Die Abschiebung des Herrn H.
Einblicke in den Abschiebeknast Büren zeigen, warum die Abschiebepraxis abgeschafft werden muss
Von Ausbrechen Paderborn und AK Asyl Göttingen und Witzenhausen
Am 9. Januar 2020 wurde Herr H. aus dem Abschiebeknast in Büren in Nordrhein-Westfalen nach Marokko abgeschoben. Der 35-jährige hatte viele Jahre in Europa unter prekären Bedingungen gelebt. Insgesamt verbrachte er drei Monate in der Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige (UfS) Büren, Nordrhein-Westfalen. Zuvor hatten Freund*innen, Vereine und Anwält*innen vergeblich versucht, seine Abschiebung zu verhindern und eine Haftentlassung zu erwirken. Herr H. ist suizidgefährdet, er hat mehrere Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken und Suizidversuche hinter sich. Seine Zeugnisse und die anderer Gefangener zeichnen das Bild einer menschenverachtenden Abschiebepraxis, die psychische Erkrankungen bewusst ignoriert, durch Gewalt- und Zwangsmaßnahmen drastisch verschlimmert und das Leben von Menschen gefährdet.
»Der schlimmste Ort, den ich je gesehen habe«
Aus dem Bericht der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter von 2018 geht hervor, dass in der beschönigend bezeichneten Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige bzw. Abschiebeknast Büren, die Lebensbedingungen der Gefangenen unhaltbar sind und massiv in Grund- und Persönlichkeitsrechte eingreifen. Die Bedingungen im Abschiebeknast Büren unterscheiden sich fast nicht vom Strafvollzug, obwohl sie es laut Gesetz deutlich tun müssten. (1) So sei es an der Tagesordnung, dass Menschen ohne rechtliche Grundlage in Einzelhaft gesteckt würden. Das bedeutet die völlige Isolation der Personen von anderen Gefangenen, mit nur täglich einer Stunde Einzelhofgang. Gleich zweimal innerhalb von drei Monaten setzte die Leitung Herrn H. ohne Angaben von Gründen in Isolationshaft. Auch kürzte ihm die Leitung den Hofgang auf die Hälfte der üblichen Zeit.
In Büren werden routinemäßig Durchsuchungen mit kompletter Entkleidung durchgeführt – ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und eine erniedrigende Praxis. Das gilt auch für die permanente unverpixelte Kameraüberwachung aller Räumlichkeiten des Knastes, die nicht einmal vor den Toiletten Halt macht. Diese Aufnahmen sind für Bedienstete jeden Geschlechts einsehbar.
Die Liste von Bestrafungen bei »Fehlverhalten« ist lang: Telefonate und Besuche können verboten werden, ebenso das Empfangen von Post. Menschen können in Isolationshaft genommen werden. Dies geschieht regelmäßig nach »Verstößen gegen die Sicherheit und Ordnung«, welche allein auf Annahmen der Knastleitung fußen, und nach Widersetzungen gegen Abschiebungen. Dabei gibt es kein unabhängiges Beschwerdemanagement. Herr H. sagte bei einem Besuch von Unterstützer*innen über den Abschiebeknast Büren: »Das ist der schlimmste Ort, den ich je gesehen habe, bitte holt mich raus.«
Herr H. musste viele dieser Bestrafungen am eigenen Leibe erfahren. Nachdem er einen Suizidversuch unternommen hatte, reagierte die Einrichtung mit drakonischen Maßnahmen. An Händen und Füßen gefesselt, brachten Bedienstete des Knastes Herrn H. ins Krankenhaus, während des mehrstündigen Aufenthalts dort wurden die Fesseln kein Mal gelöst. Den Kontakt zu einer externen Psychiatrie verweigerte man ihm, stattdessen kam Herr H. für zwei Wochen in Isolationshaft, wo ihm sämtliche Bedürfnisse verwehrt wurden: frische Luft, Obst, Handy, Zigaretten. Seine Zelle war unter permanenter Beobachtung und ständig mit Neonlampen ausgeleuchtet. Mehr als ein Tuch als »Kleidungsstück« durfte er nicht tragen. Gemäß der sogenannten Lebendkontrolle wurde er gezwungen, alle 15 Minuten zu melden, dass es ihm gut gehe.
Die Angestellten des Knastes durchsuchten jeden zweiten Tag seine Zelle und drohten ihm mit dem »Keller«. Der »Keller« besteht aus Isolationszellen unter der Erde, wo keinerlei private Gegenstände erlaubt sind und es keinen Hofgang gibt, ständig läuft Musik. Herrn H.s Berichten zufolge trafen die Angestellten des Knastes willkürlich Entscheidungen darüber, was ihm erlaubt war und was nicht: »Morgen darfst du vielleicht eine Banane kaufen«, »vielleicht kannst du den Verein Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren treffen«, »vielleicht kannst du morgen Sport machen«. So wurde er in permanenter Ungewissheit gehalten, was psychisch destabilisierend wirken kann.
