»Wir konzentrieren uns auf die Frauen«
Feminismus und Antirassismus in den Gemüseanbaugebieten Südspaniens
Von Carmen Cruz und Martina Helmke
Wir links Denkenden bewegen uns hier nur in Verkleidung«, gibt mir ein junger Lehrer mit auf den Weg. Er ist mein Gesprächspartner auf der Fahrt von Sevilla, der Hauptstadt Andalusiens, in seinen Geburtsort El Ejido. Als ich Carmen davon erzähle, lächelt sie nur müde. »Viel schwieriger als das Leben als Linker ist hier das Leben als Frau – als Mutter, Migrantin, Saisonarbeiterin«, sagt sie, während wir in ihrem kleinen Auto das unscheinbare, sandfarbene Zentrum von El Ejido verlassen, um uns die Anbau- und Weiterverarbeitungsstätten anzusehen, aus denen jene Tomaten, Auberginen und Paprika stammen, die später in den europäischen Supermärkten landen. Es ist Dezember, Hochsaison, und nicht so unerträglich heiß wie in den Sommermonaten, wenn die Arbeiter*innen in 14-Stunden-Schichten unter den Dächern des »Meers aus Plastik« das Gemüse ernten oder in den großen Lagerhallen verpacken.
Carmen studiert Soziale Arbeit und Integration, sie lebt in El Ejido und ist Gründerin des VereinsMovimiento de Mujeres del Sur (AMMS), der für die Gleichberechtigung von Frauen und gegen sexualisierte Gewalt kämpft. Es ist die einzige Fraueninitiative vor Ort, die die internationale und multikulturelle Zusammensetzung der örtlichen Bevölkerung widerspiegelt. Neben Carmen, die vor mehr als 30 Jahren aus Ecuador nach Spanien kam, sind weitere Migrantinnen, teils mit, teils ohne dauerhafte spanische Aufenthaltspapiere aus mindestens sieben Ländern in ihrer Gruppe organisiert. Die meisten von ihnen arbeiten als Saisonarbeiterinnen in den Verpackungshallen und bei der Ernte.
Alltagsrassismus
El Ejido ist das urbane Zentrum des Gemüseanbaus in der Region Almeria in Andalusien. Bei den letzten Regionalwahlen ging die Mehrheit der Stimmen des etwa 80.000 Einwohner*innen zählenden Ortes an die Partei VOX – das spanische Pendant zur AfD. Und dass trotz aller Bemühungen von AMMS und anderen NGOs, auch jene ca. 26.000 Migrant*innen (mindestens weitere 40.000 leben illegalisiert) an die Urnen zu bewegen, um von ihrem, wenn auch eingeschränkten Wahlrecht Gebrauch zu machen. Rassismus und insbesondere Islamophobie sind keine neuen Phänomene in El Ejido. Kaum noch bekannt ist die Hetzjagd auf marokkanische Menschen im Jahr 2000. Sie traumatisierte zahlreiche Familien, die sich zur Flucht in die umliegenden Berge gezwungen sahen, um sich in Sicherheit zu bringen. Der bewaffnete Mob zerstörte Lokale (insbesondere Internetcafes) und hinderte Polizei wie Presse daran, in den Ort vorzudringen. Heutzutage liegt ein Mantel des Schweigens über den Geschehnissen von damals.
Die grünen VOX-Graffitis an Eingängen zu Plantagen sind das eine – die faschistischen Verbände, die seit Francos Zeiten im Untergrund wirken, sind das andere. Eingewanderte aus islamisch geprägten Ländern wie Marokko haben am härtesten mit dem Alltagsrassismus zu kämpfen. Wenn Fanida, die ein Kopftuch zu tragen pflegt und eine der Aktivist*innen von AMMS ist, mit ihren Freund*innen einen Kaffee trinken geht, kann es schon mal vorkommen, dass ihr rundheraus erklärt wird, alle Produkte enthielten Inhaltsstoffe vom Schwein – wenn überhaupt mit ihr gesprochen wird. Als alleinstehende Frau Mitte 40 hat sie darüber hinaus mit der Ächtung durch die Community arabischstämmiger Frauen in El Ejido zu kämpfen, die ihr Zusammenleben mit einem Spanier nicht gutheißen.
