»Machen wir das 21. Jahrhundert zum Jahrhundert der Frauenbefreiung«
Die Frauenbewegung muss sich international ins Verhältnis setzen, um eine echte Kampfansage machen zu können
Von Brigitte Kiechle
Die Frauen der kurdischen Freiheitsbewegung fordern die Frauen der Welt auf, endlich Schluss zu machen mit den patriarchalen Herrschaftsverhältnissen und damit mit allen Formen der Frauenunterdrückung. Es ist ein Aufruf, feministische Solidarität neu zu denken und als Aufforderung zum kollektiven Handeln zu verstehen, um die Verhältnisse dort zu verändern, wo wir leben. Es wird gleichzeitig auf die Zielsetzung unserer Kämpfe Bezug genommen: Unser Ziel ist die Befreiung der Frauen und nicht die Gleichheit in der Ungleichheit. Deshalb ist Feminismus ohne Kapitalismuskritik und ohne die Vision eines neuen solidarischen und emanzipatorischen Gesellschaftsvertrages nicht möglich.
In diesem Zusammenhang ist der 8. März ein entscheidender Tag, um die Internationalität und Vielfältigkeit der Kämpfe um Frauenrechte und ein selbstbestimmtes gutes Leben für alle rund um den Globus sichtbar zu machen. Die Herausforderung besteht jedoch darin, keine Ein-Tages-Aktivität zu betreiben, sondern zu einer feministischen Organisierung, Politikbestimmung und Praxis zu kommen, die feministische Kämpfe zu einer wirksamen gesellschaftlichen Kraft werden lassen. Dies bedeutet unter anderem den »Internationalen Frauenkampftag« 365 Tage im Jahr auf die Tagesordnung zu setzen.
Abgründe und Aufbrüche
Die letzten Jahre sind durch zwei gegensätzliche frauenpolitische Entwicklungen gekennzeichnet. Zum einen nimmt die geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen weltweit zu. Frauen sind mit einer neuen Welle von Angriffen auf ihre sexuelle Selbstbestimmung, ihr Recht, selbst zu entscheiden, wie sie leben wollen, und letztlich ihr Recht auf Leben konfrontiert. Verknüpft ist dies mit der besonderen Auswirkung neoliberaler Wirtschaftspolitik auf die Existenzsicherung und der Ausbreitung des Antifeminismus im Zuge der Ausweitung faschistischer und rechtspopulistischer Strömungen und in verschiedenen Ländern sogar deren Machtübernahme. Von Frauen erkämpfte Rechte werden zunehmend in Frage gestellt, konservative und reaktionäre Vorstellungen von der »natürlichen Rolle der Frau« in Familie und Gesellschaft werden wieder entstaubt beziehungsweise gefestigt und tragen dazu bei, das gesellschaftliche Klima insgesamt nach rechts zu verschieben.
Zum anderen ist ein weltweiter Aufschwung der Frauenkämpfe festzustellen. Ausgangspunkt vieler Massenmobilisierungen war und ist der Kampf gegen Gewalt gegen Frauen und gesellschaftsprägende patriarchale Strukturen. Nicht nur in Argentinien, Chile, Spanien oder Kurdistan haben sich Millionen Frauen dem feministischen Widerstand angeschlossen, sie sind auch in vielen Ländern zu den wichtigsten Akteuren für eine emanzipatorische Umwälzung der Gesellschaft geworden. In diesem Zusammenhang ist eine weltweite Frauenstreikbewegung entstanden, die sich nicht nur das Kampfmittel des politischen Streiks neu angeeignet, sondern auch inhaltlich die geforderte feministische Rebellion politisch klar ausgerichtet hat: Unser Feminismus ist antikapitalistisch, antirassistisch und internationalistisch.
Keine Frauenbefreiung ohne Befreiung vom Kapitalismus
Im Rahmen der Frauenstreikdebatte wurden darüber hinaus wichtige strategische Diskussionen über das Verhältnis von Reproduktionsarbeit und Kapitalismus sowie Feminismus und Klassenkampf neu aufgerufen. Dabei wurde auf die Zentralität der sozialen Reproduktion für die Funktionsfähigkeit des Kapitalismus verwiesen. Wenn wir die Notwendigkeit der Reproduktionsarbeit für den Kapitalismus erkennen, dann hat dies auch Auswirkungen auf unser Verständnis des Klassenbegriffs. Es wird dann deutlich, dass nicht nur die Lohnarbeitenden selbst, sondern auch diejenigen in den Klassenbegriff einzubeziehen sind, die notwendige Arbeit in der Reproduktion – oft unbezahlt – leisten, damit die Menschen überhaupt für die Lohnarbeit zur Verfügung stehen. Die Kampfform des Frauenstreiks oder feministischen Streiks bindet somit alle Frauen ein, unabhängig davon, ob sie im Produktionsbereich oder bezahlt oder gratis im Reproduktionsbereich tätig sind.
Die weltweiten Frauenkämpfe haben gezeigt, dass wir etwas in Bewegung bringen können.
Ein weiterer strategischer Punkt betrifft die immer noch in vielen Strukturen verankerte Haupt- und Nebenwiderspruchstheorie. Lohnabhängige Frauen werden zwar aufgefordert, sich dem Klassenkampf anzuschließen, die Befreiung der Frauen wird letztlich aber als Nebenprodukt der sozialistischen Revolution verstanden. Die Frauenstreikbewegung hat in ihren Kämpfen nicht nur theoretisch, sondern auch in der Praxis deutlich gemacht, dass ein Wechselverhältnis zwischen dem Kampf für eine revolutionäre Umwälzung der Gesellschaft und dem Kampf um Frauenbefreiung besteht. Dies wurde gleichzeitig als Anspruch an alle linken Organisationen und die Gewerkschaftsbewegungen adressiert, verbunden mit der Aufforderung, den Kampf gegen das Patriarchat auch zur eigenen Aufgabe zu machen.
