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Die Uni als Teil des Kampfes

Die Universidad Autónoma Indígena Intercultural ist ein Ort der Selbstbestimmung der indigenen Bewegung im Cauca/Kolumbien

Von Martin Mäusezahl und Eliseth Peña

Das Wandbild am UAIIN-Hauptsitz symbolisiert die Kämpfen der indigenen Bewegung um Land. Foto: Martin Mäusezahl

Vieles ist anders an dieser Uni. Im Zentrum der UAIIN, der Interkulturellen Indigenen Autonomen Universität, in Kolumbiens südwestlicher Provinz Cauca, steht das aus den Weltsichten und Kämpfen der indigenen Gemeinden entstehende Wissen. Statt Dozent*innen und Professor*innen gibt es dinamizadores-orientadores, was so viel wie Bewegungs- und Richtungsgeber*in bedeutet. Auch die Student*innen – aktuell sind es rund 1.000 – heißen dinamizadores, auch sie bringen die Prozesse in Bewegung. Das Bemerkenswerteste jedoch ist, dass hier eine Bewegung marginalisierter kleinbäuerlicher, indigener Gemeinden (siehe Kasten), die inmitten eines bewaffneten Konflikts für Land und Selbstbestimmung kämpft, ihre eigene Universität aufgebaut und deren staatliche Anerkennung durchgesetzt hat. »Die UAIIN ist integraler Bestandteil der indigenen Bewegung und eine unserer Widerstandsstrategien«, erklärt Rosalba Ipia, die politische Rätin der Uni. »Es gibt sie durch unsere Kämpfe.«

Unser Besuch an der UAIIN führt uns zunächst ins Yat Wala, das geistige Herz der Uni. Begrüßt werden wir von Julio Caldón, dem spirituellen Begleiter und Lehrer an der UAIIN. Während er uns mit Heilpflanzen im Sinne der indigenen Spiritualität in Ausgleich bringt, erzählt er über den Kampf für eine Universität der Bewegung und wie im indigenen Verständnis alles auf der Welt belebt und miteinander verbunden ist.

Eine »eigene Bildung« ist eines der zentralen Anliegen der indigenen Bewegung des Cauca. Ähnlich wie anderen indigenen Kämpfen geht es ihr dabei um die Wiedergewinnung und Wertschätzung eines selbstbestimmten Eigenen gegen eindringende dominante und zerstörerische Kräfte – europäische Invasion und Weltsicht, Nationalstaat, Großkonzerne. »Das Eigene«, heißt es in einer Veröffentlichung der Bewegung, »bedeutet nicht, sich in den Gemeinden einzuschließen, ohne Austausch und Bereicherung mit anderen Kulturen. Das Eigene bedeutet die Fähigkeit der Gemeinden, ihre Prozesse selbst zu gestalten, sich zu entfalten und mit Anderen in gleichberechtigten Dialog zu treten.« Dies erlaube Verbundenheit und Autonomie.

Am staatlichen System vorbei begann die Bewegung bereits in den 1970er Jahren mit der Gründung eigener Schulen und der Ausbildung von Lehrer*innen, die von der Gemeinde bestimmte Inhalte in Spanisch sowie einer der acht indigenen Sprachen des Cauca unterrichteten. Mit den Jahren wurde klar, dass auch andere Bereiche der Selbstverwaltung eigene Fachleute und von den Gemeinden ausgehende Wissensprozesse benötigten. Daher beschloss die Bewegung 2003, eine eigene Universität zu gründen – und zwar ohne staatliche Anerkennung. »Legitimität gab uns die Unterstützung und Anerkennung der Gemeinden«, sagt Julio Caldón.

Verbundenheit mit den Gemeinden

Durch massive Mobilisierungen brachte die Bewegung 2013 dann Legitimität und Legalität wieder zueinander. Das 1991 – ebenfalls durch Kämpfe der Bewegung – in die Verfassung aufgenommene Selbstverwaltungsrecht indigener Gemeinden wurde konkretisiert: Der Staat erkannte ihr Recht an, sich selbstgewählte Strukturen in Verwaltung, Gesundheit und Bildung zu geben und diese mit Steuergeld zu finanzieren. Anfang 2020 wurde die UAIIN so zur 34. öffentlichen Universität Kolumbiens. »Das war kein wohlwollendes Geschenk der Regierung«, so Socorro Manios, die seit den Anfängen das eigene Bildungswesen mit aufbaut, »das ist die von uns durchgesetzte Umsetzung unseres Rechts.« Im Hauptsitz der Uni am Stadtrand von Popayán, der Hauptstadt des Cauca, erzählen Wandgemälde vom Kampf der Bewegung und den Kosmovisionen der Gemeinden. Das Gelände ist jedoch recht leer. »Die UAIIN ist eine Wander-Uni«, sagt Wilfer Zagal, einer der Bewegungs- und Richtungsgeber*innen. »Die meisten Kurse finden in den Selbstverwaltungsgebieten statt. Dort setzen wir uns mit ihren Realitäten und Anliegen auseinander und bringen uns mit unseren Fähigkeiten ein.«

Lernen und Wissen haben grundlegend kollektiven und interkulturellen Charakter.

