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|ak 660 | Diskussion |Reihe: Planwirtschaft

Gegen den Markt, aber für den Plan?

Ökosozialistische Antworten auf die Klimakrise brauchen eine Reflexion der Geschichte von Planwirtschaften

Von Bernd Gehrke

Mit ihrem Artikel »Mit Plan gegen die Klimakrise« haben Philip Broistedt und Christian Hofmann (ak 658) verdientermaßen deutlich gemacht, dass die anstehende Klimakatastrophe mit den Mitteln markt- und kapitalförmiger Regulation nicht verhindert werden kann. Richtigerweise haben sie darauf hingewiesen, dass angesichts der Kürze der verbleibenden Zeit, in der die Menschheit noch regulierend in die Prozesse der Klimaerhitzung einzugreifen vermag, realistisch denkende bürgerliche Ökonom*innen heute bereits über die Notwendigkeit von Notstandsmaßnahmen und Kriegswirtschaft diskutieren. Die Autoren machen die Dringlichkeit einer linken Alternative zu den marktförmigen Instrumenten als Antworten auf die Klimakrise deutlich.

Worin besteht nun die von ihnen formulierte ökonomische Alternative? »In letzter Instanz« ginge es um die Überwindung der Anarchie der kapitalistischen Produktion, die durch die Wert- und Warenform der Produktion von Privaten für den Markt konstituiert wird und das Ziel der Profitmaximierung erzeugt. Broistedt/Hofmann schreiben: »Würden die Produktionsmittel der Gesellschaft gehören, könnte man mit den zur Verfügung stehenden Arbeitskräften sowie den natürlichen und menschengemachten Ressourcen rational planen. Die Produkte würden dann nicht mehr als Waren produziert und die geplante Arbeit wäre nicht mehr Quelle von Wert.«

Dieses Zitat – weitere ließen sich anführen – zeigt, dass die ökonomische Antwort der Autoren auf die Klimakrise auf das Wiederholen der Idee einer sozialistischen Gesellschaft beschränkt ist, wie sie lange vor der Klimakrise in der Industrialisierungsphase der kapitalistischen Gesellschaft im 19. Jahrhundert von Marx und Engels gedacht wurde.

Eine sozialistische Gesellschaft darf keineswegs als konfliktfreie utopische Harmonie begriffen werden.

Wer Broistedts/Hofmanns Vorschlag einer später sogenannten sozialistischen Planwirtschaft liest, wird feststellen, dass ihre Grundgedanken in manchem jenen entsprechen, mit denen Friedrich Engels seine und die von Marx über eine sozialistische Ökonomie in seinen Arbeiten über »Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft« sowie im »Anti-Dühring« zusammenfasste. Davon abgesehen, dass der Verweis auf die Ideengeber fehlt, und auch in ihrem Buch »Goodbye Kapital« Engels nicht einmal erwähnt wird, ist die bloße Wiederholung dieser Ideen eineinhalb Jahrhunderte später für die Diskussion peinlich. Als gäbe es seither weder Erfahrungen noch Debatten über sozialistische Ökonomien und Planwirtschaften, werden diese völlig ignoriert.

Doch ohne (diskursive) Aneignung der Erfahrungen und theoretischen Reflexionen von linken Autor*innen des 20. Jahrhunderts, kann es keine Theorie einer künftigen ausbeutungsfreien Gesellschaft geben. In deren Texten finden sich nicht nur verschiedenste Vorstellungen einer Ökonomie auf der Grundlage gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln, sondern auch scharfe kritische Auseinandersetzungen mit den Verhältnissen etwa im Ostblock. Allein für die DDR sei auf Fritz Behrens und Arne Benary verwiesen. (1)

Wer ist die Gesellschaft?

Broistedt/Hofmann gehen davon aus, dass »der Gesellschaft« die Produktionsmittel »gehören« und »die Gesellschaft« Produktion sowie Arbeitskräfte plane. Doch wer ist »die Gesellschaft«, was bedeutet, ihr »gehören« die Produktionsmittel? Bei den beiden Autoren erscheint die Gesellschaft als eine Art essenzielle Wesenheit, als Substanz. Engels, der im Anti-Dühring eine ähnliche Formulierung gebraucht wie Broistedt/Hofmann, verweist aber zugleich darauf, dass die von ihm antizipierte »Gesellschaft« die der assoziierten Produzent*innen ist, die Gesellschaft hat also die Form der Assoziation, des freien Zusammenschlusses der Produzent*innen. Die Unterschlagung der Form von nachkapitalistischer »Gesellschaft« als »Assoziation«, als »Verein freier Menschen«, als »Genossenschaft« blendet gerade jenes spezifische, auf der freien Individualität beruhende (Produktions)Verhältnis aus, welches die »Produktionsweise der assoziierten Arbeit« (Marx) konstituieren soll.

