Der große Bluff vom grünen Wachstum
Ökologische Nachhaltigkeit bedarf der industriellen Abrüstung
Von Bruno Kern
Von der US-amerikanischen Linken bis zur EU-Kommissionspräsidentin ist das Schlagwort vom »Green New Deal« derzeit in aller Munde. Mittels zum Teil gigantischer Investitionsprogramme soll in alter keynesianischer Manier das Wirtschaftswachstum stimuliert und gleichzeitig auf ökologische Nachhaltigkeit getrimmt werden. In Deutschland ist es vor allem die »Memorandum-Gruppe« unter der Federführung Rudolf Hickels, die in ihrem jährlichen alternativen Wirtschaftsbericht bereits seit Jahrzehnten unter anderem die Erhöhung der Staatsausgaben im Umweltbereich, auch unter Inkaufnahme von Defiziten im öffentlichen Haushalt, als den Königsweg aus der Misere anpreist. Sieht man sich die konkreten Vorschläge allerdings genauer an, dann erinnern sie allzu oft an Keynes‘ Wort vom »Löcher graben und Pyramiden bauen«. Neben Defensiv- und kompensatorischen Maßnahmen setzt die Memo-Gruppe vor allem auf Investitionen in eine neue ökologische Infrastruktur.
Ein tragfähiges Konzept zur Ankurbelung der Wirtschaft wäre das allerdings nur, wenn dieser Investitionsbedarf dauerhaft anfiele, was ja gerade voraussetzt, dass er ökologisch kontraproduktiv ist. Je ungünstiger etwa die Energiebilanzen von erneuerbaren Energiequellen sind, umso kürzer sind die Zyklen der Erneuerung der entsprechenden Anlagen. Nun gibt es nicht nur in Deutschland tatsächlich in vielen Bereichen zurzeit einen erheblichen Investitionsbedarf, etwa für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Diese ökologisch dringend notwendigen Maßnahmen sind aber zunächst mit einem Zuwachs an materiellen Bestandsgrößen und mit einem entsprechenden Energie- und Ressourcenverbrauch verbunden. Das bedeutet: Angesichts der zu erreichenden CO2-Reduktionsziele muss das, was wir an Ressourcen und Energie in die Schaffung einer ökologischen Infrastruktur stecken, an anderer Stelle durch umso konsequenteren Rückbau, durch umso entschiedenere Absenkung des absoluten Verbrauchs, ausgeglichen werden. Anders geht die ökologische Rechnung nicht auf.
Fehlende Gesamtrechnung
Wer ein Wachstumsprogramm mit grünen Inhalten verkaufen will, der trägt die Beweislast dafür, dass sich das BIP-Wachstum in genügendem Maß vom Energie- und Ressourcendurchsatz abkoppeln ließe. Genau diesen Beweis aber können die Verfechter eines Green New Deal nicht führen. Sie ziehen sich allenfalls auf beeindruckende Einzelbeispiele zurück, ohne die Gesamtrechnung aufzumachen. Legt man die notwendigen Reduktionen zugrunde, um das in Paris definierte Ziel zu erreichen, die durchschnittliche Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken, so müsste sich bis zum Jahr 2050 die technische Effizienz um mehr als das Zwanzigfache erhöhen!
Im Zeitraum von 1970 bis 1990 konnte man in den OECD-Ländern tatsächlich eine relative Entkoppelung im signifikanten Ausmaß verzeichnen, das heißt: Der Energie- und Ressourcendurchsatz stieg aufgrund von technischen Innovationen langsamer an als das BIP-Wachstum. Dieser Prozess ist aber inzwischen an sein Ende gelangt oder hat sich in Bezug auf etliche wichtige Rohstoffe sogar ins Gegenteil verkehrt. Dieser Befund sollte eigentlich nicht überraschen, ist er doch lediglich die empirische Bestätigung dafür, dass Effizienzsteigerungen dem Gesetz des abnehmenden Ertragszuwachses unterliegen, das heißt: Je mehr Effizienzpotenziale ich auf einer Ressource, einen Verfahren etc. bereits herausgeholt habe, um so aufwendiger wird es, zusätzliche Effizienzpotenziale zu erschließen. In den OECD-Ländern gibt es seit den 1990er Jahren keine nennenswerten Effizienzsteigerungen mehr. In der BRD ist diese Entwicklung aufgrund des Sonderfaktors DDR etwas zeitverzögert ab etwa 2000 zu beobachten.
