Polizei ohne Rassismus gibt es nicht
Polizeigewalt trifft auch in Deutschland nicht alle gleich, Schwarze und Braune Menschen müssen mit besonders harten Konsequenzen leben
Von Debora Darabi, Eleonora Roldán Mendívil, Narges Nassimi und Lea P.
Rassismus in seiner kapitalistischen Form entspringt der kolonialen, internationalen Arbeitsteilung und Ausbeutung und entwickelte sich zum sozialen System der Unterdrückung in seiner heutigen, modernen Form weiter. In diesem strukturellen Rassismus kommen – abhängig von jeweils historisch spezifischen Gegebenheiten – unterschiedliche soziale Verhältnisse zum Ausdruck. So verdinglicht Rassismus die Beziehung von überausgebeuteter, migrantischer Arbeit, zu ausgebeuteter, nicht-migrantischer Arbeit und zu Kapital. Rassismus bringt also verkörperlicht die Hierarchisierung des Grades der Ausbeutung zum Ausdruck. Dies zeigt sich auch in der Entwicklung von Hautfarbe oder Augenform zu Unterscheidungsmerkmalen sozialer Gruppen.
Soziale Verhältnisse – wie die der imperialistischen Metropole zur kolonisierten Peripherie – werden so in physiologischen Charakteristika eingeschrieben. Im nächsten Schritt werden diese Charakteristika rassifiziert – wobei besonders dunkle Hautfarbe oder besonders schmale Augenform zum Beispiel zu einer Entsprechung von bestimmten, hierarchisierten sozialen Merkmalen werden. Im letzten Schritt erscheinen diese sozialen Merkmale schließlich losgelöst von spezifischen sozialen Verhältnissen als Natureigenschaften oder rassifizierte Merkmale von Menschen.
Die Polizei wiederum entstand aus der Notwendigkeit heraus, soziale und ökonomische Verhältnisse – feudale und später kapitalistische Klassenverhältnisse – mit Gewalt zu stabilisieren. (siehe auch Seite 10) In Deutschland bildete sich die mittelalterliche Polizei zunächst, um die Produktivität von Bauern/Bäuer*innen und Arbeiter*innen zu erzwingen. Bevor die Polizei zu einer eigenständigen Institution wurde, trieben unter anderem Landvögte (niedrige Adelige) den Gehorsam für die jeweiligen Landesherren ein. Die Aufgabe der Polizei – vom Römischen Reich Deutscher Nation über das Kaiserreich mit seiner Kolonialpolizei in den Deutschen Kolonien, über die Weimarer Republik, die NS-Zeit, die Entstehung von DDR und BRD und dann die kapitalistische Restauration in der DDR – war stets die gleiche: der Schutz der »öffentlichen Sicherheit und Ordnung« im Sinne der jeweils herrschenden Klasse; ob Monarchen, Sozialdemokraten oder Faschisten. Das ist auch heute noch ihr wesentlicher Auftrag.
Die Definition der Begriffe lag dabei stets in den Händen der herrschenden Klasse. Dementsprechend ist die eigentliche Aufgabe der Polizei zu verstehen als die Aufrechterhaltung der Produktionsverhältnisse und der aus ihr entspringenden Gesellschaft – inklusive ihrer Gesetze. Die Strukturen der Polizei haben sich mit den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen entwickelt, das heißt, während sie in der feudalen Gesellschaft den Landesherren dienten, stehen sie seit dem Aufkommen des Deutschen Kaiserreichs im Dienste eines nunmehr abstrakteren Staatsapparates, der vorgibt im Sinne »aller« Bürger*innen zu handeln.
Sie ist indes ein institutionalisierter und mit staatlichem Gewaltmonopol ausgestatteter Schlägertrupp, der die Wahrung der Interessen des Kapitals erzwingt, dazu gehört auch der Erhalt rassistischer Klassenspaltungen.
