»Was eine Frau ist, bestimmen wir«
In Teilen der feministischen Bewegungen hat sich eine zerstörerische Tendenz zur Transfeindlichkeit entwickelt
Von Eliah Arcuri
Im Juli 2018 stellten sich acht Aktivist*innen der feministischen Gruppe Get The L Out – Lesbian Not Queer der London Pride Parade in den Weg. Sie blockierten rund 30.000 Menschen, die im Gedenken an die Stonewall Riots von 1969 sich und die Erfolge der LGBTQI*-Bewegungen feiern wollten. Der Gruppe gelang es, einen der weltgrößten Prides medienwirksam zu vereinnahmen und ihre transfeindliche Propaganda zu verbreiten.
Die Aktivist*innen wollen eine überkommene Vorstellung davon, was Geschlecht ausmacht, durchsetzen und damit einen Teil der LGBTQI*-Community ausschließen. Manche Frauen könnten nicht lesbisch sein, so ihre Argumentation. Denn manche Frauen wären keine Frauen. Die Aktion ist aber auch ein Beispiel dreister Geschichtsklitterung, denn es waren 1969 nicht zuletzt transidente Frauen, die im Kampf gegen die New Yorker Polizei in der Christopher Street ihr Leben riskierten.
Ein anderer Fall: J.K. Rowling, die Autorin der »Harry Potter«-Reihe, solidarisierte sich Ende 2019 in einem Tweet mit der Steuerexpertin Maya Forstater. Deren Arbeitsvertrag beim Thinktank Center for Global Development war nicht verlängert worden, da Forstater, ebenfalls auf Twitter, manchen Frauen in biologistisch-essenzialistischer Manier das Frausein abgesprochen hatte: Ein Mensch, dem zum Zeitpunkt der Geburt ein männliches Geschlecht zugeschrieben wurde, könne niemals eine Frau sein. Sie hatte sie belästigt und gedeadnamed – also trans Personen mit ihren abgelegten Geburtsnamen angesprochen. Forstater reichte Klage gegen ihren ehemaligen Arbeitgeber ein, in der sie sich als Verfechterin des Feminismus und der Meinungsfreiheit präsentierte: Sie sei aus ihrem Job verdrängt worden allein für die Aussage, dass das biologische Geschlecht real sei – eine Darstellung, der sich J.K. Rowling in ihrem Tweet anschloss. Forstater verlor den Prozess, da ihre Äußerungen gegen Grund- und Menschenrechte verstoßen.
Es ist eine alte Debatte, die in den sozialen Medien hochkocht – und sie zielt auf die Spaltung der feministischen Bewegungen ab.
Auch in Deutschland üben »feministische« Blogger*innen wie Die Störenfriedas scharfe Kritik am Queer- und Trans*-Aktivismus. Dieser würde lesbisch-feministische Bewegungen entpolitisieren und unsichtbar machen, indem er sich mit seinen Anliegen in den Vordergrund dränge. Zudem würde der Queer- und Trans*-Aktivismus Zweifel säen am Zweigeschlechtermodell, auf das sich die Störenfriedas in ihrem Kampf berufen. Sie fordern zudem women only spaces, zu denen aber nur Zutritt hat, wen sie als Frauen betrachten. Manchen Frauen wird aufgrund biologistischer Zuschreibung der Zutritt verweigert. Trans Männlichkeiten wird dieser Logik folgend oft der Zutritt gewährt. Es ist eine alte Debatte, die auf die Spaltung der feministischen Bewegungen abzielt, die gegenwärtig in den sozialen Medien hochkocht.
Ursprünge der Auseinandersetzung
Im Zentrum der Kontroverse steht die Frage, wovon gesprochen wird, wenn von Geschlecht die Rede ist. Transfeindliche Feminismen – präziser: als Feminismus getarnte Transfeindlichkeiten – reduzieren den menschlichen Körper auf die reproduktiven Organe zum Zeitpunkt der Geburt. Als Maßstab dient ihnen der Diskurs der Zweigeschlechtlichkeit. Dabei herrscht selbst in der Biologie Uneinigkeit darüber, was Geschlecht ausmacht (Hormone? Chromosomen? Gonaden? Genitalien?). Gegenstimmen verweisen auf die somatisch-soziale Komplexität des Geschlechts und widersprechen den patriarchalen Schulbuchfantasien der vergangenen Jahrhunderte.
