Eine Männer-Antifa ist ein Problem
Im Kampf gegen Nazis drängen männliche Antifas gern an die vorderste Front – diese Gewaltbereitschaft zahlt sich aus, für das ganze Geschlecht
Von Jeja Klein
Seit ihrer Gründung ist die Antifaschistische Aktion ein männlich dominiertes Aktionsfeld. Egal, was einzelne Antifaschisten individuell antreibt – eine männerdominierte Antifa hält die patriarchale Vorherrschaft in linken Kreisen aufrecht. Feminist*innen und Antifaschist*innen müssen sich darum in die Antifa einmischen. Doch das ist nicht nur ein Angriff auf die linke Männermacht. Die etablierte Form ritualisierter Abreibungen zwischen Linksradikalen, im Wesentlichen Männern, und Neonazis stärkt kriegerisch-autoritäre Identitätskonzepte, die den Männlichkeitsidealen von Faschist*innen ziemlich nahe kommen. Die Politik der militanten Antifabewegung würde erst richtig effektiv, wenn sie die männerzentrierte Krieger- und Ehrenlogik verlässt. Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass es nicht aufs Maul geben darf.
Ob Faschist*innen Zulauf haben, entscheidet sich in unendlich vielen Bereichen: Sozialpolitik, Kulturpolitik, wirtschaftliche Ungleichheit und vieles mehr. Die Politik der Antifa läuft jedoch meist nur auf verschiedene Formen der direkten Konfrontation mit Faschist*innen (Outing, Gegendemo, Schlägerei …) hinaus. Der Nationalsozialismus ist mit streng organisierter, militärischer Gewalt niedergeschlagen worden. Dass er sich davon langfristig nie erholen konnte, liegt aber an vielen, eher als »weich« geltenden politischen Entwicklungen wie der Frauenemanzipation, der sexuellen Aufklärung, der Tatsache, dass Fantasien von ethnischer Reinheit und rassischer Kollektivität in einer globalisierten Welt die materielle Grundlage entzogen worden ist, und einigem mehr. Möchte man es mit dem Faschismus aufnehmen, muss man also dieses komplexe Ineinandergreifen berücksichtigen.
Historische Kontinuitäten
Nicht zufällig folgte in den USA auf den Zweiten Weltkrieg eine konservative Restauration der Verhältnisse. Auch in Deutschland wurde mit dem Ende des NS-Regimes nicht an die Liberalisierungstendenzen der Weimarer Republik angeknüpft. Stattdessen ist die Symbolfigur dieser Zeit die Hausfrau. In der Sowjetunion wurde die breite Beteiligung von Rotarmistinnen am Krieg gegen den Nationalsozialismus sogar gezielt verschwiegen und aus der Erinnerung getilgt.
Das sind keine Zufälle: Kriegerische Auseinandersetzungen führten in der Geschichte generell zu einer kulturellen Überhöhung von Männern und zum Ausbau ihrer Macht. Auf allen Seiten werden sie als Verteidiger von Nation und Staat gefeiert. Das Opfer, das Einzelne als Soldaten erbracht haben, zahlt sich für sie als Geschlecht aus. Man könnte sagen, Männer haben ein objektives Interesse am Krieg. Dieses Interesse realisiert sich erst auf kollektiver und historischer Ebene – egal, mit welcher Intention ein einzelner Mann für welche Seite in den Krieg zieht.
Männer sind deutlich in der Mehrheit und prägen mit ihrer Weltsicht Recherchearbeit, Demonstrationen oder das Geschehen in aktionsorientierten Kleingruppen.
In wesentlich kleinerem Maßstab gelten solche Mechanismen auch für die neuere Geschichte der Antifa in der Bundesrepublik. Neonazistische Strategien liefen immer auf die Ausweitung gewaltsamer Übergriffe hinaus. Es sind vorwiegend Männer, die als rechte Gewalttäter agieren. Zwar traten Antifaschist*innen ihnen schon immer in einem anderen Geschlechterverhältnis gegenüber. Doch dort, wo es hart auf hart kam, waren stets überwiegend Männer involviert.