Alltag rassistischer Polizeigewalt
Nicht nur in den USA, wie nach dem Mord an George Floyd vielfach thematisiert, sondern auch in Deutschland ist Racial Profiling daher Alltag für viele nicht-weiße Menschen. Einer Studie aus dem Jahr 2017 zufolge hatten 14 Prozent der Schwarzen Menschen in Deutschland in einem Zeitraum von fünf Jahren Racial Profiling erlebt. Kontrollen und Übergriffe kommen dabei meist aus dem Nichts. So berichtet die Initiative Justizwatch von einem Schwarzen Mann, der in Berlin beim Joggen in der Hasenheide unvermittelt von der Polizei festgenommen, oder einem anderen, der beim Warten auf eine Verabredung in Gewahrsam genommen wurde.
Die eigentliche Aufgabe der Polizei ist die Aufrechterhaltung der Produktionsverhältnisse und der aus ihnen entspringenden Gesellschaft.
Eine Schweizer Studie zeigt zudem, dass Betroffene rassistischer Polizeikontrollen chronische Ängste entwickeln können. Das geht so weit, dass Betroffene ihr Leben an diese Bedrohung anpassen, bestimmte Orte meiden oder scheinbar banale Dinge wie Fahrradfahren nicht mehr tun. Rassistische Polizeikontrollen treffen oft schon Kinder im Alter von elf oder zwölf Jahren, wie in Berlin-Neukölln, Hamburg-Billstedt oder anderen proletarisch-migrantisch geprägten Bezirken deutscher Großstädte täglich zu sehen ist. Nicht selten wenden Polizist*innen Gewalt an, schüchtern die Betroffenen ein oder beleidigen sie rassistisch.
Auch rassistische Polizeimorde sind kein ausschließlich US-amerikanisches Problem. Sie finden auch in Deutschland statt. Dass die Fälle überhaupt Aufmerksamkeit erhalten, ist meist aktivistischer Arbeit zu verdanken, wie der der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) oder des Bündnisses Death in Custody (Tod in Polizeigewahrsam).
Über den Mord an Hussam Fadl durch die Berliner Polizei im September 2016 berichtete KOP ausführlich. Fadl lebte damals mit seiner Familie in einer Notunterkunft für Asylsuchende in Berlin-Moabit. Am Tag seines Todes wurde ein anderer Mann verdächtigt, seine Tochter vergewaltigt zu haben. Als die Polizei diesen abführte, eilte Hussam Fadl in seine Richtung – dann gehen die Erzählungen auseinander. Nach der polizeilichen Version hatte Hussam Fadl ein Messer in der Hand, woraufhin zwei Polizisten ihn zu Boden brachten und einer von ihnen »Vorsicht Messer!« gerufen haben soll. Sie ließen ihn wieder los, nahmen ihm aber das Messer, das sie gesehen haben wollen, nicht ab. Als Fadl aufstand und weiter auf den anderen Mann zulief, schossen die Beamten von hinten auf ihn. Eine von vier Kugeln traf ihn tödlich.
Andere Polizeibeamt*innen, die Fadl gegenüberstanden, sagten aus, sie hätten kein Messer gesehen. Auch Bewohner*innen des Lagers bestätigten, dass es kein Messer gab. Niemand außer den schießenden Beamten hatte ein Messer gesehen. Später wurde trotzdem ein Messer gefunden und von einem der Polizisten, die geschossen hatten, gesichert. Auf diesem wurden weder DNA-Spuren noch Fingerabdrücke von Fadl entdeckt.
Eine Klage wegen Totschlags wies die Staatsanwaltschaft zunächst mit der Begründung ab, die Beamten hätten wegen des Messers und der damit verbundenen Gefahr schießen müssen. Der zentrale Zeuge, jener Mann, den Fadl angeblich angreifen wollte, wurde überhaupt nicht vernommen, nicht gefragt, ob er ein Messer gesehen oder sich bedroht gefühlt habe. Inzwischen versucht die Familie, durch ein Klageerzwingungsverfahren die Ermittlungen voranzubringen.
