Ist die Corona-Pandemie eine Chance für die Klimabewegung?
Das Virus zwingt den Flugverkehr, aber auch Klimaproteste im öffentlichen Raum in die Knie
Von ausgeCO₂hlt
Geschlossene Flughäfen, kaum Verkehr auf der Straße, sinkende CO₂-Emissionen weltweit. Man könnte meinen, die Klimabewegung kürt das Corona-Virus zu ihrem neuen Maskottchen. Über die kurzfristigen Reduktionen kann sich aber nur freuen, wer die »Gerechtigkeit« in Klimagerechtigkeit vergisst. (1) Wenn Menschen Existenzängste haben und im schlimmsten Fall nicht wissen, wie sie Essen und Miete bezahlen sollen und dies die Menschen im Globalen Süden härter trifft als uns im Norden, dann ist das nichts, worüber sich die Klimagerechtigkeitsbewegung freuen kann.
Gleichzeitig sollten wir die Krise auch als Möglichkeitsfenster für einen Systemwandel betrachten. In den nächsten Monaten wird sich radikal verändern, wie Wirtschaft, Staaten und Gesellschaft zusammenwirken. In welche Richtung es dabei geht, hängt auch von den sozialen Bewegungen und der Klimagerechtigkeitsbewegung als Teil dieser ab. Im schlimmsten Fall ist die kommende Wirtschaftskrise die letzte Möglichkeit, eine klimagerechte Welt aufzubauen und den globalen Temperaturanstieg zu begrenzen. Die Investitionen, die Staaten jetzt tätigen, müssen dazu genutzt werden, Wirtschaft und Gesellschaft global gerechter und klimafreundlicher umzubauen.
Die Verknüpfung verschiedener Kämpfe ist eine Grundvoraussetzung, damit wir die Krise als Möglichkeit nutzen können, eine gerechtere Wirtschaft und Gesellschaft aufzubauen. Während der Gerechtigkeitsbegriff in den letzten Jahren in Teilen der Klimabewegung ein nettes Add-on war, ist aktuell zu sehen, dass er sich in aktivistisches Handeln übersetzt und neue Brücken geschlagen werden. Dass Stay Grounded, ein weltweites Netzwerk von Antifluginitiativen, die Unterstützung der Beschäftigten in der Flugindustrie fordert, aber die Rettung von Airlines und Flughäfen ablehnt, schließt an eine Tradition solidarischer Kämpfe an. Dass Teile von Fridays For Future (FFF) eine ordentliche Bezahlung im Gesundheitswesen und Ende Gelände die Aufnahme von Geflüchteten aus Lesbos fordern, hebt die intersektionelle Solidarität auf ein neues Level.
Bewegungen zusammendenken
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie zeigen wie unter einem Brennglas die alltägliche Krise des herrschenden Systems. Das Gesundheitswesen ist schon lange am Boden, und die Lage auf Lesbos war schon immer katastrophal. In den kommenden Monaten müssen deshalb die antikapitalistischen Teile der Klimabewegung herausarbeiten, wie die Corona-Krise, der Kapitalismus, Patriachat, Rassismus und andere Unterdrückungsmechanismen zusammenhängen.
Dabei ist die Klimabewegung auf Rückendeckung anderer Bewegungen angewiesen. Kein Aspekt darf gegen den anderen ausgespielt werden. Wenn sich Beschäftigte in einem Krankenhaus in Bari, Italien, am digitalen Streik von FFF mit der Botschaft beteiligen, dass die Corona-Krise nicht die einzige Krise ist, dann ist das natürlich ein besonderer Lichtblick.
Die in den letzten Jahren und Monaten schon gewachsene Zusammenarbeit von verschiedenen sozialen Bewegungen und eine grundsätzlich höhere Politisierung und Organisierung gerade im Bereich Klima sind ein Hoffnungsschimmer gegenüber der letzten Wirtschafts- und Finanzkrise. Die offensichtlichsten Zeichen für diese positive Entwicklung waren sicherlich die 250.000 Menschen, die im Oktober 2018 in Berlin bei der Unteilbar-Demo auf die Straße gingen, oder die 500.000 Menschen, die im September 2019 dem Aufruf zum Klimastreik folgten. Außerdem haben verschiedene Gruppen und Bewegungen Alternativen zum bestehenden System neu- und weitergedacht. Die Bekämpfung des Klimawandels spielt dabei häufig eine zentrale Rolle, wie zum Beispiel in Deutschland in der Postwachstumsbewegung, in Frankreich in der Alternatiba-Bewegung oder im englischsprachigen Raum bei den Überlegungen rund um einen Green New Deal.