Die Argumentation von Broistedt/Hofmann verbleibt letztlich im bürgerlichen Verständnis einer »rationalen Gesellschaft«; die Planung erscheint so nur noch eine rein technische Angelegenheit zu sein. Dass sie auch ein Produktionsverhältnis sein könnte, problematisieren die Autoren nicht. Die von ihnen vorgestellte Planwirtschaft ähnelt jenem von Marx im »Kapital« entwickelten Begriff der »Kooperation«, des planmäßigen Zusammenwirkens »vieler Hände« unter dem Kommando eines »Meisters«, realiter fremdbestimmte Kooperation unter der Kontrolle des Kapitals etwa in der Fabrik. Doch selbst wenn die ganze Gesellschaft zur Fabrik ohne privates Kapital wird, um unter dem Kommando neuer »Meister« planmäßig zusammenzuarbeiten, entsteht keine sozialistische Wirtschaft. Nur dann und erst dort erhält die Kooperation einen sozialistischen Charakter, wo die freie Vereinigung freier Produzent*innen das bestimmende Produktionsverhältnis und der Ausgangspunkt aller Produktion ist.

Wer plant wen?

Mit den »zur Verfügung« stehenden Arbeitskräften sowie den natürlichen und menschengemachten Ressourcen könnte man »rational planen«, heißt es bei den Autoren. Es bleibt die Frage: »Wer plant da wen, was ist für wen rational?« Zudem: Der Plan ist das eine, die Realität seiner Umsetzung etwas anderes. Wie das Verhältnis zwischen den Planenden und den ihnen »zur Verfügung stehenden Arbeitskräften« ist, wird nicht einmal als Problem angedeutet. Und wie kommen Arbeitskräfte und andere gesellschaftliche Ressourcen zusammen? Per Befehl, per moralischem Appell oder durch Verlockung? Die Geschichte von Planwirtschaften kennt »Arbeitsarmeen« mit drakonischen Strafen, Bewusstseinskampagnen und Lockungen mit hohen Einkommen.

Darüber hinaus soll die empirische Grundlage dieser Planung den Autoren zufolge die durchschnittliche gesellschaftliche Arbeitszeit zur Herstellung eines Produktes sein. Selbst wenn es realisierbar wäre, dass die nahezu unendliche Vielfalt von Produkten, möglichen oder wirklichen Ressourcen einer Weltgesellschaft in einem Supercomputernetzwerk berechenbar wäre, stellt sich ein Problem, welches nicht nur eine Rechenaufgabe ist: Die durchschnittliche gesellschaftliche Arbeitszeit ist selbst Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse. Sie ist abhängig von einem sich nicht nur verändernden gesellschaftlichen Bedarf, sondern auch von einem höchst relativen Bedarf, der selbst abhängig ist von der Veränderung des durchschnittlichen gesellschaftlichen Arbeitsaufwandes.

Die von Engels schon früh benannte »Abwägung« von Nutzeffekt und Arbeitsaufwand hat es in sich, denn sie ist ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess mit Massencharakter; zugleich ist damit das Thema nicht nur der Durchschnittskosten, sondern auch der Grenzkosten berührt. Setzen wir an die Stelle von Wert und Preis einfach Kosten an Arbeit in Zeiteinheiten, so bleibt das Problem des »Gleichgewichtes zwischen Angebot und Nachfrage« in neuer Form auch weiterhin existent. Damit verbunden ist das Problem, dass das planmäßig produzierte Gut noch lange nicht auch tatsächlich begehrt wird oder nicht in dem geplanten Umfang. Mithin, die Produktion für die Halde muss auch als Problem einer Planwirtschaft erkannt werden.

