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Ein besonderes Lehrstück

Die Serie »Freud« ist schlecht und trotzdem erkenntnisreich

Von Bilke Schnibbe

Die »Hysterikerin« ist ein frauenfeindliches Bild, das durch die historische Psychoanalyse Aufwind erhielt und das in der Serie »Freud« leider allzu gern nochmal abgefrühstückt wird. Gemälde: »Une leçon clinique à la Salpêtrière« von André Brouillet.

Die Serie »Freud«, welche Ende März vom Streaming-Dienst Netflix veröffentlicht wurde, ist eine pompös inszenierte Aneinanderreihung bemüht heftiger Darstellungen menschlicher Abgründe. Das ist nicht nur anstrengend, weil die Geschichte dadurch zunehmend ins Abstruse abdriftet, sondern auch weil es wehtut, sich acht Folgen lang anzuschauen, wie sich Sex und Gewalt, Frauen- und Männerfiguren in der Serie zueinander verhalten.

Sehr lose angelehnt an die Lebensgeschichte des Mitbegründers der Psychoanalyse, Sigmund Freud, ist »Freud« keineswegs eine biografische Serie. Die Hauptfigur ist vielmehr ein koksender, ewig missverstandener, junger Arzt in Wien, der Ende des 19. Jahrhunderts versucht, seinen Kollegen die Hypnose als den neuen heißen Psychiatrie-Scheiß zu verkaufen. Das klappt leider nicht so gut, dementsprechend düster blickt der junge Psychiater drein. Gleichzeitig sucht eine unerklärliche Mordserie die Stadt heim, und schwupps verstrickt sich Freud in bester Krimimanier in ein Konglomerat aus Sex, Drogen, Trance, Visionen und Sadismus.

Die Serienmacher verfallen dabei in den allzu oft gesehenen Modus »düsterer« Serien und Filme: Frauenfiguren sind nützliches Beiwerk, um zu unterstreichen, wie »krass« die Serie ist. Frauen sterben auf brutale Weise, ihnen widerfährt schlimme körperliche und sexuelle Gewalt. Sie sind dabei natürlich entweder lächerlich oder sexy und gute oder schlechte Frauen.

Schon die erste Folge geht steil los: Steffi Horváth, eine junge Frau, wird abgemetzelt in ihrem Bett gefunden. Die Frage, ob sie eine »Hure« war, wird zwar nicht abschließend geklärt, dafür aber ausführlich in verschiedenen Dialogen diskutiert. Weil, man muss ja wissen, ob sie es verdient hatte zu sterben (Hure) oder nicht (keine Hure). Ihr Genitalbereich sei »zerfetzt«, so Freud, dem die sterbende Horváth nachts von den Kommissaren Kiss und Poschacher notfallmäßig auf den Schreibtisch geknallt wird. Diese Einstiegsszenerie ist der Anfang einer endlosen Reihe an sexuellen und physischen Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen, die in »Freud« mit der Brechstangenmethode als Stilmittel eingesetzt werden. Hauptsache schockierend, ekelhaft und irgendwie verstörend sexuell geschädigt muss es sein.

Die weibliche Sexualität ist ein Mysterium

Die zentrale Frauenfigur der Serie ist Fleur Salomé, die der historischen Lou Andreas-Salomé nachempfunden sein soll. Fleur Salomé, ein ungarisches »Medium«, unterstützt mit ihren Visionen Freuds Versuche, der Mordserie auf den Grund zu gehen. Sie ist einerseits das jungfräuliche, reine Mädchen, welches von seiner Gabe gequält in Freuds Armen Hilfe sucht. Andererseits ist ihre weibliche, jugendliche und mysteriöse Sexualität bedrohlich für die Männer um sie herum. So unterhalten sich Freud und sein Psychiaterkumpel Breuer darüber, dass es sich mit der »weiblichen Sexualität« in etwa so verhält wie bei der »Entdeckung Amerikas« durch Christopher Columbus: Gefährlich und undurchschaubar fremd sei das Weib in der Abteilung. Breuer führt dann noch aus, wie er mit einer Patientin von ihm geschlafen habe, die ihm in ihrer Hysterie sexuelle Avancen gemacht habe, eine Chiffrierung sexueller Gewalt.

