Nkolosos Afronaut*innen
Vor 55 Jahren träumte Edward Nkoloso vom ersten Menschen auf dem Mond
Von Paul Dziedzic
Als 1964 bekannt wurde, dass es in Sambia ein Weltraumprogramm gab, kamen die westlichen Journalisten zahlreich. Sie wollten ein Stück abhaben von dieser kuriosen Geschichte, und der Protagonist Edward Makuka Nkoloso lieferte.
Noch vor den USA und der Sowjetunion, die sich seit den 1950er Jahren einen Wettlauf ins All lieferten, sollten sambische Aufronautinnen an ihnen vorbeiziehen und sowohl auf dem Mond als auch auf dem Mars landen. Und im Gegensatz zu den großen Weltmächten war das Programm eine Privatinitiative. Wenige Kilometer von der Hauptstadt Lusaka entfernt eröffnete der ehemalige Lehrer die Sambische Nationale Akademie für Wissenschaft, Weltraumforschung und Philosophie, die natürlich nicht staatlich anerkannt war. Dort baute er mit den wenigen Mitteln, die der Akademie zur Verfügung standen, ein Trainingszentrum für die Afronautinnen auf. Von den Jugendlichen, die er trainierte, sollten der 21-jährige Godfrey Mwango und die 16-jährige Matha Mwamba ins All fliegen. Sie simulierten die Schwerelosigkeit anhand einer Schaukel und rollten in einer Tonne einen Hügel hinunter. Der Startschuss war für der 24. Oktober 1964 geplant: Sambias Unabhängigkeitstag.
Die westlichen Journalisten waren aber nicht da, um ihn zu feiern. Die Berichterstattung war eindeutig paternalistisch und kolonial gefärbt, Nkoloso wurde als »dumm« abgestempelt. Aber was ist eigentlich so falsch daran zu träumen? Wissenschaftler der Renaissance mit ihren ausgefallenen Skizzen von Maschinen, Otto Lilienthals Versuch zu fliegen oder die abwegigen Ideen von Tesla-Gründer Elon Musk werden heute für ihren Pioniergeist gefeiert. Doch im Laufe der Zeit änderte sich auch etwas an der Erzählung über Nkoloso. Über 60 Jahre sind seit dem Programm vergangen, Nkolosos Geschichte erlebt dank der Rückaneignung Schwarzer Geschichte ein Comeback.
Es gibt mehr Interpretationen darüber, was Nkoloso mit seinem fantastischen Programm hatte erreichen wollen oder wofür es stand, insbesondere in Hinblick auf seine Biografie. An Nkoloso ist so spannend, dass er immer in seiner Rolle blieb, Interviews in Militäruniform samt Helm und einem Cape gab, ganz ernsthaft von seinem Vorhaben sprach. Einige sehen in seinen Auftritten, wenn es denn welche waren, eine Satire über den Wettlauf ins All. Andere sehen einen Träumer, der das Unmögliche wollte. Wiederum andere spekulieren, dass er an den Folgen der Folter litt, der er während seiner Gefängnisaufenthalte durch die Briten ausgesetzt war.
Sein Revival fällt mit einer Rückkehr der utopischen Idee des Afrofuturismus zusammen: Seine Vision taucht in Bildbänden, Ausstellungen, Musikvideos und in der Literatur auf. Ein besonderes Projekt ist der fiktive Kurzfilm »Afronauts« der ghanaischen Filmemacherin Frances Bodomo, der sich besonders mit Matha Mwamba, dem Space Girl beschäftigt, und damit, wie sie sich gegen die Jungs in ihrem Programm durchsetzt – und am Abend vor der Apollo-11-Mission entscheiden muss, wie viel sie opfern will, um die Amerikaner zu überholen.
Doch Nkolosos Weltraumprogramm hob nicht ab. Er war kein Privatmann mit Milliarden auf dem Konto, sein Genosse und der erste Präsident Sambias, Kenneth Kaunda, nahm das Vorhaben nicht ernst, und seine Anträge für Gelder bei den amerikanischen und sowjetischen Regierungen und der UNESCO wurden nicht einmal mit einer Antwort gewürdigt. Nkoloso starb 1989 und wurde mit militärischen Ehren bestattet.
