Schatzkiste voller Ideen
Die Works Progress Administration war Teil des US-amerikanischen New Deal. In wirtschaftlichen Krisenphasen lohnt ein Blick zurück
Von Kathi King
Zur Hölle, sie müssen essen wie jeder andere auch!« Harry Hopkins hatte keine Zeit für Kritiker*innen, die die Projekte für arbeitslose Künstler*innen im Rahmen des New Deal als eine Verschwendung von Steuergeldern ablehnten. Der ehemalige Sozialarbeiter Hopkins war die rechte Hand von US-Präsident Franklin Delano Roosevelt in Sachen Krisenbewältigung. Roosevelt, damals noch Gouverneur des Bundesstaats New York, hatte Hopkins 1931 zum Kopf der Temporary Emergency Relief Administration (TERA) gemacht. Die Behörde sollte sich der Arbeitslosen im Bundesstaat annehmen. Hunderttausende hatten in der Wirtschaftskrise ihre Jobs verloren. Seit dem Börsencrash 1929 waren schon zwei Jahre vergangen. Die anhaltende Rezession, von den Zeitgenoss*innen Große Depression genannt, nagte nicht nur an der nationalen Wirtschaft, sondern auch an der Moral der Menschen. Die Suizidrate stieg deutlich.
Roosevelt und Hopkins waren sich im Klaren, dass sich die verzweifelte Lage der Menschen nicht mit Almosen würde verändern lassen. Statt auf milde Gaben setzten sie auf Lohntüten. Die dafür notwendigen Jobs wurden von der TERA bereitgestellt. Dabei wurde besonderer Wert daraufgelegt, dass es sich um sinnvolle und sinnstiftende Arbeit handelte. Gelernte Fachkräfte sollten möglichst in ihren alten Berufen weiterarbeiten. Das galt auch für die Künstler*innen, die Hopkins gegen konservative Kritiker*innen verteidigte. Schulbildung und Fortbildungen sollten ungelernte Arbeiter*innen auf neue Aufgaben vorbereiten, Freizeitprojekte für körperliche und seelische Gesundheit sorgen. Es ging Roosevelt und Hopkins nicht nur darum, die Mägen der Amerikaner*innen zu füllen, sondern auch darum, den Menschen wieder neuen Stolz und Selbstbewusstsein zu vermitteln. Die staatlich finanzierten Arbeitsprojekte sollten zudem die Wirtschaft des Bundesstaates ankurbeln und die Infrastruktur wieder auf Vordermann bringen.
Als Roosevelt 1933 zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde, machte er sich daran, das im Bundesstaat New York von der TERA erprobte Programm auch auf nationaler Ebene umzusetzen. Sein »Erste-Hundert-Tage-Programm« sah für Hopkins den Chefposten der neu geschaffenen Federal Emergency Relief Administration (FERA) vor. Die Bundesbehörde arbeitete nach dem Vorbild der TERA und wurde zu einer zentralen Instanz des ersten »New Deal«.
Empathisches Menschenbild
Ein Optimismus, der zugleich die realen Probleme von Wirtschaft und Bevölkerung im Blick behielt, sollte unter Roosevelt prägend sein für den politischen Diskurs im Lande. In seinen Kamingesprächen, den »fireside chats«, wandte sich der Präsident im Radio an die Bevölkerung. Hier vermittelte er politische Maßnahmen und Entscheidungen, beständig bemüht um eine einfache, allgemeinverständliche Ausdruckweise. Starke Bilder und ein empathisches Menschenbild prägten die Sprache des New Deal. Der Begriff des New Deal, heute oft bezeichnend für die gesamte Dekade verwendet, sollte als Metapher beschreiben, was die Politik der Roosevelt-Regierung bewirken wollte: Die Karten wurden neu verteilt – und auch die bislang Vergessenen sollten dieses Mal etwas abbekommen.
Es bedurfte harter Kämpfe von afroamerikanischen Gewerkschafterinnen und Bürgerrechtsorganisationen bis eine staatliche Quote für schwarze Amerikanerinnen in WPA-Projekten eingeführt wurde.
Nicht nur Roosevelts Sprache und Menschenbild stellten eine Abkehr von dem Kurs seiner Vorgänger dar – seine Krisenpolitik setzte auf starke staatliche Interventionen, Investitionen und Umstrukturierungen. Die Aufnahme von Schulden betrachtete Roosevelt dafür als probates Mittel. Sein direkter Vorgänger Herbert Hoover hatte demgegenüber lediglich an Wohltätigkeitsvereine appelliert, dass sie sich um die immer zahlreicher werdenden Arbeitslosen kümmern sollten.