All das wird in der Serie nicht kritisch aufgelöst oder als problematisch gekennzeichnet. Vielmehr findet sich in der Figur Fleur Salomé die perfekte Personifikation dieser Männerträume: Eine gefährliche, sexuell aufgeladene, unschuldige Schönheit, die Freud, den gestandenen Mann, mit ihren Reizen bezirzt.

Man könnte sich in einer Rezension erbost darüber auslassen, was für eine abstoßende Männerfantasie es ist, solche Szenen zu schreiben, zu drehen, zu vermarkten. Das ist eine Kritik, die auch an anderer Stelle, wie zum Beispiel bei der Fantasy-Serie »Game of Thrones«, berechtigterweise geübt wurde. Man könnte schreiben, was es eigentlich heißt, wenn in Kulturprodukten Gewalt gegen Frauen ein Stilmittel ist, um Zuschauende zu unterhalten. Man könnte im Detail aufzählen, an welchen Stellen welche frauenfeindlichen Bilder bemüht werden, um das Publikum emotional in den Bann der freudschen Serienwelt zu ziehen. Man könnte zeigen, wie problematisch es eigentlich ist, dass das alles wie nebenbei abgespult wird. All das ist sicherlich richtig.

Freud zeigt uns unseren Platz in dieser Gesellschaft

Es wäre ein »einfacher« Weg, diese Serie als den üblichen sexistischen Schrott abzutun (was unzweifelhaft stimmt!) und nicht der Frage nachzugehen, warum auch FLINT-Personen (1) solche Darstellungen von Frauen und ihrer Sexualität ansprechend finden. Denn auf eine unangenehme Art und Weise fasziniert und unterhält es auch mich, wie Frauen als Mittel zum Zweck in dieser Serie dienen. Ich denke, diese unangenehme Faszination teile ich mit vielen Frauen und anderen Menschen, die keine cis-Männer (2) sind.

Die Serie mag zwar eine Männerfantasie sein, die Männer sich gerne anschauen, weil sie reproduziert, dass Männer immerzu Anspruch auf Frauenkörper haben. »Freud« zeigt aber auf der anderen Seite FLINT-Personen, wo ihr Platz in dieser Gesellschaft ist. Es bestätigt uns, was wir seit Jahren über uns gelernt haben: Wir haben Männern sexuell zur Verfügung zu stehen. Wir sehen in Fleur unsere für Männer bedrohliche Sexualität und wir sehen, wie Fleur dafür mit sexueller Gewalt bestraft wird.

Bei »Freud« ist die Welt auf perfide Weise noch in Ordnung. Das hat etwas Lustvolles in seiner Brutalität, weil es uns unsere verinnerlichte Unterdrückung und Minderwertigkeit bestätigt. Wir leben eben auch in dieser Gesellschaft, in der wir gelernt haben, dass Fleur Salomé für ihre Weiblichkeit bestraft gehört. Wenn es dann passiert, ist das auch für uns befriedigend anzuschauen, auch wenn das heißt, dass wir uns gleichzeitig selbst abwerten.

Es tut weh, sich die emotionale Beteiligung an der eigenen Unterdrückung einzugestehen, aber es ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg, sich persönlich zu emanzipieren. »Freud« führt einer diesen Umstand ein weiteres Mal deutlich vor Augen.

Bilke Schnibbe

war bis Oktober 2023 Redakteur*in bei ak.

Anmerkungen:
1) »FLINT-Personen« ist eine Abkürzung und steht für »Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nicht-binäre und transgeschlechtliche Menschen«. Als »nicht-binär« bezeichnen sich Menschen, die sich keiner der binären Geschlechtsidentitäten (männlich oder weiblich) zuordnen.
2) »cisgeschlechtlich« bedeutet, dass eine Person sich mit dem Geschlecht identifiziert, das ihr bei ihrer Geburt zugewiesen wurde. Das Gegenteil von cisgeschlechtlich ist transgeschlechtlich.