Wie polizeiliches Racial Profiling Rassismus anheizt
Der Hanauer Terroranschlag war nur durch das Framing von Shishabars als gefährliche Orte möglich
Von Bafta Sarbo
Als Racial Profiling werden rassistische Polizeikontrollen bezeichnet, bei denen Menschen anhand von phänotypischen Merkmalen, insbesondere der Hautfarbe, polizeilichen Maßnahmen unterzogen werden. Den Begriff und die Diskussion kennen viele vor allem aus den USA, aber auch in Deutschland und allen anderen europäischen Ländern gibt es das. Allerdings hat Racial Profiling in Deutschland eine andere Grundlage als in den USA. Hier geht es seltener darum, Drogendelikte festzustellen, sondern in der Regel um Migrationskontrolle, also darum illegale Einreisen, unerlaubte Grenzübertritte festzustellen. Eine zentrale Rechtsgrundlage sind dabei die §§ 22 und 23 des Bundespolizeigesetzes (BPolG), die es der Bundespolizei erlauben, nicht nur an Grenzen, sondern insbesondere an Bahnhöfen, Flughäfen und in Zügen Menschen zu kontrollieren. (1)
Die genannten Paragrafen erlauben eigentlich zunächst nur, bei einem ersten Verdacht diese Menschen zu befragen; erst wenn sich durch die Befragung – wie auch immer – dieser erste Verdacht erhärtet, dürfen weitere Maßnahmen ergriffen werden. Insbesondere kann die Identität festgestellt werden. In der Regel treten die Polizist*innen jedoch direkt an die Betroffenen heran und verlangen den Ausweis. Da die meisten Menschen in dieser Situation verunsichert und sich über ihre Rechte nicht im Klaren sind, händigen sie oftmals ohne weitere Nachfrage oder Gegenwehr ihre Papiere aus.
Racial Profiling ist offiziell natürlich illegal. Es widerspricht dem Grundgesetz und auch völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik, Menschen nicht anhand ihrer äußeren phänotypischen Merkmale einzuordnen und aufgrund eines derartigen Profils zu kontrollieren. Dies aber findet beim Racial Profiling als gängiger Polizeipraxis trotzdem statt, da die Beamt*innen in aller Regel das Äußere als zentralen Anhaltspunkt nehmen, um Menschen einer derartigen Kontrolle zu unterziehen.
Gefährliche Orte
Im Polizeirecht der Länder gibt es weitere Bestimmungen, die die polizeiliche Befugnis zur Identitätsfeststellung und Durchsuchung nicht an einen Verdacht oder eine konkrete Gefahr, sondern an einen »Ort« binden. In einigen Bundesländern ist von »gefährlichen«, in anderen von »gefährdeten« Orten oder von »Gefahrengebieten« die Rede. In Berlin findet sich die Regelung über »kriminalitätsbelastete Orte« in § 21 des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes. An Orten, an denen nach Ansicht der Polizei besonders viele Straftaten geschehen und sich insbesondere Betäubungsmittelkriminalität ereignen soll oder sich viele illegalisierte Menschen aufhalten, darf die Polizei verdachtsunabhängig die Identität von Personen einfach feststellen und deren Sachen durchsuchen, ohne dass sich zuvor durch eine Befragung ein konkreter Verdacht auf eine Straftat ergeben hätte.
Das erhöhte Niveau statistisch registrierter Kriminalität an diesen Orten ergibt eine Selffullfilling Prophecy, denn durch vermehrte Kontrollen werden selbstverständlich auch mehr Straftaten festgestellt, die zur weiteren Stigmatisierung des Ortes als »kriminalitätsbelastet« dienen. So kann die Polizei im Grunde fast jeden Ort als »kriminalitätsbelastet« stigmatisieren, insbesondere da eine derartige Festlegung einer Überprüfung weitgehend entzogen ist.
Bereits bei einer oberflächlichen Betrachtung lässt sich feststellen, dass es sich bei diesen Orten zumeist um sehr migrantisch geprägte Gegenden handelt und dass die hier anfallenden Straftaten oftmals einen gewissen Klassenhintergrund haben. Es sind Orte, an denen die üblichen Straftaten nicht unbedingt Steuerhinterziehung und Subventionsbetrug sind. Eine zentrale Ebene ist dabei, dass Menschen, die illegalisiert sind und denen alle Rechte vorenthalten werden, auch keine Möglichkeit haben, erlaubt und regulär zu arbeiten. Sie sehen sich vielfach dazu gedrängt, durch bestimmte illegale Tätigkeiten, oftmals eben durch den Straßenverkauf von Betäubungsmitteln, ihre Existenz zu sichern. Menschen werden in eine bestimmte soziale Position gedrängt und dann dafür sanktioniert, dass sie sich dort aufhalten.
