Toxische Rhetorik
Das Feindbild »Muslim« wurde jahrelang aufgebaut - auch Nichtmuslim*innen werden Opfer dieses rassistischen Konstrukts
Von Saba-Nur Cheema
Nach dem rassistischen Attentat in Hanau gab es bald Kritik an der deutschen Politik: Bei der Einladung zur zentralen Trauerfeier für die Opfer vergaß diese zunächst, auch die kurdischen Gemeinden einzuladen. Man dachte nur an türkische und islamische Verbände, obwohl nicht nur türkischstämmige Sunniten unter den Opfern waren, sondern auch zwei kurdischstämmige Deutsche.
Die pauschalisierende Sichtweise auf die vermeintlich türkisch-muslimischen Opfer von Hanau zeigt auch, wie in Deutschland generell über »die Muslime« gesprochen wird. Alles dasselbe: Türk*innen, Kurd*innen, Araber*innen oder platt gesagt: »Schwarzköpfe«, »Kanaken«, die »Anderen« halt. Und wenn es in aktuellen Debatten um Migration und Integration nur noch um »die Muslime« geht, ist dies das Resultat einer Wahrnehmungsverschiebung: Aus den Menschen, die zunächst als »Gastarbeiter«, »Ausländer« oder »Migranten« wahrgenommen wurden, sind »Muslime« geworden.
Das Attentat in Hanau hatte viel mit antimuslimischem Rassismus zu tun. Antimuslimischer Rassismus bedeutet, dass Menschen physisch oder verbal angegriffen werden, weil sie vom Täter als Muslim*in identifiziert werden. Dabei sind es fremdbestimmte Merkmale einer Person, die das Muslimsein (vermeintlich) ausdrücken: Haut- oder Haarfarbe, Kleidung oder Name. So funktioniert Rassismus: Menschen werden durch die willkürliche Markierung von Differenz als »anders« und minderwertig klassifiziert.
Dabei wird gegenwärtig weniger biologistisch zwischen »Rassen«, als vielmehr zwischen »höher- oder minderwertigen« Kulturen unterschieden und beide werden für grundsätzlich unvereinbar erklärt. Dieser neuere Kulturrassismus basiert auf der Verabsolutierung und Naturalisierung eines »kulturellen Erbes«. Antimuslimisch-rassistische Argumentationen richten sich in diesem Sinne gegen eine als homogen imaginierte »islamische Kultur und Lebensweise«: »Die Muslime« gelten als das Kollektiv »der« islamischen Kultur, ihnen werden gewisse Wesenseigenschaften zugeschrieben.
Es geht um die Logik des Täters. Wenn ein Kippa tragender Nichtjude in Berlin angegriffen wird, ist das antisemitisch motiviert.
Ob die betroffenen Menschen tatsächlich der islamischen Religion angehören, ist dafür vollkommen irrelevant. So sind auch Sikh-Männer, die ein Dastar (Turban) tragen, jüdisch-orthodoxe Frauen, die ein Tichel (Kopftuch) tragen, christlich-syrische Menschen, die arabisch sprechen oder nichtmuslimische Menschen, die sich an als migrantisch wahrgenommenen Orten aufhalten, und – im Sinne der obigen Logik – gleichzeitig als muslimisch wahrgenommen werden, von antimuslimischem Rassismus betroffen. Auch mit Blick auf die Anschläge von Hanau geht es also nicht darum, ob die Opfer tatsächlich Muslim*innen waren. Es geht um die Logik des Täters. Wenn ein Kippa tragender Nichtjude in Berlin angegriffen wird, ist das antisemitisch motiviert. Wenn ein LGBT-Club angegriffen wird und auch heterosexuelle Menschen ermordet werden, ist dies trans- und homosexuellenfeindlich motiviert.
Antimuslimischer Rassismus hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten immer stärker in den öffentlichen Diskurs eingeschrieben. Ein entscheidender Akteur war der SPD-Politiker Thilo Sarrazin, der antimuslimischen Rassismus erst salonfähig gemacht hat. 2010 schrieb er über die »unveränderliche« und »rückständige« Kultur der Muslim*innen. 2018 befeuerte er in einem neuen Buch Islamisierungsfantasien, indem er eine überdurchschnittliche Geburtenrate bei Muslim*innen als Bedrohung imaginierte und ähnlich wie die ethnopluralistischen Konzeptionen der Neuen Rechten argumentierte.
Schon vor zwei Jahrzehnten stritten sich Politiker*innen aller Parteien über »Parallelgesellschaften« und darüber, ob der Islam zu Deutschland gehört, ob das muslimische Kopftuch im öffentlichen Dienst getragen werden darf oder nicht. Und mindestens ebenso lang werden Moscheen und andere Themen rund um den Islam mehrheitlich negativ in deutschen Medien dargestellt. Anlässe gibt es genug, den Islam als Problem darzustellen: Terror, Zwang und Gewalt »im Namen des Islam«. Jedoch zeichneten sich anstatt einer aufgeklärten Religionskritik viel eher rassistische Muster ab. Ein völkisch definiertes »Wir« scheint dabei von Muslim*innen bedroht, überfremdet und hinters Licht geführt.
Die AfD schließlich präsentiert ihren antimuslimischen Hass in rassistischer Weise. Alice Weidel, die Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion, polemisierte in einer Bundestagsdebatte im Mai 2018 über »Burkas, Kopftuchmädchen, alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse«, die »unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern« würden. Überdies brandmarken AfD-Politiker*innen Shishabars als weitere migrantische Orte und »Kriminalitätsschwerpunkte«.
Derlei toxische Rhetorik wurde über Jahre hinweg weiter zugespitzt – mit allen Konsequenzen für die Betroffenen. Antimuslimischer Rassismus ist eine Realität und für viele Menschen eine alltägliche Erfahrung. Das Attentat in Hanau ist der gewaltvollste Ausdruck dieses Hasses – aber mit Blick auf die rassistische Zerstörungswut des Täters längst kein »Einzelfall«. Eine Woche vor dem Attentat in Hanau wurde die rechtsterroristische Gruppe Teutonico (besser bekannt als Gruppe S.) festgenommen, die zehn Anschläge auf Moscheen in Deutschland plante – inspiriert vom Täter aus Christchurch, der im März 2019 über 50 Menschen in zwei Moscheen tötete.
Antimuslimischen Rassismus als solchen zu verstehen, zu benennen und als Tatmotiv anzuerkennen, ist notwendig für seine Bekämpfung. Aber auch um die Instrumentalisierung dieses Begriffs, etwa durch türkische Nationalist*innen, zu verhindern, die auf den Kundgebungen nach Hanau türkische Nationalflaggen schwangen und islamistische Parolen riefen. Es ist zudem unglaublich, wie viel Energie, auch und gerade in linken Zusammenhängen investiert wird, um die Realität des antimuslimischen Rassismus zu leugnen. Die Forderung, solchen als Religionskritik getarnten Rassismus zu benennen und zu entlarven, ist so banal, dass man sich fast schämt, es immer wieder betonen zu müssen.