Die Kontroverse hat Geschichte. Sie schwelt seit den 1970ern in Europa und den USA und hat ihren Ursprung im Second Wave Feminismus. Sandy Stone, eine Ikone des Trans*-Aktivismus, fand damals ihren Platz in der lesbisch-feministischen Subkultur der Vereinigten Staaten. Als Teil des sagenumwobenen Musikkollektivs Olivia Records traf sie auch auf Frauen, die ihre Transfeindlichkeit unter dem Deckmantel des Feminismus ausagierten. Deren Mission bestand darin, Stone aus dem Kollektiv zu drängen. Bestärkt wurden sie durch Janice Raymonds 1978 veröffentlichte hasserfüllte Schrift »The Transsexual Empire«, in der sie Stone persönlich attackierte. Stone konterte fast eine Dekade später mit dem Essay »The Empire Strikes Back« (1987) und legte damit den Grundstein für den Trans*-Aktivismus und die Transgender Studies.
Als Feminismus getarnte Transfeindlichkeit
Allen als Feminismus getarnten transfeindlichen Positionen gemeinsam ist der Versuch, Geschlecht biologistisch zu definieren, es als etwas »Reines«, oder Vordiskursives zu isolieren. Menschen werden auf der Basis ihrer reproduktiven Organe zum Zeitpunkt der Geburt unwiderruflich in Frauen und Männer eingeteilt. Zudem werden gezielt einige Lesben angegriffen, indem ihnen und ihren Partnerinnen das lesbische Begehren abgesprochen wird. In ihrer Vorstellung darf eine Lesbe keine Lesbe mehr sein, wenn sie keine Gebärmutter hat. Einige Männer könnten analog dazu keinesfalls schwul sein.
Das »Feministische« an dieser Perspektive besteht, glaubt man den Störenfriedas, in der Betrachtung »biologischer Tatsachen« als grundlegend für die Ungleichheit der Geschlechter. Geschlechtertheoretische Versuche, diese »Tatsachen« zu hinterfragen, kommen ihnen zufolge einer mutwilligen Unsichtbarmachung jener Gewalt gleich, die der vom Patriarchat unterdrückten »Klasse der Frauen« angetan wird. Damit reproduzieren sie die patriarchale Rechtfertigung der Geschlechterhierarchie, die sich auf »natürliche Unterschiede« beruft.
Vordiskursive – authentische, ursprüngliche, reine – Körper gibt es nicht.
Diese Ansätze widersprechen der Erkenntnis, dass vordiskursive – also »echte, authentische, ursprüngliche, reine« – Identitäten oder Körper schlichtweg nicht existieren. Generationen von Geschlechterforscher*innen haben versucht, vorgesellschaftliche Geschlechterrollen aufzuspüren – ohne Erfolg. Das Zweigeschlechtermodell, das selbst in der Biologie keinen Konsens mehr findet, soll aus Sicht der transfeindlichen »Feminist*innen« dennoch aufrechterhalten werden. Hingegen gilt die Geschlechterforschung den Befürworter*innen dieser Position als »antifeministische« Brutstätte des Queerfeminismus und Trans*-Aktivismus.
Transfeindliche Ansichten, die sich einen feministischen Anstrich geben, teilen Geschlecht also in zwei biologisch determinierte, hierarchisch angeordnete Klassen. Die Klasse der cis Männer unterdrückt die Klasse der cis Frauen. Sonst wird vom Patriarchat eigentlich niemand ernsthaft behelligt – denn mehr gibt es nicht, wenn von Geschlecht die Rede ist.
Diese Perspektive hat bereits zu verstörenden Allianzen geführt. Etwa wenn die britische »Radikalfeministin« Venice Allen den Kampf gegen das Abtreibungsverbot in Irland abwertet, weil der bessere Zugang zu Verhütungsmitteln und Schwangerschaftsabbrüchen nur dazu da sei, Männern den Wunsch nach konsequenzlosem Sex zu erfüllen. Oder wenn die religiöse Rechte in den USA »feministische« transfeindliche Initiativen unterstützt, etwa die Alliance Defending Freedom, eine NGO der christlichen Rechten, die sich den Kampf gegen LGBTQI*-Rechte und die Kriminalisierung von Homosexualität auf die Fahne schreibt und 15.000 US-Dollar an die Women’s Liberation Front (WoLF) spendete. Die WoLF nennt sich selbst radikalfeministisch, ihr Hauptaktionsfeld ist aber der Kampf gegen transinklusive Politik. Hier zeigt sich der zutiefst antifeministische Charakter dieser Positionen und ihre Anschlussfähigkeit an rechte Politik.