Die Phase von 1933 bis 1935 wird als der erste New Deal bezeichnet. Als klar wurde, dass die tiefgreifende wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise mit temporären Maßnahmen nicht zu überwinden war, beschloss Roosevelt, ein noch größeres Projekt auf die Beine zu stellen. Kern der Politik des zweiten New Deals war die Works Progress Administration (WPA), geleitet von Harry Hopkins. Die WPA gilt bis heute als das größte staatliche Arbeitsbeschaffungsprojekt, das jemals in einem kapitalistischen Staat umgesetzt wurde. 8,5 Millionen US-Amerikaner*innen waren hier beschäftigt, das entsprach einer Person in jeder vierten Familie. Die Behörde verfolgte das Prinzip des »single breadwinner« – ein Lohn sollte eine Familie ernähren können, und so durfte nur ein Familienmitglied vom Staat angestellt werden. Frauen, die einen WPA-Job wollten, mussten beweisen, dass sie Haushaltsvorstand waren, beziehungsweise ihr Mann arbeitsunfähig war. Solche Formen der Geschlechterdiskriminierung waren ebenso ein Problem wie institutioneller Rassismus: Afroamerikaner*innen gehörten zu den ersten, die ihren Job in der Krise verloren, waren aber relativ zu ihrem Anteil an der arbeitslosen Bevölkerung in der WPA zunächst unterrepräsentiert. Es bedurfte harter Kämpfe von afroamerikanischen Gewerkschafter*innen und Bürgerrechtsorganisationen bis eine staatliche Quote für schwarze Amerikaner*innen in WPA-Projekten eingeführt wurde.
Trotz solcher Missstände war die WPA gerade bei denen, die für sie arbeiteten, sehr beliebt. Ein Vorzeigeprojekt der Behörde war das Berghotel Timberline Lodge, 1936-38 von lokalen Handwerker*innen auf dem Berg Mount Hood im Norden des Bundestaats Oregon errichtet. Die gesamte Innenarchitektur und fast jeder Einrichtungsgegenstand, vom Läufer bis zum Kronleuchter, wurde aus lokalen Rohstoffen in kunstvoller Handarbeit gefertigt. Die Handwerker*innen setzten auf Upcycling avant la lettre – Kamingitter wurden aus alten Ketten und Eisenbahnschienen geschmiedet, Treppenpfosten aus Strommasten mit Schnitzereien verziert. Die Materialkosten des Gebäudes konnten so auf zwanzig Prozent der Gesamtfinanzierung gedrückt werden. Der größte Teil des Budgets ging entsprechend in die Löhne der Handwerker*innen.
Der Gedanke, ein breites Bündnis vom sozialdemokratisch-linksliberalen bis zum kommunistischen Lager bilden zu können, motivierte viele Linke.
Die Diversität des WPA-Programms und sein Einfallsreichtum sind im Rückblick ebenso erstaunlich wie die Tatsache, dass es heute fast gänzlich aus dem öffentlichen Bewusstsein getilgt ist. Erstaunlich auch deshalb, weil der Name der WPA, in Gestalt ihrer drei Buchstaben, bis heute ubiquitär im öffentlichen Raum zu lesen ist – in Stein gemeißelt an Brücken, Bürgersteigen, Strommasten und öffentlichen Gebäuden, die in den 1930er Jahren im Rahmen staatlicher Infrastrukturmaßnahmen erbaut wurden. Präsent sind im öffentlichen Bewusstsein heute höchstens die Kulturprojekte für arbeitslose Schriftsteller*innen, Theaterleute, Maler*innen, Grafiker*innen und Musiker*innen. In Gestalt etwa der Reiseführer der American Guide Series, einiger Wandgemälde in öffentlichen Gebäuden oder der sozialkritischen und experimentellen Stücke des Federal Theatre Project. Das Kunst- und Kulturprojekt »Federal One« beschäftigte mit seinen 37.000 Angestellten (über den Zeitraum seiner achtjährigen Existenz) allerdings nur einen Bruchteil derjenigen Arbeiter*innen, die über die WPA einen Gehaltsscheck vom Staat bekamen.
