt.
Ein Viertel der Neuzulassungen immerhin entfiel auf Fahrzeuge mit Hybrid- oder Elektroantrieb. Und genau so soll es weitergehen: Denn selbstredend will die Industrie auch unter grüner Flagge nicht weniger, sondern mehr Autos verkaufen. Bis Ende 2023 sollen die Kund*innen zwischen mehr als 150 verschiedenen E-Modellen wählen können. Mehr Autos bedeuten aber auch mehr Straßen, mehr Verkehrsunfälle, mehr Staus und weniger Anreize, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen. Das Auto, egal ob Diesel, Elektrofahrzeug oder Hybridmodell, ist kein Mittel des Klimaschutzes, es ist im besten Fall ein schlechter Kompromiss.
Was also tun?
Autoverkehr und Autoproduktion gehören zu den größten Klimakillern hierzulande, allein der Verkehr ist in Deutschland für fast 20 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Aber weil die Autoindustrie zentraler Machtfaktor im deutschen Wirtschaftsmodell ist, blockiert sie jede Umbauinitiative. Das heißt: Klimaschutz kann nur gegen die mächtigen Interessen der Autoindustrie und ihres politische Arms, der Bundesregierung, durchgesetzt werden.
Die Klimabewegung hat sich lange eher mit anderen Sektoren beschäftigt, vor allem mit der Kohle, deren Fördergruben symbolträchtig blockiert wurden. In der breiteren Klimadebatte stand insbesondere der Flugverkehr am Pranger, der besonders skandalträchtige Emissionswerte pro Nutzung verzeichnet, aber für den allgemeinen CO2-Ausstoß nur eine Nebenrolle spielt.
Doch seit etwa einem Jahr ändert sich etwas in der Klimabewegung: Letzten Herbst versuchten Aktivist*innen erstmals, die IAA zu stören, und in der Linkspartei entstehen neue Debatten über einen Green New Deal und den dafür nötigen Umbau der Autoindustrie. Aber auch die Gegenreaktionen im Autoparadies Deutschland sprechen für sich: Unter dem Label Fridays für Hubraum schalteten sich vergangenes Jahr deutsche Autofans mit Hasstiraden gegen Greta Thunberg in die Debatte ein, und die AfD plakatierte ihre Liebe zum Diesel flächendeckend auf Wahlplakate.
So viel ist klar: Wer den Klimawandel aufhalten will, kommt an der Konfrontation mit der Autoindustrie nicht vorbei. Aber wie soll sie organisiert werden? Einige in der linken Klimabewegung fordern das Verbot von Autos im Privatbesitz, den Umstieg aufs Fahrrad und den massiven Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Die Linkspartei tüftelt an Strategiepapieren zur klimafreundlichen »Konversion« der Branche – mit oder ohne Elektroauto –, von denen allerdings noch niemand weiß, wer sie durchsetzen soll.
Die IG Metall wird es eher nicht sein. Sie hat sich trotz programmatischer Bekenntnisse zum Schutz des Klimas und der Umwelt zuletzt mit der Forderung nach Autokaufprämien positioniert, ein klassischer Vorschlag im Geist des Co-Managements in der Hoffnung, durch mehr Verkäufe den geplanten Stellenabbau zumindest bei den Kernbelegschaften etwas abbremsen zu können. Auch die Debatten um Konversion, also den klimagerechten Umbau schädlicher Industrien, die es in den 1980ern und 1990ern ansatzweise gab, werden gerade erst wieder entstaubt und zur Wiederentdeckung vorbereitet.
Und die Arbeiter*innen?
Und die Arbeiter*innen in den Autofabriken? Die kämpferischen, teils wilden Streiks, die immer noch die linke Nostalgie beflügeln, liegen inzwischen 40 bis 50 Jahre zurück. Motor des Klassenkampfes ist die hiesige Autoindustrie schon lange nicht mehr.
Das ist auch fürs Klima problematisch, denn eine Klimabewegung ohne Arbeiter*innen, die mit Streiks die Produktion lahmlegen können, wird die mächtigen Autokonzerne und ihren Schutzengel, die Bundesregierung, kaum zu Veränderungen zwingen können. Diese Einsicht ist zentral: Das Argument, für mühsame Überzeugungsarbeit bleibe keine Zeit, mag intuitiv einleuchten, aber es zieht nicht. Ohne die Autoarbeiter*innen können Klimaschutzforderungen noch so radikal sein – gegen derart mächtige Interessen werden sie verlieren. Höchste Zeit also, dass Klimaschützer*innen anfangen, sich für die Arbeit und die Arbeiter*innen in der Industrie zu interessieren, für deren Abschaffung sie kämpfen.
Ohne Autoarbeiter*innen können Klimaschutzforderungen noch so radikal sein – gegen die mächtigen Interessen der Industrie werden sie verlieren.
Hier tun sich zunächst ein paar Schwierigkeiten auf: Arbeiter*innen in der Autoindustrie, zumindest die fest angestellten Kernbelegschaften, sind verglichen mit anderen Branchen gut bezahlt, die Identifikation mit dem Produkt ist vielerorts hoch. Die Umstellung auf Elektroantriebe, deren Produktion deutlich weniger Personal erfordert, bedroht diese Standards, in vielen Unternehmen drohen Entlassungen im vierstelligen oder sogar fünfstelligen Bereich.
Auch wenn Arbeiter*innen sich um den Klimawandel sorgen – die akute Angst um den eigenen Arbeitsplatz, um materielle Einbußen wiegt schwer. Allerdings ist das Bild vom privilegierten Autoarbeiter, der nur an seine Rente denkt und zur Arbeit im Mercedes fährt, schief: Denn ein wachsender Anteil der Beschäftigten in der Autoproduktion – nach aktuellen Schätzungen fast 40 Prozent – arbeitet als Leiharbeiter*innen oder auf Werkvertragsbasis als Beschäftigte bei Subunternehmen zu deutlich schlechteren Bedingungen.
Trotzdem: Auch ihr Arbeitsplatz ist nicht zuletzt vom kapitalistischen Erfolg der Unternehmen abhängig, also vom Verkauf einer möglichst großen Menge Autos. Dieser Widerspruch ist nicht einfach auflösbar. Aber für die Klimabewegung kommt es darauf an, die Debatte wegzulenken von Schuldzuweisungen an die vermeintlich »privilegierten« Beschäftigten der Branche hin zu den strukturellen Verursacher*innen der Klimakatastrophe: den Unternehmen und dem kapitalistischen Profit- und Wachstumszwang, der einer Produktion für gesellschaftlich sinnvolle Zwecke entgegensteht.
Dieses Problem wird man nur in den Griff bekommen, wenn man Arbeiter*innen nicht nur in ihrer reduzierten Rolle als Lohnabhängige ihres Unternehmens adressiert, in der sie sich nur im engen Rahmen dieses Lohnabhängigkeitsverhältnisses bewegen können (und damit in Abhängigkeit von »ihrem« Unternehmen oder »ihrer« Industrie), sondern als Menschen mit gesellschaftlichen Interessen, etwa dem nach einem guten Leben für sich und ihre Kinder. Und als Expert*innen dafür, wie eine nicht-kapitalistische und klimafreundliche Produktion in einem hochtechnologisierten Industriezweig aussehen könnte.