Die große Herausforderung für die Klimabewegung ist jetzt, wie wir unserer Stimme wieder Gehör verschaffen und wie wir die Bewegung zusammen und aktiv halten. Gerade die ungehorsamen Akteurinnen – wie Fridays for Future, Extinction Rebellion, Ende Gelände oder verwandte Gruppen in Europa, wie Code Rood in den Niederlanden oder Limity jsme my in Tschechien – ziehen ihre Kraft daraus, dass Menschen physisch zusammenkommen, gemeinsam aktiv werden und in den letzteren Beispielen sogar direkt fossile Produktion blockieren. Die dabei entstehenden spektakulären Bilder sind es, die die Forderung nach CO₂-Reduktion und Klimagerechtigkeit in die Medien und den öffentlichen politischen Diskurs tragen.
Dies fällt nun erstmal weg. Auch die Klimacamps, die in ganz Europa Keimzellen der Bewegung sind, leben davon, dass Menschen sich nahekommen, zusammen kochen, lernen und feiern. Während die Klimabewegung in Deutschland über gute, zum Teil langjährige Strukturen verfügt, die für eine gewisse Zeit auf digitale, aktivistische Strategien umstellen können, ist dies in anderen europäischen Ländern mit einer jüngeren und schwächeren Bewegung nicht der Fall. Viele Aktionen und Camps, die für das Frühjahr und den Sommer geplant waren, werden gerade abgesagt oder stehen auf der Kippe. Ob und wie stark sich dies auf den Bewegungsaufbau auswirkt, werden wir erst nächstes Jahr sehen können.
Mit dem Globalen Süden solidarisch bleiben
Zurzeit leuchtet das Eindämmen von Menschenansammlungen ein, und auch die Klimabewegung trägt ihren Teil zur Pandemiebekämpfung bei. Die verschiedenen Gruppen der Klimabewegung versuchen deshalb gerade neue virtuelle Aktionsformen zu entwickeln und umzusetzen. Aber auch der öffentliche Raum sollte weiterhin corona-adäquat bespielt werden. ausgeCO₂hlt unterstützte zum Beispiel den Aktionstag der Seebrücke in Bonn.
Es zeichnet sich ab, dass es manchen staatlichen und privatwirtschaftlichen Einrichtungen gelegen kommt, dass Protest derzeit nicht wie gewohnt stattfinden darf. So sind wahrscheinlich Proteste gegen das Kraftwerk Datteln 4 nicht mehr in dem Umfang möglich, um zu verhindern, dass es im Sommer ans Netz gehen wird. Sobald die Wirtschaft wieder hochgefahren wird, aber Protestbeschränkungen bleiben, müssen sich alle sozialen Bewegungen Gedanken darüber machen, ab wann sich das Recht, öffentlich zu protestieren, auch wieder ungehorsam genommen werden muss. Vorgeschaltet braucht es eine öffentliche Diskussion, welchen Wert wir Meinungsäußerung in Form von Massenprotesten geben wollen.
Fakt ist, dass gerade schon Menschen im Globalen Süden aufgrund des Klimawandels sterben. Aus diesem Grund sollten wir uns überlegen, wie wir uns Protest nicht verbieten lassen. Die Frage ist, wie wir in Pandemiezeiten mit den jetzt schon Betroffenen des Klimawandels solidarisch bleiben können. Die Klimabewegung muss jetzt mit ihrer großen Mobilisierungsfähigkeit der letzten Monate als Teil der sozialen Bewegung aktiver sein als je zuvor. Es geht um nichts weniger als die Durchsetzung von Klimagerechtigkeit.
Anmerkung:
1) In diesem Artikel wird zwischen Klimabewegung und Klimagerechtigkeitsbewegung unterschieden. Klimabewegung schließt alle ein, die sich für die Reduktion von Treibhausgasen engagieren. Die Klimagerechtigkeitsbewegung sieht den Grund für den Klimawandel auch in historischen und bestehenden Unterdrückungsmechanismen, besonders der Ungleichheit von Globalem Süden und Norden.