Eine relative Entkoppelung wäre jedoch in der gegenwärtigen Situation völlig nutzlos. Die erforderliche Reduktion des Energie- und Ressourcenverbrauchs in dem Maße, wie sie für die Einhaltung des Paris-Zieles notwendig wäre, gelänge eben nur durch absolute Entkoppelung im oben beschriebenen Sinne und ist mit einem weiteren BIP-Wachstum nicht mehr vereinbar.
Erneuerbare Energien sind nicht unerschöpflich
Beispiel erneuerbare Energie: Deren Potenziale wurden in der Vergangenheit so hoch veranschlagt, dass sich die Gleichsetzung »erneuerbar = unerschöpflich« in den Köpfen der Menschen festgesetzt hat. Insgesamt hat Deutschland zurzeit einen jährlichen Endenergieverbrauch von etwa 2.500 Terawattstunden. Erneuerbare Energien, die hierzulande aufgrund geografischer und anderer Voraussetzungen erschlossen werden könnten, haben ein Potenzial von nicht mehr als 800 Terawattstunden.
Die derzeitige Diskussion um eine politische »Deckelung« des Ausbaus erneuerbarer Energien ist zum Teil durchaus berechtigt, verschleiert aber den grundsätzlichen Sachverhalt der beschränkten Potenziale. Die heftige Auseinandersetzung um die Abstandsgebote für Windräder etwa wäre überflüssig, wenn wir nicht insgesamt mit dem Problem zu tun hätten, dass geeignete Standorte, die die genügende Durchschnittswindgeschwindigkeit für das effiziente Betreiben einer Windkraftanlage aufweisen, sehr knapp sind. Die Fotovoltaik wird in Deutschland allein aufgrund der geringen jährlichen Sonnenstundenzahl eine eher untergeordnete Bedeutung haben. Mit Recht wird bezweifelt, ob sie in vielen Regionen überhaupt eine positive Energiebilanz aufweisen kann, das heißt, ob sie gemessen an dem für die Anlagen erforderlichen Energieinput überhaupt Nettoenergie abwirft. Zumindest bei einer ehrlichen Bilanzierung, die den gesamten Produktionsprozess anteilmäßig berücksichtigt, ist das fraglich.
Es gibt bei uns ein Tabu, das fast durchweg geteilt wird – vom Großteil der Ökologiebewegung angefangen über renommierte Institute und Umweltorganisationen bis zu den Bündnisgrünen: Über absolute Verbrauchsreduktionen darf tunlichst nicht geredet werden. In fast allen einschlägigen Studien und Energiewendeszenarien ist bereits die Ausgangsfragestellung verkürzt. Gefragt wird lediglich danach, was an fossilen Energien in welchem Zeitraum substituiert werden kann. Dabei bleibt man den konkreten Nachweis meist schuldig, welche Potenziale überhaupt vorhanden sind, oder propagiert imperialistische Konzepte wie etwa Wasserstofferzeugung im großen Stil in Nordafrika, Elektromobilität, die allein aufgrund des knappen Rohstoffs Lithium lediglich für eine kleine Elite in den Industrieländern machbar ist und deren ökologische Folgekosten – noch – nicht bei uns anfallen.