Das spiegelt sich auch in den organisierten Antifa-Strukturen wider: Männer sind deutlich in der Mehrheit und prägen mit ihrer Weltsicht Recherchearbeit, Demonstrationen oder das Geschehen in aktionsorientierten Kleingruppen. Kultur und Sprache der antifaschistischen Bewegung drehen sich um das Ziel, den Gegner handlungsunfähig zu machen – nicht darum, eine Gesellschaft gegen faschistisches Denken zu immunisieren. Das liegt in der Sache. In ak 658 haben Bilke Schnibbe und ich gezeigt, wie sich in diesem von Gewalt durchzogenen Politikfeld auch eine Alltagskultur und Symbole der Abwertung von Faschist*innen etabliert haben, die gleichzeitig auch der Aufwertung kriegerisch orientierter, linker, weißer, heterosexueller Männlichkeiten dienen.
Da sich die organisierte Antifaarbeit oft im Graufeld der Legalität abspielt, ist sie auf Klandestinität, Informationshierarchien und strikte Zugehörigkeiten angewiesen. Durch solche Aktivitäten entstehen unter den Aktivist*innen Vertrauen, freundschaftliche Bindung und ein Habitus, aus dem sich auch nach der aktiven Antifazeit noch kulturelles Kapital schlagen lässt. Um in die Fähigkeiten und Erfahrungswerte anderer Antifaschist*innen eingeweiht zu werden, bedarf es jedoch einer gewissen Vertrauenswürdigkeit, die zunächst mittels Expertise demonstriert werden muss.
Expertise ist aber geschlechtlich kodiert: Jungs lernen von früh auf, dass sie Anerkennung für Expertenwissen bekommen. Bei Mädchen steht Expertise oder großes Sachinteresse für unweibliche Schrulligkeit. Es ist nicht ganz so leicht, sich aus dieser Sozialisation herauszuarbeiten. Worauf die Antifa außerdem angewiesen ist, sind große, kräftige Mitstreiter*innen. Je größer die akute Bedrohung durch Nazis, desto weniger schaffen es FLINT also, ein Ticket für die nächste Aktion oder das nächste Plenum zu ergattern.
Innerlinke Avantgarde
Die effektivsten Antifagruppen agieren in ihren jeweiligen Szenekreisen oft als innerlinke Avantgarde. Informationen werden oft an die organisierten Antifas weitergereicht, weil ihnen das entsprechende Vertrauen entgegengebracht wird, damit etwas Sinnvolles anzustellen. Umgekehrt verleiht die Zugehörigkeit zu einer der örtlichen Antifagruppen den Worten einer Person Gewicht.
Weil gesellschaftstheoretisches Wissen unmittelbar auf das eigene Praxisfeld anwendbar ist, erschließen sich junge, organisierte Antifas über eine Faschismusanalyse oft schneller eine umfassende Gesellschaftskritik: Wie hängen etwa Kapitalismus und Faschismus zusammen? Die in der Szene betriebenen Kampfsportgruppen führen ebenfalls dazu, dass mit gesteigertem Selbstbewusstsein auftreten kann, wer es geschafft hat, in den Kreis der lokalen Antifastrukturen aufgenommen zu werden.
Maskulines, dominantes Gehabe gilt in Antifakreisen oft als schiere Notwendigkeit im Angesicht eines gewaltaffinen politischen Gegners. Es wird darum nicht als Kennzeichen einer patriarchalen Persönlichkeit gedeutet und kann daher in Antifacliquen und -gruppen permanent reproduziert werden, ohne auf größere Kritik zu stoßen. »Wenigstens ist er auf der richtigen Seite«, ist ein häufig gehörter Ausspruch über solche Genossen. Derselbe Satz mit Sie-Pronomen würde keinen Sinn ergeben: Frauen müssen auf Herz und Nieren geprüfte 100-Prozent-Antifaschistinnen sein, die organisatorische Aufgaben übernehmen, damit man sie als wertvolle Mitstreiterinnen anerkennt.