Die Planung auf der Grundlage von Durchschnittswerten lag den Planungssystemen des Ostblocks zugrunde, vor allem in den ersten Jahren wurde tatsächlich in Mengeneinheiten von Gebrauchswerten wie »X Tonnen Stahl« geplant, die berühmte »Tonnenideologie« wurde geboren. Als Problem zeigte sich bald, dass die Betriebe, weil sie abhängig von der Planerfüllung in der Produktion waren, Produkte herstellten, mit denen sie zwar günstig die Planerfüllung abrechnen konnten, die aber am tatsächlichen Bedarf der Abnehmenden vorbei gingen.

Bürgerliches Äquivalenzverhältnis

»Jede*r produziert für gesellschaftliche Bedürfnisse und kann in dem Umfang Produkte beziehen, wie er*sie an direkt gemessenen Arbeitsstunden zum gesellschaftlichen Reichtum beigetragen hat.« Mit dieser Formel von Broistedt/Hofmann ist der »volle Arbeitsertrag« der Lassalleaner*innen wieder auferstanden, den Marx in seiner Kritik des Gothaer Programmentwurfes zerpflückte. Denn aus dem Gesamtprodukt der Assoziation muss natürlich die öffentliche Vorsorge für Gesundheit oder Unfälle, Pflegedienste und Klimaschutz etc. pp. abgezogen werden; verschlissene Produktionsmittel sind zu ersetzen und in neue muss investiert werden. Ein Teil der Arbeitszeit muss also für von der Assoziation verwaltete Produkte aufgewandt und kann nicht den Einzelnen für ihre konsumtiven Bedürfnisse zur Verfügung gestellt werden. Die Rückgabe des »vollen Arbeitsaufwands« an die einzelnen Produzent*innen ist Humbug.

Dadurch, dass die individuellen Produzent*innen Anteile am gesellschaftlichen Gesamtprodukt der Assoziation im Verhältnis zu der von ihnen geleisteten Arbeitszeit erhalten, entsteht aber eine grundsätzliche Problematik: Die einzelnen, assoziierten, Produzent*innen treten auf der Basis abstrakter Arbeit in ein Tauschverhältnis zu ihrer eigenen Assoziation ein. Dieses Äquivalenzverhältnis ist zwar kein Wertverhältnis, und die Assoziation selbst entscheidet über den Umfang, den die Einzelnen als Konsumtionsanteil beziehen, doch es ist ein bürgerliches, auf der Gleichheit der Arbeit von ungleichen Individuen beruhendes Tauschverhältnis, wenn auch kein kapitalistisches (Marx, Kritik des Gothaer Programms). Allerdings prägt dieses Äquivalenzverhältnis auch alle anderen Produktionsverhältnisse maßgeblich. Eine solche, »eben aus der alten Gesellschaft hervorgehende« sozialistische Gesellschaft, darf also keineswegs als konfliktfreie utopische Harmonie begriffen werden.

Es ist höchste Zeit, dass die freiheitlich-sozialistische, namentlich die ökosozialistische Linke ihre ökonomischen Alternativen sowohl den gegenwärtigen Krisen des Kapitalismus, als auch dem Kapitalismus als ökonomischer Gesellschaftsformation insgesamt entgegensetzt. Die radikale Rechte hat dies bereits in recht erfolgreicher Weise durch nationalistische und rassistische Mobilisierungen getan. Doch wenn wir nicht in jenen Katastrophen enden wollen, die uns die aktuellen Krisen bereits heute signalisieren, und die autoritären Lösungen verhindert werden sollen, ist die Debatte über die Ökonomik einer freiheitlich-sozialistischen Gesellschaft auf ökologisch und ökonomisch nachhaltiger Grundlage dringend notwendig für die Formulierung einer neuen Perspektive am Horizont. Zum Glück hat diese Debatte bereits begonnen. Doch kann sie nur am Ende erfolgreich sein, wenn wir uns nicht ignorant der Vergangenheit des 20. Jahrhunderts gegenüber verhalten, sondern sie kritisch und produktiv mit dem Blick nach vorn aufarbeiten.

Anmerkung:
1) Zu den Reform-Modellen im Ostblock siehe: Jirí Kosta, Wirtschaftssysteme des realen Sozialismus. Probleme und Alternativen. Köln 1984. Zu verschiedenen aktuellen Vorstellungen siehe: Erik Olin Wright, Reale Utopien. Wege aus dem Kapitalismus. Berlin 2017.

Bernd Gehrke

ist Zeithistoriker und engagiert sich im AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West.