Anarchist*innen in der Behörde
Auch auf arbeitsrechtlicher Ebene brachte der New Deal erhebliche Fortschritte. Durch den National Labor Relations Act (NLRA) von 1935 verankerte Roosevelt auch das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren, in der Verfassung. Zugleich wurden Einrichtungen der Erwachsenenbildung aufgebaut, in denen Arbeiter*innen in ihren neuen Rechten unterrichtet wurden. Die Gewerkschaftsmitgliedschaft in den Vereinigten Staaten stieg in dieser Zeit von drei Millionen 1933 auf acht Millionen Mitglieder gegen Ende der 1930er. Dies war auch der Gründung des Congress of Industrial Organizations (CIO) zu verdanken, eines alternativen Gewerkschaftsbundes, der sich gegen die rassistische und elitäre Haltung der American Federation of Labor (AFL) positionierte und sich offen für Afroamerikaner*innen sowie für an- und ungelernte Arbeiter*innen zeigte. Die gewerkschaftsfreundliche Regierungspolitik stellte indes auch einen Versuch dar, einem Dilemma beizukommen: dass nämlich staatliche Projekte oft höhere Löhne zahlten als nicht-staatliche Arbeitgeber. Zudem wurden linke Akteure so in ein sozialpartnerschaftliches Modell integriert und potentieller Protest eingehegt. Der Erfolg dieser Strategie spiegelte sich unter anderem in der bis in die 1960er bestehenden »New Deal Coalition« wieder, die Gewerkschaften, afroamerikanische und jüdische Gemeinden, weiße Südstaatler*innen und andere traditionell linke und linksliberale Kräfte gemeinsam hinter der Politik Roosevelts vereinten.
Diese Befriedungspolitik war auch einer der Hauptkritikpunkte, den die damalige amerikanische Linke an der Politik des New Deals formulierte. Dennoch stand sie größtenteils hinter Roosevelt. Das lag auch an der Position der Komintern ab 1934, die angesichts des Aufkommens des Faschismus in Europa die Strategie der Volksfront verfolgte. Der Gedanke, ein breites Bündnis vom sozialdemokratisch-linksliberalen bis zum kommunistischen Lager bilden zu können, motivierte viele Linke. Sie begannen in Regierungsinstitutionen mitzuarbeiten, die wie zu keinem anderen Zeitpunkt in der amerikanischen Geschichte offen für den Einfluss linker Ideen waren. Anarchist*innen standen dem New Deal wie allen staatlichen Maßnahmen skeptisch gegenüber und bemerkten kritisch, dass auch Hitler und Mussolini Verstaatlichungsprozesse vorantrieben. Doch in Sachen Antifaschismus und vor allem in ihrer Solidarität mit der jungen spanischen Republik schlossen auch sie sich den vielfältigen linken Bündnissen an, die damals existierten. Viele fanden Arbeit in den Projekten der WPA.
Was bleibt
Was aber können wir aus heutiger Sicht von den Geschichten um den New Deal der 1930er Jahre lernen? Mit Blick auf die Dimension des staatlichen Kriseninterventionismus war der historische New Deal einzigartig, er bedeutet einen Bruch mit dem Laissez-faire-Kapitalismus und rückblickend den Beginn des Aufbaus eines modernen Wohlfahrtsstaats. Gleiches gilt für seinen programmatischen Einfallsreichtum und den menschenfreundlichen politischen Diskurs, der ihn begleitete. Die Wirtschaftspolitik setzte damals auf Maßnahmen, die heute als keynesianisch und antizyklisch bezeichnet werden. Alles in allem ein starker Kontrast zu den Austeritätspolitiken, die Regierungen seit Beginn des neoliberalen Zeitalters in Krisenzeiten implementierten. Für eine parlamentarische Linke bietet der historische New Deal heute vor allem ein wirkmächtiges Gegenbild, mit dem sich Politik machen lässt. Denn der Rückblick in die krisengeschüttelten 1930er Jahre ermöglicht es, dem heute gültigen Dogma der Sachzwänge ein Modell gegenüberzustellen, das Wirtschaft und Sozialstaat erfolgreich zusammengedacht und daraus erfolgreiche Instrumente des wirtschaftlichen, politischen und sozialen Krisenmanagements entwickelt hat. Im Kampf um Mindeststandards kann der Rekurs auf die Politik der Roosevelt-Administration dazu beitragen, nicht vor der übermächtigen neoliberalen Ideologie einzuknicken.
Für eine parlamentarische Linke bietet der historische New Deal heute vor allem ein wirkmächtiges Gegenbild, mit dem sich Politik machen lässt.
Der historische New Deal ist aber auch eine Schatzkiste voller Ideen. Spätestens seit der Finanzkrise um 2008 wird in der Linken die Forderung nach einem New Deal wieder lauter, doch selten wird ausformuliert, was das genau bedeuten soll. Der Blick zurück eröffnet eine ganze Galerie an politischen Maßnahmen, deren genauere Betrachtung lohnt. Mit dem »Green New Deal« der US-Demokrat*innen, insbesondere getragen durch Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez, nimmt zum ersten Mal ein solches Programm konkretere Formen an. Aus der Sicht einer linken Bewegung bleibt die Frage, ob es überhaupt wünschenswert ist, den Staat zum Krisenhelfer zu machen – gerade angesichts derzeit vorherrschender nationalistischer Tendenzen. Aber: Etwas Besseres als Austeritätspolitik sollte man sich zumindest vorstellen können.