Leben und Arbeiten findet für die meisten Eingewanderten in El Ejido unter menschenunwürdigen Bedingungen statt, vom ausbeuterischen Stundenpensum bis zu improvisierten Wohncamps. Die Chefs der Hallen und Plantagen haben die illegal in Spanien lebenden Menschen fest im Griff – Seite an Seite mit dem spanischen Staat. (ak 654) Erst nach drei Jahren nachgewiesenem illegalem Aufenthalt werden ihnen von den spanischen Behörden Papiere ausgestellt. Die Arbeit der Gewerkschaft findet also unter ausgesprochen erschwerten Bedingungen statt. Insbesondere für die migrantischen Frauen ist sie oft kein vertrauenswürdiger Anlaufpunkt. Das scheitert bereits an den unpassenden Öffnungszeiten der Büros, der fehlenden Kinderbetreuung, den hauptsächlich männlichen Gewerkschaftern, fehlenden Sprachkenntnissen und nicht zuletzt schlechten Erfahrungen mit der Preisgabe persönlicher Daten.
Die Situation der Frauen unterscheidet sich erheblich von der der männlichen Saisonarbeiter. Neben der Mehrfachbelastung als Mütter fehlt es an medizinischer und psychologischer Betreuung. Die meisten Frauen erleben sexualisierte Gewalt oft gleich in mehreren Ausbeutungsverhältnissen: am Arbeitsplatz sowie innerhalb der männlich dominierten Wohn-Community.
Gegen Ausbeutung und sexualisierte Gewalt
Carmen gründete AMMS als Reaktion auf den gewerkschaftlichen Machismus, den sie jahrelang erlebte, um durch Sprachkurse, Beratung bei Fällen sexualisierter Gewalt sowie den solidarischen Austausch untereinander die Position migrantischer Frauen zu verbessern und ein Netzwerk zu schaffen, in dem sie sich begegnen können als Frauen, die ihre Kinder, Eltern oder Partner*innen zurückgelassen haben und nun mit dieser schweren psychologischen Last im Gepäck ausbeuterische Arbeits- und Lebensverhältnisse ertragen. In El Ejido arbeitete sie zunächst als Frauenbeauftragte für eine Gewerkschaft. Doch nachdem sie dort über Jahre hinweg gegen den internen Machismus angelaufen war, warf sie das Handtuch: »Wir konzentrieren uns auf die Frauen« – und auf jene Problemlagen, für die das patriarchale Auge blind ist, wie die Ängste, die es mit sich bringt, in einer fremden Gesellschaft anzukommen, im Herkunftsland wie auch im Zielland strukturell verschiedenen Formen von Missbrauch ausgesetzt zu sein, über keine Ausbildung und auch kein Wissen über die spanischen Arbeitsrechte zu verfügen, die Sprache kaum zu beherrschen, keine Anzeigen erstatten zu können, möglicherweise der Verfolgung auf familiärer oder sozialer Ebene ausgesetzt zu sein.
Dabei sind es nicht nur die (illegalisierten) Saisonarbeiterinnen, die bei AMMS zusammenfinden. Marya ist vor vielen Jahren nach El Ejido gekommen und führt dort mittlerweile ein eigenes kleines Geschäft. Und Soraya, Sekretärin des Vereins, hat so ihre ganz eigenen Ziele. Sie ist Spanierin, lebt schon immer in Almeria und ist mit einem Plantagenverwalter verheiratet. Soraya ist Agraringenieurin, hat zwei kleinere Kinder und wünscht sich, mehr soziale Beziehungen zu Eltern innerhalb der migrantischen Communities aufzubauen.
Den Aktivistinnen fehlt es vor allem an Geld, für Sprit zum Beispiel. Sie haben auch kein geeignetes Lokal, und es fehlt an professioneller Unterstützung: »Was wir eigentlich bräuchten, ist ein Team an Traumapsycholog*innen, für die vielen von sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen.« Vor Ort sind es die kulturellen Migrantenverbände und die Organisation Guantes de Colores, die sich auf Facebook selbst organisiert haben, um die Arbeitssituation der Frauen sichtbar zu machen. In Almeria Stadt gibt es die Plataforma Feminista, einige verbündete Gruppen sind in Huelva ansässig. In den Straßen von Almería sind AMMS auch an diesem 8. März mit ihren Freund*innen auf der Straße.