Feminismus, der Frauen ausschließt, ist keiner
Befasst man sich mit den transfeindlichen Positionen selbsternannter Feminist*innen, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Verzerren und Verunglimpfen wissenschaftlicher Erkenntnisse strategischer Natur ist. Wenn das Alltagswissen über Geschlecht infrage gestellt wird, scheint das oft Verunsicherung, manchmal Angst oder gar Hass auszulösen. Gefühle, die der Mobilisierung potenzieller Anhänger*innen dienlich sind und die daher von reaktionär-autoritären Gruppierungen geschürt werden. Religiös-fundamentalistische und rechte Bewegungen betrachten den Kampf gegen progressive Geschlechter- und Gleichstellungspolitiken deshalb als zentrales Element ihrer Mobilisierungsstrategien.
Ein Lieblingswort der AfD, »Genderwahn«, könnte auch den Fieberträumen transfeindlicher »Feministinnen« entsprungen sein. Derartige Positionen sind nicht nur antiquiert, sie zeugen von einem fehlenden Verständnis des Lebens von Menschen, die trans sind, von profunder Unkenntnis oder wissentlicher Verzerrung der Erkenntnisse der Gender Studies und Queer Theory und einer diffusen Angst vor Auslöschung durch Infiltration. Hier verbindet sich nach rechts anschlussfähige Anti-Gender-Ideologie mit Anti-Intellektualismus.
Transfeindliche »Feministinnen« als »laute Minderheit« zu bezeichnen, käme vor diesem Hintergrund einer Verharmlosung gleich. Vielmehr demonstriert die aktuelle Debatte die Dringlichkeit einer feministischen Auseinandersetzung mit der Exklusion mancher Frauen aus der Bewegung.
Die feministischen Bewegungen zählen zu den größten und erfolgreichsten sozialen Bewegungen. Sie können es nicht zulassen, dass sich in ihren Reihen Anschlussmöglichkeiten zu reaktionären Strömungen auftun. Angesichts des antifeministischen und rechts-autoritären Backlashs müssen solidarische Allianzen vielmehr gestärkt werden.
Wer die biologische Rechtfertigung der Geschlechterordnung akzeptiert, kann die patriarchale Unterdrückung nicht überwinden.
Die Debatte lässt sich auch nicht als aufgeregter Kulturkampf zwischen reaktionären Second-Wave-»Radikalfeminist*innen« und progressiven Queertheoretiker*innen abtun, bei dem der Rest der feministischen Bewegungen kopfschüttelnd zuschaut. Wo eine Gruppe einer anderen die Existenzberechtigung abspricht, haben wir es nicht mehr mit einer »innerlinken« oder »innerfeministischen« Debatte zu tun, sondern mit der Absage an jede konstruktive Diskussion. Die Positionen transfeindlicher »Feministinnen« sind eine Bedrohung für alle Menschen, die sich an der Zwangsordnung der Zweigeschlechtlichkeit stören. Ihre Gewalt besteht nicht nur in der Irrealisierung von Frauen (und Männern), die trans sind, in der Aberkennung ihrer bloßen Existenz als Frauen bzw. Männer. Sie hintertreiben die Erkenntnis, dass die patriarchale verordnete Zweigeschlechtlichkeit ein Phantasma ist, das an sich gewaltvoll ist.
Soziale Bewegungen sind seit jeher turbulent, sind geprägt von Heterogenität, Bündnissen, Unstimmigkeiten und Zerwürfnissen. Der Kitt, der sie zusammenhält, ist Solidarität. Starke Bewegungen können Turbulenzen aushalten, sie produktiv wenden. Als Feminismus verkleidete Transfeindlichkeit mag vom Wunsch nach Eindeutigkeit und Ausschließlichkeit im antipatriarchalen Kampf motiviert sein. In ihrer Verteidigung der zweigeschlechtlichen Illusion untergräbt sie aber die Grundlagen der Emanzipation für alle, die unter dem Patriarchat leiden, sie verunmöglicht feministische Solidarität.
Wer die biologische Rechtfertigung der Geschlechterordnung akzeptiert, kann die patriarchale Unterdrückung nicht überwinden. Ein solcherart entmachteter »Feminismus« kann das Patriarchat vielleicht in Teilen reformieren – besiegen kann er es nicht.