Ökologische Ordnungspolitik
Ökologische Nachhaltigkeit bedarf aber eines geordneten Rückbaus, beherzter Schritte einer industriellen Abrüstung. Wollen wir nicht in eine nicht mehr kontrollierbare Dynamik hineingeraten, dann kommt es darauf an, rasch mit den jetzt schon zur Verfügung stehenden Mitteln, vor allem der Ordnungspolitik, erhebliche Reduktionen durchzusetzen. »Marktkonforme« Steuerungsinstrumente wie Ökosteuern oder Zertifikatehandel greifen hier zu kurz, weil sie im besten Fall Reduktionen nur so weit stimulieren können, wie diese durch Effizienzsteigerungen, technische Innovationen, kreative Verfahren usw. zu bewerkstelligen sind. Würde man den CO2-Preis so gestalten, dass das Pariser 1,5-Grad-Ziel tatsächlich erreicht werden könnte, dann zöge dies den weitgehenden Zusammenbruch der Ökonomie nach sich. Die Alternative dazu ist ein bewusst eingeleiteter Schrumpfungsprozess der Ökonomie bis zu einem Zustand des stabilen Gleichgewichts (»steady state«), der letztlich die Anarchie einzelner Profitinteressen durch eine wirtschaftliche Gesamtplanung ersetzen muss.
Es gibt ein Tabu: Über absolute Verbrauchsreduktionen darf tunlichst nicht geredet werden.
Der Weg in diese Richtung, den es jetzt entschlossen einzuschlagen gilt, ist mutige Ordnungspolitik: Anstelle von wirkungslosen CO2-Abgaben auf Flugtickets à la Macron wären Kurzstreckenflüge unter 1.000 km schlicht zu verbieten. Für Fernflüge könnte man Kontingente vergeben, die jedem Einzelnen eine bestimmte Anzahl von Flügen zugestehen. Aufgrund der erheblichen ökologischen Folgekosten der batteriebetriebenen Elektroautos, der knappen Lithium-Vorräte und der schlechten Energiebilanz anderer Antriebe (E-Fuels, Wasserstoff) kann die Konsequenz nur lauten: Ausstieg aus der Absurdität des motorisierten Individualverkehrs. Das würde bedeuten: Ab spätestens 2035 keine Zulassung mehr von PKWs für den rein privaten Gebrauch. Auch in der Landwirtschaft wäre nicht in erster Linie bei Anreizen für Konsument*innen anzusetzen, sondern bei den Produktionsbedingungen. Das würde eine Neudefinition der sogenannten »guten fachlichen Praxis« für die gesamte Landwirtschaft nach Kriterien des ökologischen Landbaus beinhalten. Die Mindestanforderungen sind: vollständiges Verbot von Futtermittelimporten, Flächenbindung bei der Tierhaltung (1,2 Großvieheinheiten pro Hektar), weitgehender Verzicht auf Herbizide, Pestizide, Antibiotika und Kunstdünger etc.
Klugerweise wird eine ökologische Ordnungspolitik, die die Mehrheit der Menschen gewinnen will, mit Maßnahmen beginnen, die nicht den Lebensstandard der Menschen, sondern lediglich »kapitalistischen Leerlauf« betreffen. Gesetzlich vorgeschriebene Gewährleistungsfristen können die sogenannte geplante Obsoleszenz, den beabsichtigten Verschleiß von Gebrauchsgütern, unterbinden. Energieaufwendige Verpackungen wie etwa Weißblech-Aluminium-Dosen für Getränken können schlichtweg verboten werden, für viele Bereiche des täglichen Konsums (Lebensmittelkonserven oder Reinigungsmittel) können verbindlich Mehrwegsysteme eingeführt werden. Selbstverständlich ist die Rüstungsproduktion sofort zu beenden. Es ist ja an Absurdität nicht mehr zu übertreffen, sich mit diesem erheblichen Ressourcenaufwand auf künftige Kriege um knappe Ressourcen vorzubereiten.
Die zurzeit verbreiteten Technikfantasien haben erkennbar nur den einen Sinn: der eigentlich politischen Frage auszuweichen, wie wir auf einer wesentlich schmaleren materiellen Ressourcenbasis eine solidarische Gesellschaft errichten.