Die Kids wollen PoCo!
Von Paul Dziedzic
Auf einmal ging alles ganz schnell. Nachdem die erste Statue eines Vertreters von Sklaverei, Rassismus und Kolonialismus in Bristol fiel, folgten in anderen Ländern weitere. Stadtratsmitglieder zeigten sich empört – doch angesichts der Stimmung auf den Straßen blieb ihnen nichts anderes übrig, als die Statuen erst einmal nicht wieder aufzubauen. Londons Bürgermeister Sadiq Khan kündigte vorsorglich an, alle in Stein gemeißelten Bildnisse auf ihre Vereinbarkeit mit der Diversität der Stadt zu prüfen. Selbst eine Statue von Winston Churchill musste nun unter einem metallischen Sarkophag versteckt werden, damit sie nicht beschädigt wird. In Belgien sollen die zahlreichen steinernen Figuren des ehemaligen Königs, Leopold II, unter dessen persönlicher Herrschaft mindestens zehn Millionen Kongoles*innen ums Leben kamen, nun im Museum landen. Viele dieser Maßnahmen zielen eher darauf ab, die Aktionen der Protestierenden zu beenden, als darauf, einen echten gesellschaftlichen Wandel im Umgang mit dem Kolonialismus anzustoßen. Aber dennoch: Was für eine Wendung!
Diese Entwicklung steht im starken Kontrast zur jüngsten Debatte um den Politikwissenschaftler Achille Mbembe, in dessen Fahrwasser auch die Postcolonial Studies (PoCo) in Verruf geraten waren. Einige hatten sogar in Vorfreude schon ihre Abgesänge auf die PoCo angestimmt. Aber ganz soweit kam es dann doch nicht.
Zugegeben: Die Postcolonial Studies sind ein Kopfschmerzthema. Sind sie überhaupt eine Disziplin? Wenn ja, wer sind deren Vertreter*innen? In der jüngsten Diskussion darüber wurden noch einmal Fragen aufgeworfen, die sich speziell für den deutschen Kontext stellen. Denn einige fürchteten hier um die renommierte deutsche Erinnerungskultur, weil es hieß, einige Vertreter*innen der PoCo stellten die Singularität der Shoah infrage. Andere sahen in den PoCo ein trojanisches Pferd für einen neuen, kosmopolitischen Liberalismus. Schön war diese ganze Debatte nicht, sie war deprimierend und langweilig.
Dann kamen die erfrischenden Bilder aus Bristol, Belgien und Boston (»plitsch, platsch«). Und sie zeigten, dass PoCo-Ansätze auch in der Praxis wirkungsmächtig sind. Jahrelange Lobbyarbeit, Recherchen, Petitionen, Ausschüsse in Stadträten und Öffentlichkeitsarbeit gegen die rassistische Denkmalskultur war zuvor erfolglos geblieben. Und das lag nicht daran, dass die Gegner*innen der Statuen keine guten Argumente hatten – sondern daran, dass bei solchen Prozessen der Status quo nun mal am längeren Hebel sitzt. Dessen Befürworter*innen hatten eines an ihrer Seite: Zeit. Sie konnten blockieren, laue Versprechungen machen à la: »Wir können ja ein kleines Hinweisschild anbringen, wenn wir uns auf das Wording einigen können.« Oder auch: »Wir müssen das von beiden Seiten betrachten.«
Auf lokaler Ebene arbeitet in Deutschland schon seit Jahren eine wachsende Zahl an Initiativen an der Aufarbeitung des kolonialen Erbes. Viele gehen dafür noch einmal durch Archive, die seit Jahrzehnten niemand mehr angerührt hat, sie engagieren sich in ihrer Nachbarschaft als Tourguides und arbeiten in antirassistischen Initiativen. Sie erzählen von der Kehrseite einer nationalistischen Geschichtsschreibung und dekonstruieren ihre Mythen.
Es geht um mehr als um Erinnerungskultur.
Diese Initiativen sind auch ein Anziehungspunkt für POC und Schwarze Menschen. Unter anderem, weil solche Formen des Postkolonialismus einen Wissensschatz öffnen, der über Europa und Nordamerika hinausgeht. Es geht um mehr als um Erinnerungskultur: So finden unter der Betrachtung des Postkolonialismus auch andere Dimensionen von Ungerechtigkeit Platz; seien es ökonomische, ökologische Aspekte oder Fragen der Geschlechterverhältnisse. Meist sind es junge Menschen, die hier aktiv sind, die meisten von ihnen ehrenamtlich.
Solche Initiativen gibt es nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. In Südafrika war die #Rhodesmustfall Kampagne die erste erfolgreiche Aktion ihrer Art. 2015 musste die Universität von Kapstadt nach jahrelangem Hinauszögern unter dem Druck der Studierenden die Statue des rassistischen Ausbeuters und Großunternehmers Cecil Rhodes abbauen. Und auch hier ging es nicht ausschließlich um Erinnerungskultur. Die gleichen Aktivist*innen inspirierten und unterstützten die nächste Kampagne unter dem Namen #Feesmustfall, in der es um die hohen Studiengebühren ging – letztlich auch um die anhaltende ökonomische Ungerechtigkeit Südafrikas nach dem Apartheid-Regime. Die Kids wollen eine Entkolonisierung, die Kids wollen PoCo! Viele von ihnen werden dank des Statuen-Weitwurfs noch mehr von jener Geschichte gelernt haben, die die Postcolonial Studies zu erzählen haben. Und vielleicht auch darüber, dass diese Geschichte noch nicht zu Ende geschrieben ist.
An dieser Stelle sei PoCo gedankt.