Ihr Affen!
Mit »Die Kränkungen der Menschheit« stellt die Regisseurin Anta Helena Recke die fiktive Ordnung des alten weißen Mannes infrage
Von Carina Book
Hollywood hat die Oscars, und die deutschsprachige Theaterszene hat die Berliner Theatertreffen. Nachdem Anta Helena Recke schon mit der selbst proklamierten »Schwarzkopie« der MITTELREICH-Inszenierung von Anne-Sophie Mahler zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde (gleiches Bühnenbild, Kostüm, Text, jedoch statt eines komplett weißen ein komplett afrodeutsches Ensemble), hat sie für dieses Jahr bereits ebenfalls eine Einladung erhalten: Mit ihrem Stück »Die Kränkungen der Menschheit« führt uns die Regisseurin in eine konzeptuell scharf gedachte und komplexe Dekonstruktion weißen Universalismus.
Sie seziert die drei von Sigmund Freud attestierten Kränkungen der Menschheit: Kopernikus‘ Entdeckung, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums ist; Darwins Erkenntnis, dass der Mensch vom Affen abstammt und Freuds eigene Forschung über das Unterbewusstsein, die zeigte, dass der Mensch nicht Herr im eigenen Haus ist. Kopernikus, Darwin und Freud stehen dabei exemplarisch für eine bestimmte Wissensproduktion und Erforschung der Welt: nämlich aus einer weißen, männlichen und eurozentrischen Perspektive, die den Anspruch auf universelle Gültigkeit erhebt, dabei jede weitere Perspektive als »andere« markiert und zugleich nicht vorkommen lässt. Im Mittelpunkt der Arbeit steht dabei der weiße Forscher, bzw. das weiße Labor, sinnbildlich für eine konstruierte Whiteness, der Stück für Stück der Lack abgeht.
Denn Recke ergänzt Freud um eine vierte Kränkung: die Erkenntnis, dass es nicht die eine weiße Menschheit gibt. Recke versteht Kränkungen dabei eher als Desillusionierungen, als Möglichkeitsräume für Umwälzung und Erneuerung, denn als Verletzungen. Das motiviert, sich den ständigen Perspektivwechseln und Orientierungslosigkeiten hinzugeben, die Recke den Zuschauer*innen abverlangt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Zuschauer*innen eine fünfte Kränkung erfahren, wenn die zeitweise sperrige Überlagerung der Bilder einen gelegentlich die Orientierung verlieren lässt. Darin liegt aber die Chance, eine fiktive Ordnung ganz und gar in Frage stellen zu können, etwas Neues entstehen zu lassen.
Der Bühnenraum changiert binnen 60 Minuten zwischen einem von den Schauspieler*innen naturalistisch performten Affenhaus, in dem eigentlich alle gleich sind, und einer Kunstausstellung, in der sich eine westlich geprägte Kunstkennertruppe pseudo-schlau über ein Bild austauscht, auf dem eine Gruppe nicht-weißer Menschen ein Bild von van Gogh betrachten. In aller Ruhe und Ausführlichkeit schwadronieren die Voyeure über die Gründe, Gefühle, Ideen und Interpretationen der Menschen auf dem Bild, stülpen ihre eurozentrische Deutungen über sie. So wie wahrscheinlich die meisten Zuschauer*innen sich derweil längst einen Reim gemacht haben, was uns die Künstlerin damit sagen will. Die Grenzen zwischen den Performenden und dem Publikum verschwimmen hier trotz der Verwendung klassischer Theatermittel so sehr, dass einem fast wörtlich der Spiegel vorgehalten wird.
Das Stück, das streckenweise fast textlos inszeniert ist, endet mit dem weißen Labor, das sich um die eigene Achse, also um sich selber dreht. Es wird dabei von zwei Duzend Frauen, mehrheitlich Women of Colour, umlaufen, die in ihren von Blau über Grün, Gelb, Orange bis Rot gruppierten Gewändern einen Strudel bilden, ein Farbspektrum aufmachen, wie gebrochenes Licht. Die Stimme aus dem Off kommentiert, das weiße Labor sei zwar Messpunkt, nicht aber Begrenzung und gibt den Zuschauenden damit einen freundlichen Hinweis zur Emanzipation. Anta Helena Recke schafft es gleichzeitig die universelle Herrschaft des alten weißen Mannes anzugreifen, neue emanzipatorische Perspektiven zu eröffnen und eine deutliche Botschaft in die Kulturlandschaft zu senden: Ihr Affen, die Tage der weiß-dominierten »Hochkultur« sind gezählt.