Statt solche Fälle rechtlich aufzuarbeiten und die Polizist*innen zur Rechenschaft zu ziehen, schützen staatliche Institutionen die Täter*innen. Sie ignorieren systematisch widersprüchliche Tatsachen und stehen zum Schluss ohne Ausnahme bei der offiziellen Polizeiversion. In Deutschland werden 90 Prozent der Verfahren wegen Polizeigewalt eingestellt, nur zwei Prozent landen überhaupt vor Gericht.
Zuspitzung in Zeiten von Corona
In Krisenzeiten wenden kapitalistische Staaten besonders aggressive Mittel an, um die bestehenden kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse zu sichern. In letzter Zeit kam es beispielsweise wegen der katastrophalen Lage des rassistischen Lagersystems zu Protesten, etwa zum Hungerstreik von hundert Geflüchteten in Halberstadt (Sachsen-Anhalt). Auch im Ankerzentrum in Geldersheim (Bayern) kam es am 18. Mai zu einer Demonstration gegen die Quarantänemaßnahmen, nachdem 137 der knapp 600 Asylsuchenden positiv auf Corona getestet, aber daraufhin auf engstem Raum unter Quarantäne gestellt worden waren. Die Polizei setzte auch noch nachts Pfefferspray und Schlagstöcke ein und war mit Hubschraubern vor Ort, um Proteste zu ersticken. (ak 660)
Diese neue Stufe rassistischer Gewalt gegenüber Asylsuchenden ist nur im Verhältnis zu den Lebensbedingungen in den Lagern zu verstehen. Die Corona-Krise eskaliert die Realität eines Lagersystem, das Körper kontrollieren und Schutzsuchende vom Grenzübertritt abschrecken soll.
Die neuen Corona-Verordnungen ermöglichen es der Polizei nun, verstärkt alle, die phänotypisch nicht der weißen Norm entsprechen, zu kontrollieren und zu kriminalisieren. So trafen die Polizeikontrollen der vergangenen Wochen im Görlitzer Park (Berlin) nur Schwarze Menschen, obwohl sie alleine und mit Mindestabstand auf den Stufen vor dem geschlossenen Biergarten saßen. Ein weiteres Beispiel ist der Fall des 23-jährigem Omar Ayoub und seiner Familie, die aufgrund einer vermeintlichen Ruhestörung und eines »Verstoßes gegen die Coronavirus-Schutzverordnung« im Essener Stadtteil Bochold von der Polizei in ihrer Wohnung brutal zusammengeschlagen wurden. Aus anderen Städten gibt es ähnliche Berichte, die mittlerweile unter dem Hashtag #CoronaPolizei gesammelt werden.
Etwas mehr »Diversität« wird nichts ändern
Um der rassistischen Polizei entgegenzuwirken, gibt es unterschiedliche Vorschläge und Forderungen nach Fortbildungsprogrammen oder unabhängigen Beschwerdestellen außerhalb der Polizei. Der Widerspruch zur Funktion der Polizei im Kapitalismus ist jedoch immer präsent, da diese Institution in dieser Gesellschaftsform nicht frei von rassistischer Gewalt agieren kann.
Deshalb ist die Annahme, durch etwas mehr »Diversität« oder »Vorurteilsworkshops« in den Polizeischulen würden sich Probleme wie rassistische Polizeigewalt verringern, ein Trugschluss. Denn diese Polizeigewalt ist kein Fehler Einzelner, der behoben werden muss, sondern konstitutiver Bestandteil der Institution seit ihrer Entstehung. Die Polizei entstand, um eine rassistische, kapitalistische Gesellschaft zu verteidigen. Solange sie diese Aufgabe hat, ist nicht entscheidend, wer – »mit Migrationshintergrund« oder ohne – letztlich vom Schlagstock oder der Waffe Gebrauch macht.