Dass linke Männer der notwendigen feministischen Kritik an Szenestrukturen so ausdauernden Widerstand entgegenbringen, liegt auch daran, dass viele linke Räume de facto als Schutzräume für Männer funktionieren. Die autonomen Zentren in der Provinz beherbergen jedenfalls einen Gutteil Männer, deren Ex-Partnerinnen nur noch schwer Anschluss an linksradikale Strukturen finden, während sie selber aufgrund drohender Nazigefahr als unentbehrlich gelten. Das heißt umgekehrt auch, dass die Nazigefahr und die regelmäßigen Hauereien zwischen Nazis und Linken unentbehrlich für bestimmte linke Männer sind. Sie können sich gegen Kritik abschotten und Veränderung ausbremsen, indem sie auf die körperliche Gefahr, auf die Männer der radikalen Rechten verweisen.
Männerbund gegen Männerbund
Der Faschismus wiederum lebt vom heroischen Bild des Kampfes Mann gegen Mann, Männerbund gegen Männerbund. Er macht dem Einzelnen das Identitätsangebot, als Krieger ein echter Mann und Nachfahr germanischer Urahnen zu sein. Ob linke Männer wollen oder nicht: In der aktuell dominanten Form militanter Antifagruppen helfen auch sie, eine kriegerische Männlichkeit auszubilden, wie sie auch die Rechte hochhält: eins gegen eins, Mann gegen Mann. Das geht auf Kosten von FLINT*-Personen, stärkt die Männerdominanz in der Antifaszene und lässt ein zentrales Element rechter Identitätsbildung völlig unangetastet – oder verschafft solchen Männlichkeitsidealen sogar Einfluss in der Linken. Mit Blick auf das Patriarchat als Menschheitszeitalter lässt sich feststellen: Diese Art Kriegführen festigt männliche Vorherrschaft.
Es ist im Interesse von FLINT*-Personen, Antifa-Gruppen ohne Cis-Männer zu gründen und sich in bestehende Strukturen einzumischen.
Es ist im Interesse von FLINT*-Personen, Antifagruppen ohne Cis-Männer zu gründen und sich in bestehende Strukturen einzumischen. Da Antifagruppen als Durchlauferhitzer zur Rekrutierung tragender Persönlichkeiten in der linken Szene fungieren, würden mehr junge FLINT*-Personen von den Erfahrungen und der Weitergabe von Fähigkeiten profitieren. Machen sich solche Gruppen einen Namen, steigen ihre Mitglieder in den Informationshierarchien auf und vereinen entsprechend auch mehr Einfluss auf sich. Männerzentrierte Antifagruppen könnten immer weniger als Schutzräume für Männer dienen, die sich feministischer Kritik an sich entziehen. Vielmehr könnten etablierte, selbstverständlich radikalfeministische Antifagruppen politisch selbstbewusst auftreten, die Zusammenarbeit mit den antifeministisch agierenden Gruppen verweigern und deren Ausgrenzung aus der Antifaszene betreiben. Antifagruppen dürfen nicht als identitätspolitischer Schutzraum für antifeministische, grenzverletzende, sexistische oder transfeindliche Männer betrieben werden.
FLINT*-Personen sollten sich auch kollektiv in antifaschistischen Sportgruppen zur Selbstverteidigung einbringen. Weniger von der Gewaltdrohung durch Faschist*innen im eigenen Bewegungsradius eingeschränkt und weniger auf den Schutz durch linke Männer angewiesen zu sein, hilft dabei, eigenständig politisch tätig zu sein. Es würde auch dazu ermächtigen, sich sinnvoll in körperliche Auseinandersetzungen mit Nazis einzubringen – und der Mentalität ehrenvoller Schlägereien und Rumgemackere, der viele linke Männer anhängen, einen Riegel vorzuschieben. Eine reflektierte Militanz, die entweder maximal defensiv oder maximal offensiv vorgeht und sich nicht im Männlichkeitstheater zwischen diesen Polen verfängt, wäre überdies viel effektiver. Sie würde sich nicht so gut in die existierenden rechten Narrative ehrenvoller Kämpfe einfügen, die von vielen Antifas bis heute nicht begriffen worden sind.
In Deutschland zielen faschistische, putschistische Strukturen in und außerhalb von Polizei und Bundeswehr darauf ab, eine Rückkehr der politischen Straßengewalt zu entfachen. Wollen sich FLINT*-Personen dann nicht von Cis-Männern zurück auf ihren Platz verweisen lassen, müssen sie vorsorgen.