Stigmatisierung und Ohnmacht
Diese Polizeipraxis ist für die Betroffenen zumeist sehr demütigend, da sie in der Öffentlichkeit stattfindet und gerade dadurch noch einmal rassistische Bilder reproduziert, insbesondere da die Polizei diese Kontrollen auch sehr öffentlichkeitswirksam inszeniert. Bei Passant*innen und Zuschauer*innen hinterlässt dies das Bild des »kriminellen Ausländers«, der ja nicht zu Unrecht von der Polizei kontrolliert würde. Wenig beachtet wird aber, was es mit dem Sicherheitsgefühl der Betroffenen macht, also insbesondere mit ihrem Vertrauen in die Polizei und ihrer Sicherheit, sich an bestimmten Orten aufhalten zu können. In Berlin trauen sich nicht wenige Menschen aufgrund der demütigenden und teilweise traumatisierenden Erfahrungen nicht mehr, Orte wie den Görlitzer Park, den Alexanderplatz oder das Kottbusser Tor aufzusuchen.
Neben der Ohnmacht, die viele Betroffene teilweise auch deshalb verspüren, weil sie ihre eigenen Rechte nicht kennen, ist also besonders problematisch, dass das Bewusstsein darüber, was diese Polizeipraxis für die Betroffenen bedeutet, wenig verbreitet ist. Die Wenigsten setzen sich tatsächlich damit auseinander, was für die Betroffenen diese rassistischen Kontrollen tatsächlich bedeuten. Die gängige Kritik orientiert sich (zum Teil zu Recht) zumeist am Vorgehen der Polizeibehörden und nicht an seinen Folgen für die Betroffenen. Dabei wären viele Menschen gerne solidarisch, empfinden aber in der konkreten Situation oftmals eine Lähmung und wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen.
Sinnvoll ist es, Betroffene in der Situation nach ihren Namen zu fragen und der Polizei explizite Fragen stellen, etwa warum ausgerechnet diese Person kontrolliert wird. So kann auch deutlich gemacht werden, dass die Beamt*innen nicht so einfach mit einer derartigen rassistischen Praxis davonkommen. Auch die Dokumentation solcher Fälle, etwa durch die Kampagne für die Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) ist wichtig. Gruppen wie KOP sind auf die Beobachtungen und Erfahrungen Betroffener wie auch solidarischer Menschen angewiesen.
Struktureller Rassismus
Zentral ist, dass Racial Profiling nicht das Ergebnis individueller rassistischer Einstellungen von Polizist*innen ist, bei denen etwa interkulturelle Schulungen oder eine bessere Repräsentation migrantischer Bevölkerung unter den Beamt*innen Abhilfe schaffen könnten. Solche Maßnahmen mögen im Einzelfall durchaus sinnvoll sein, aber sie lösen nicht das grundsätzliche Problem, dass verdachtsunabhängige Kontrollen notwendigerweise Racial Profiling mit sich bringen (2) und deshalb diese polizeilichen Befugnisse abzuschaffen sind.
Dass das Problem immer wieder bei den individuellen Beamt*innen verortet wird, ist bezeichnend. Zum einen ist anzumerken, dass die Möglichkeit verdachtsunabhängiger Kontrollen bzw. von Kontrollen mit äußerst niedriger Eingriffsschwelle individuelles Fehlverhalten bestärkt, da es den handelnden Beamt*innen erlaubt, ohne Rechtfertigungsdruck zu handeln. Auch mehr migrantische Beamt*innen helfen da nicht weiter, da ausgerechnet diese nicht selten vorgeschickt werden und unter besonderem Druck stehen, das Handeln der Polizei im Ganzen mitzutragen.