Der Rückbezug auf die Gemeinden zieht sich als roter Faden durch die Praxis der UAIIN. Sie definieren die Studieninhalte, bringen ihre Kultur, ihr Wissen und ihre politischen Anliegen ein. Für die Einschreibung braucht es die Zustimmung der Gemeinde. Während des Studiums wird im eigenen Selbstverwaltungsgebiet etwas Konkretes aufgebaut. »Die UAIIN hat einen sehr hohen Anspruch an Verbundenheit und Relevanz«, stellt die Bewegungs- und Richtungsgeberin Nataly Cabrera fest. »Wir wollen nicht etwas erarbeiten, das in ein Buch kommt, sondern etwas, das wirklich sichtbar ist, das Prozesse innerhalb der Gemeinde unterstützt.«

So schafft die UAIIN Expert*innen für die Selbstverwaltung und einen selbstbestimmten Weg der Gemeinden. Neben der Ausbildung von Lehrer*innen gibt es etwa Studiengänge für indigene Sprachen und für Eigene Interkulturelle Gesundheitsversorgung, die medizinisches Wissen aus den eigenen und anderen Wissenskulturen vereint. Im Studiengang Eigene und Interkulturelle Rechtsprechung geht es um das eigene Recht, seine gesellschaftliche Funktion und sein Verhältnis zum staatlichen Recht. In weiteren Studiengängen geht es um Selbstverwaltung, Gemeinde-Entwicklung und die Verbindung von Ökonomie und Ökologie.

Ein anderes Wissen

Mit ihrer bewegungs- und gemeindebasierten Ausrichtung bringt die UAIIN ein in den eigenen Lebenswelten verwurzeltes Wissen hervor, entwickelt es weiter und trägt es in die Selbstverwaltung zurück. »Unser Wissen entsteht in unseren Gemeinden, in unseren Kulturen und Naturräumen, in unseren Kämpfen und durch unsere Gewalterfahrungen«, verdeutlicht Socorro Manios. »In all dem gibt es eine Fülle von Erfahrungen und Handlungsweisen, die wir zur Grundlage nehmen mit unserem Blick zu lernen.«

Lernen und Wissen haben dabei grundlegend kollektiven und interkulturellen Charakter. »Dass sich im Indigenen Regionalrat des Cauca verschiedene indigene Kulturen zusammengeschlossen haben, sorgt für eine Anerkennung der Vielfalt von Weisheit und Wissen«, unterstreicht die Bildungsveteranin. Zudem bezögen sie auch andere Wissenskulturen ein, so das afrokolumbianische, das kleinbäuerliche und das städtische Denken. Julio Caldón ergänzt: »Unsere Uni steht natürlich allen offen, solange sie die Spielregeln akzeptieren.« Es gehe um die Stärkung der indigenen Bewegung, ihrer Gemeinden, ihres Wissens und ihrer Weltsicht. »Das was uns Kraft, Verbundenheit und Sinn in dieser Welt gibt.«

Die indigene Bewegung des Cauca


Die indigenen Gemeinden der kolumbianischen Provinz Cauca organisieren sich seit 1971 im Indigenen Regionalrat des Cauca, CRIC. Zentral ist der Kampf gegen die kolonial-rassistische Ausgrenzung als Indigene sowie gegen die wirtschaftliche Ausbeutung als Kleinbäuer*innen. Dazu kommt die Selbstbehauptung im Konflikt zwischen Guerillas und kolumbianischem Staat, der mittlerweile von einem undurchsichtigen Drogenkrieg abgelöst wurde. Seit der Gründung des CRIC erkämpfte die Bewegung trotz massiver Repression umfassende Selbstverwaltungs- und Landrechte sowie kulturelle Anerkennung. Sie organisiert sich aktuell in 126 Lokalverwaltungen und 94 rechtlich anerkannten Selbstverwaltungsgebieten mit etwa 264.000 Einwohner*innen und einer Fläche von rund 5.500 km². Hier organisieren die Menschen ihre Verwaltung sowie Teile ihrer Bildung, Gesundheitsversorgung, Rechtsprechung und Wirtschaft nach eigenen Vorstellungen. Das Land als Hauptproduktionsmittel ist unveräußerlicher Kollektivbesitz und wird den Bewohner*innen zur Nutzung zugeteilt. Die wiederbelebten indigenen Weltsichten, Sprachen und Gesellschaftsweisen bilden die Basis für den Zusammenhalt der Gemeinden und sind zentraler Kraftquell der Bewegung. Der CRIC ist damit zu einem Vorreiter für ganz Kolumbien geworden.

Martin Mäusezahl

Martin Mäusezahl ist Teil des Hamburger Kaffeekollektiv Aroma Zapatista.

Eliseth Peña

Eliseth Peña ist indigene Medienfachfrau und Journalistin aus Popayán.