Voraussetzung dafür, feministische Gegenmacht voranzubringen, ist nicht nur ein aktionistischer Aufruf zur verstärkten feministischen Intervention, sondern vor allem die Entwicklung eines neuen, revolutionären Selbstbewusstseins von Frauen als kollektive Akteurinnen. Dies bedeutet einerseits, sich das Wissen anzueignen, dass sich ohne die Befreiung der Frauen keine neue Gesellschaft ohne Ausbeutung, Rassismus und Sexismus entwickeln kann. Andererseits betrifft es das Bewusstsein über die eigene Stärke im Sinne des Aufrufs der Frauenstreikbewegung: »Die Welt steht still, wenn wir die Arbeit niederlegen.«
In der BRD stehen wir diesbezüglich am Anfang der Auseinandersetzung. Wir brauchen eine starke kämpferische Frauenbewegung, die, ohne reformistisch im negativen Sinne zu sein, an den Realitäten des Frauenlebens ansetzt. Bewertungsmaßstab des Erfolges unserer Kämpfe kann zum Beispiel nicht der Aufstieg einzelner Frauen in die Chefetagen der Großkonzerne sein, sondern es geht um die Befreiung der Vielen. Viele haben sich jedoch in den vergangenen Jahren mit den strukturellen Gegebenheiten der Frauenunterdrückung abgefunden und nach individuellen Lösungen gesucht. Um diese Situation aufzubrechen, ist es notwendig, die Erfahrung zu machen, dass sich der gemeinsame Einsatz lohnt und auch Erfolge erzielt werden können. Die weltweiten Frauenkämpfe in den letzten Jahren haben gezeigt, dass wir etwas in Bewegung bringen können, wenn wir uns entscheiden, ungehorsam und unangepasst zu sein und nicht mehr mitzuspielen im System von Konsum und Ausbeutung, von Rollenzuschreibung und Unterordnung an Erwartungshaltungen. Wir gewinnen Handlungsfähigkeit, wenn wir unsere zugewiesene Friedfertigkeit ablegen und konsequent und mutig für unsere Interessen eintreten.
Was tun?
Unabhängig davon benötigen wir eine inhaltliche, strategische Debatte und Analyse der aktuellen Lage der Frauen in der BRD. Was bedeutet heute revolutionäre feministische Politik und an welchen Punkten lassen sich die Spaltungen in der in Ansätzen vorhandenen Frauenbewegung überwinden? Auf welche Fragestellungen konzentrieren wir uns, um Kräfte zu bündeln und maximale Durchschlagskraft zu erzielen? Die bestehenden Netzwerke zur Care-Revolution, §218/219a, Frauenstreik und die dortigen Diskussionen ersetzen eine Grundlagendebatte nicht. Dies würde auch eine Auseinandersetzung mit internationalen Strategieansätzen, wie zum Beispiel »Für einen Feminismus der 99%« oder der Frauenbefreiungstheorie der kurdischen Frauenbewegung, einbeziehen.
Aufgrund der strategischen Ratlosigkeit existiert aktuell ein »bunter Strauß« an Forderungen und Aktionsvorschlägen mit zum Teil gegensätzlichen und sich ausschließenden Positionen. Eine links-feministische Strategiedebatte müsste außerdem die verschiedenen Bereiche der Frauenunterdrückung untereinander in Beziehung setzen und diese wiederum mit den Angriffsstrategien unserer Gegner. Oft haben wir uns in Teilbereichen verkämpft und kleine Erfolge errungen. Gleichzeitig ist an anderer Stelle der Generalangriff auf unsere Rechtspositionen erfolgt. Unabhängig davon müsste ein Anspruch an Themenfestlegungen für Kampagnen etc. zumindest sein, folgende Kriterien zu berücksichtigen, die hier am Beispiel Schwangerschaftsabbruch verdeutlicht werden sollen: Das Thema ist in der BRD in der öffentlichen Debatte, es gibt Bewegungs- und Vernetzungsansätze und es ist zentral für das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Gleichzeitig ist das Thema durch Aspekte wie u.a. Frauengesundheit, Bevölkerungspolitik oder Kostenfragen auch für andere Politikfelder anschlussfähig. Die Abtreibungsfrage gehört auch international zu den wichtigsten Themen und Widerstandsgründen der feministischen Bewegungen.
»Machen wir das 21. Jahrhundert zum Jahrhundert der Frauenbefreiung«, ist meines Erachtens ein geeignetes Leitmotiv für den 8. März, da es Aufbruch signalisiert, Handlungserwartungen weckt und gleichzeitig in die Zukunft weist. Und nicht zuletzt fordert es einen internationalistischen Ansatz, der sich nicht damit begnügen kann, Solidaritätsadressen an die feministischen Aktivistinnen in anderen Weltgegenden abzugeben. Stattdessen werden die eigenen Kämpfe in den Zusammenhang der globalen Frauenkämpfe gestellt und aufeinander bezogen. Dies trägt dazu bei, den Feminismus zu einer internationalen Kampfansage zu machen .