Sambia in der Vorreiterrolle
Es ist es kein Zufall, dass solche Ambitionen gerade in Sambia entstanden. Das Land hatte vor allen anderen in der Region die Unabhängigkeit erkämpft. Als Kenneth Kaunda, Anführer der sozialistischen United National Independence Party (UNIP), sein Land vom Kolonialismus befreite, eröffnete er in der Hauptstadt Lusaka das African Liberation Center, das als sichere Unterkunft für die Unabhängigkeitskämpfer*innen aus den benachbarten Ländern diente. Nkoloso leitete das Zentrum sogar eine Zeit lang.
Doch sein Kampf begann schon früher. Nach seinen Einsätzen für die Britische Armee in Abessinien (heute Äthiopien) und in Burma (heute Myanmar) kehrte er heim und wurde Lehrer. Als solcher versuchte er, die Schülerinnen für den Unabhängigkeitskampf zu gewinnen, und sorgte damit bei der britischen Kolonialverwaltung für Unmut. Nachdem er vom Dienst entlassen worden war, zog er aufs Land, wo er seine eigenen Schulen aufbaute. Neben Religion, Philosophie und Wissenschaft lehrte er auch die Produktion von Bomben. Die sambische Autorin Namwali Serpell schreibt in ihrer detaillierten Biografie Nkolosos im Magazin New Yorker, dass seine Akademie auch ein Test war, um Sambier*innen auf die Unabhängigkeit vorzubereiten. Das wiederum knüpft an die Überlegungen des Afrofuturismus an: Die Reise ins All ist ungewiss, aber emanzipatorisch.
Am Ende platzierten die USA den ersten Menschen auf dem Mond, und seitdem ist die Sache eigentlich gegessen. Der Schwarze Soul-Sänger Gil Scott Heron sang einmal dazu: »I can’t pay no doctor bill/ but Whitey’s on the moon/ Ten years from now I’ll be payin‘ still/ while Whitey’s on the moon«. Was bedeutet am Ende dieser große Schritt für die Menschheit, wenn sie so geteilt ist?
Dabei bietet das All so einiges, das allen zugute kommen könnte. Das zeigt das von den USA in den 1970er Jahren gestartete Landsat-Programm. Als erstes ziviles Raumfahrtprogramm schickte es Satelliten ins All, um Daten zu sammeln. Viele dieser Daten von Landsat sind frei zugänglich, und das eröffnete neue Möglichkeiten für die Wissenschaft. So ließen sich auf einmal Wälder überwachen und Waldbrände schneller identifizieren, der Agrarsektor erforschen und verbessern oder die Folgen der Klimaveränderung besser verstehen.
Eine neue Hoffnung
Doch Landsat war primär für kommerzielle Zwecke erdacht worden. Gerade bei der teuren Suche nach Ressourcen war ein solches Fernerkundungsprogramm von Vorteil. In diesem Rahmen war es während der Entspannungspolitik der 1970er Jahre möglich, auch afrikanische Expert*innen auszubilden und an den Vorzügen des Weltraums teilhaben zu lassen. So zumindest die Theorie. Denn die Teilname an der Suche nach Ressourcen stellte ehemals kolonisierte Länder wieder in die ihnen zugewiesene und von den Eliten oft auch gern akzeptierte Rolle als Exporteure von Rohstoffen und damit kleinster Profiteur in der Wertschöpfungskette. Oder als Empfänger von Hilfsleistungen, die Satellitenbilder dazu nutzen sollten, um Wasser auf Erden zu finden oder Parks zu schützen.
Mittlerweile haben 16 der 54 Länder der Afrikanischen Union eigene Weltraumprogramme aufgelegt und schicken Satelliten ins All. Die Behörden sind zugegebenermaßen klein und chronisch unterfinanziert, aber sie könnten Teil der Wende weg von der postkolonialen Ordnung sein. Denn wenn es nicht irgendwelche Entwicklungsprogramme sind, sind es Firmen wie Google und Facebook, die versuchen, auf dem afrikanischen Kontinent Infrastrukturen wie Telekommunikationsnetzwerke aufzubauen. Wohin die Gewinne daraus flössen, ist klar. Nationale Initiativen abseits des profitorientierten Denkens könnten da viel bewegen.
Nkolosos Traum entspricht so in etwa dem komplizierten Verlauf der Unabhängigkeit – vom einstigen Griff nach den Sternen zur neoliberalen Gegenwart des Extraktivismus. Obwohl Sambia bis heute kein Weltraumprogramm hat, sind die afrikanischen Initiativen so etwas wie sein Erbe. Auch wenn sie – wie so vieles verglichen mit den 1960er Jahren – viel weniger radikal wirken.