Vor allem aber wird durch den Verweis auf interkulturelle Kompetenz etc. vermieden, Rassismus als ein strukturelles Problem zu erkennen. Aus dem Blick gerät insbesondere das umfassendere ökonomische soziale Verhältnis, in dem Menschen grundlegende Rechte vorenthalten werden und sie gezwungen sind, bestimmten Tätigkeiten nachzugehen, um dann aufgrund phänotypischer Merkmale einer engen Kontrolle ausgesetzt zu sein, in der sie massiv kriminalisiert und sanktioniert werden. Der deutschen Öffentlichkeit ist – anders als den Betroffenen – zumeist gar nicht klar, dass auf der ökonomischen Ebene zwischen den Herkunftsländern der Betroffenen und der Bundesrepublik bis heute (neo-)koloniale Verhältnisse bestehen, die die Menschen nicht nur in die Flucht, sondern auch hier noch in wirtschaftliche Verhältnisse zwingt, die sie ins Visier der Polizei rücken.
Wenn in Deutschland aber alles Wissen über strukturellen Rassismus, über die Strukturen organisierter Nazis und ihre Verbindungen in die staatlichen Institutionen nur wenig Beachtung findet und diese Verhältnisse nicht als der Skandal wahrgenommen werden, den sie eigentlich darstellen, dann liegt das auch daran, dass es sich hier um einen gesellschaftlichen Normalzustand handelt.
Wenn in Deutschland überhaupt über Rassismus und rassistische Gewalt gesprochen wird, dann ist zumeist die Rede von Nazis und Rechten. Dabei ist die Gewalt, die Nazis und offene Rassisten anwenden, oftmals die Spiegelung jener Gewalt, die auch der Staat gegen Menschen anwendet. Und die Akzeptanz dieser Gewalt hat zugenommen: Während noch vor einigen Jahren das Racial Profiling bis weit in eine bürgerliche Öffentlichkeit als ein riesiges Problem gesehen wurde, wurden an Silvester 2016 in Köln hunderte Menschen einzig aufgrund ihrer vermeintlichen Herkunft stundenlang in der Kälte festgehalten und Kontrollen unterzogen. Doch statt Empörung und Kritik zu äußern, hieß es selbst bei SPD und Grünen, dass das notwendig sei und die Polizei gar nicht anders arbeiten könne. (3)
Auch der Terroranschlag Hanau lässt sich nicht denken ohne das Framing von Shishabars als gefährliche Orte krimineller Vereinigungen im Kontext der Debatte um »MultiKulti«, Integration und »der Clandebatte«. Die in der Konsequenz massiv zugenommenen unangekündigten Razzien und die Schikane gegen Shishabars und andere migrantische Geschäfte markierten diese als außer Kontrolle geratene Orte, auf die der Staat nur begrenzten Zugriff hat. Bundesweit wurde der zum Großteil migrantisch geprägte Bezirk Berlin-Neukölln vor allem durch die SPD-Bezirksbürgermeister, und diverse Tageszeitungen immer wieder als sozialer Brennpunkt und »Hochburg arabisch geprägter Clankriminalität« bekannt. Dass rechte Terroristen nun auf die Idee kommen, dass dies die Orte sind, an denen sie ansetzen, ist in diesem Kontext nicht weiter überraschend.
Bernd Kasparek und Juliane Karakayali haben die Morde des NSU in ak als »Ausbürgerung durch Mord« bezeichnet. Während es dem Staat bei Migrationskontrolle vor allem um Verwaltung von Arbeitskräften auf dem kapitalistischen Weltmarkt und die Organisation der Einreise nach für ihn nützlichen Kriterien geht, wollen Rechte die Schaffung oder die vermeintliche Wahrung einer ethnisch homogenen Bevölkerung. Das führt zwar zu einer Verengung der Kategorien von dem was »Deutsch« ist bei Rechten, doch die Opfer und die Gewalt bleiben weitestgehend die gleichen.
Anmerkungen:
1) Hendrik Cremer: Racial Profiling – Menschenrechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1a Bundespolizeigesetz. Empfehlungen an den Gesetzgeber, Gerichte und Polizei, Deutsches Institut für Menschenrechte, Berlin 2013.
2) AKJ Berlin: Die gesetzliche Diskriminierungsfalle. Diskriminierende Kontrollen und Aufenthaltsgesetzgebung, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 104, Dezember 2013, S. 12-19.
3) Schon wieder: Kein frohes Neues Jahr! Zur Sylvesternacht in Köln, Kommentar vom 5.1.2017.