Gegen die Gesamtscheiße
Das HipHop-Duo Run The Jewels veröffentlicht ein wütendes Album gegen ein tödlich rassistisches System
Von Fionn Birr
Die USA stehen mit dem Mord an George Floyd durch einen Polizeibeamten vor einer Krise, deren Ausgang zum jetzigen Zeitpunkt noch ungewiss ist. Der Fall ging dank des Internets um die Welt, weshalb mittlerweile Menschen auf dem gesamten Globus fordern: Schluss mit Polizeigewalt, Schluss mit Rassismus, Black Lives Matter. Das US-HipHop-Duo Run The Jewels spricht schon lange über diese Themen und hat die Veröffentlichung seines vierten Albums deswegen vorzogen. Das macht »RTJ4« zu eines der wichtigsten Releases 2020. Auch wenn seine Schöpfer die Antithese zu jedem Pop-Zeitgeist sind.
Denn eigentlich waren El-P und Killer Mike so etwas wie die HipHop-Version von Bud Spencer und Terence Hill. Als Run The Jewels trat das Duo, beide Jahrgang 1975, Anfang der letzten Dekade in ihrem Karriereherbst noch einmal gemeinsam vor die Mikrofone. Aber nicht um dem ewigen Traum des Rap-Superstar-Seins hinterherzulaufen: El-P, New Yorker Rapper und Produzent mit Kultstatus, und Killer Mike, einstiger Hoffnungsträger aus dem Outkast-Umfeld und heute das gute Gewissen des US-HipHop, waren immer mehr aus Liebe zum Spiel dabei. Nachdem sie zusammen beim Albumdebüt »RTJ« 2013 noch ungeniert mit Dumme-Jungs-Humor über schräge Leftfield-Beats durch HipHop-Liebhaberkreise kursierten, änderte sich der Tonfall auf den nachfolgenden Alben in ein Wechselspiel aus Humor und Tragik. Es scheint, als hätten der kauzige Musiknerd El-P und der charismatische Ex-Dealer Killer Mike beschlossen, ihre Dualität gegen die Gesamtscheiße einzusetzen. »RTJ2« droppte fast zeitgleich mit der Entstehung der Black-Lives-Matter-Bewegung, »RTJ3« erschien am Vorabend zur Trump-Präsidentschaft. Jetzt ist »RTJ4« da. Das ist Timing.
Und wieder ist es diese Dualität, die der »yankee and the brave« aufziehen. Denn das vierte Album ist witzig und wütend, sperrig und zugänglich, traditionsbewusst und trotzig. Ihre musikalische Formel wurde nicht verändert, nur verfeinert. Synthie-Sirenen heulen über Sample-Collagen voller Zitate aus der HipHop-Kultur, die nur noch vom Rhythmus des Drumcomputers zusammengehalten werden. Klar sind hier noch Raprentner-Gags zu finden. Doch im vierten Trump-Jahr können die Jewel Runners bei aller Selbstironie aus falsch herum gerauchten Kippen und der nicht mehr passenden Levi’s einen gewissen Zynismus nicht abstreifen. »Look at all these slave masters posin‘ on yo‘ dollar« stellt man zusammen mit Pharrell Williams und Zack De La Rocha fest. An anderer Stelle singt Gospel-Ikone Mavis Staples nebst Rock-Legende Josh Homme, »There’s a grenade in my heart and the pin is in their palm«. Über 50 Jahre nach Martin Luther Kings Tod hat sich die 81-jährige Bürgerechtlerin sicher etwas anderes vorgestellt, als inmitten eines Protestes gegen ein System anzusingen, das nicht-weiße Menschen nicht nur benachteiligt, sondern weiterhin tötet. »RTJ4« fängt die aktuelle Stimmung beängstigend präzise ein. Am anschaulichsten wird dies bei »Walking In The Snow«, wenn Killer Mike in die letzten Worte Eric Garners rappt, der 2014 bei einer Festnahme von Polizisten getötet wurde: »You watch the cops choke out a man like me/ And ‚til my voice goes from a shriek to whisper, I can’t breathe«.
Was mit George Floyd passiert ist, konnte Mike nicht wissen, auch wenn er mit der Netflix-Serie »Trigger Warning with Killer Mike« die afroamerikansiche Lebensrealität in der US-Gesellschaft dokumentiert. Ohne gleich in Bedeutungsschwangerschaft zu versinken, reden wir hier aber auch von einem Album, das auch Altherrenwitze reißt wie: »Daddy told me never give a honey my money/ Had to ask Daddy, did that include Mommy?«. »RTJ4« entspringt einer Spannung mit Bezügen aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, aus Humor und Häme. Es ist ein Album, das nicht Versöhnung herbeizwingt, aber auch keine Rache heraufbeschwört, sondern Gerechtigkeit fordert. Und gute Sprüche.