Keine Rücksicht auf die psychischen Verfassung
Abschiebehaft, insbesondere unter diesen Bedingungen, stellt eine psychische Bürde dar, welche die schon bestehende Belastung durch die bevorstehende Abschiebung noch weiter verschärft. Zudem werden Menschen inhaftiert, die keine Straftat begangen haben – im Gegenteil: Die dort eingesperrten Menschen sind oft selbst Überlebende schwerer psychischer oder physischer Gewalt – oft sind diese Gewalterfahrungen der Grund, weshalb sie hier sind. Durch Abschiebehaft können Traumatisierungen leicht reaktiviert werden.
Wie wenig die Knastleitung auf die Situation der Inhaftierten Rücksicht nimmt und wieviel Menschenverachtung sie ihnen entgegenbringt, verdeutlicht der Bericht der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter: Zum Besuchszeitpunkt der Organisation im Januar 2018 gab es nicht einmal eine psychologische Betreuung in Büren – während zum selben Zeitpunkt ein offen sichtbares Fixierbett in einem Zellenflur stand, offenkundig eine Drohung an die Inhaftierten. Zu der Menschenverachtung kommt die Rechtlosigkeit: Es gibt willkürliche Zwangsmaßnahmen, ohne wirksame rechtliche Einspruchsmöglichkeiten und ohne unabhängiges Beschwerdemanagement. Darüber hinaus sitzen laut Zahlen des Rechtsanwaltes Peter Fahlbusch und dem Verein Hilfe für Menschen in Abschiebehaft in Büren e.V. fast die Hälfte aller Inhaftierten unrechtmäßig in Abschiebehaft.
Abgeschoben trotz Suizidgefahr
Den Eilantrag der Anwältin von Herrn H. gegen die Abschiebung wegen Reiseunfähigkeit durch eine schwere psychische Erkrankung, die durch ärztliche Unterlagen belegt wurde, lehnte das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen ab. Die Begründung: Es reiche aus, wenn für eine Begleitung des Betroffenen während der Abschiebung bis zur Landung in Marokko gesorgt werde. Gegen 14 Uhr am Tag vor der Abschiebung wurde Herr H. in Isolationshaft gesteckt: Handy, Zigaretten, Kleidung und Geld wurden ihm weggenommen; bei seinem einzigen erlaubten Anruf erzählte er, dass er blute, ohne sich dies erklären zu können. Wie wir später erfuhren, hatte er aus Verzweiflung solange mit der Faust gegen die Knasttür geschlagen, bis er einen Anruf gewährt bekam. Er berichtete, das Personal habe ihm schlimme Sachen gesagt, besonders ein Mitarbeiter sei ihm gegenüber sehr aggressiv gewesen.
Trotz zweier Anwält*innen sowie mehrerer Vereine und Einzelpersonen, die sich für einen Abschiebestopp einsetzten, wurde Herr H. am 9. Januar 2020 gegen seinen Willen abgeschoben. Im Abschiebeflieger der Airline Royal Air Maroc saßen außer Herrn H. acht weitere Menschen, die ebenfalls abgeschoben wurden, und mehr als 20 Polizist*innen als Begleitung. Herr H. wurde aufgrund seiner Suizidalität von einem Arzt begleitet, der ihm, so Herr H., wiederholt angedroht habe, ihm eine Beruhigungsspritze zu geben, um Widerstand im Flugzeug zu unterbinden. Den ganzen Flug über war Herr H. an Händen, Füßen und am Rumpf fixiert. Im Knast in Büren sei ihm selbst das gesetzlich verpflichtende Taschengeld abgenommen worden. Nach der Ankunft in Marokko hielt ihn ein Polizist auf, er kam erst nach einem zweistündigen Gespräch und einer Zahlung von 30 Euro frei, die ihm ein*e Passagier*in im Flugzeug gegeben hatte.
H.s Geschichte ist kein Einzelfall, sondern unmenschlicher Alltag in der Abschiebeindustrie. Bei den Menschen, die durch das deutsche Asylsystem in solch entwürdigende Lebenssituationen gezwungen werden, handelt es sich um Menschen auf der Suche nach einem sicheren und guten Leben. Deshalb müssen Einrichtungen wie der Abschiebeknast in Büren mit seinen Foltermethoden und Erniedrigungen aus der Deckung gesellschaftlicher Akzeptanz geholt, das System, das solch eine Praxis kreiert, muss abgeschafft werden.
Anmerkung:
1) Nationale Stelle zur Verhütung von Folter. Besucherberichte 2018 www.nationale-stelle.de