Die Zugvögel von Plauen
Warum ist Ken Jebsens Populismus auch bei Linken beliebt?
Von Jan Ole Arps
Haben wir verlernt, mit »den Leuten zu reden«? »Brauchen wir« einen linken Populismus? Das sind die rhetorischen Fragen, die seit Beginn der Montagsmahnwachen immer wieder zu hören sind, wenn Linke ihre Teilnahme an politisch diffusen Bewegungen mit rechter Schlagseite rechtfertigen. Eine Hauptfigur bei den Experimenten mit einem neuen Populismus ist Ken Jebsen, ehemaliger Moderator beim Berliner Radio Fritz. Nach antisemitischen Aussagen entließ der RBB (Rundfunk Berlin Brandenburg) Jebsen im Jahr 2011; seitdem sucht und findet er auf dem Portal KenFM seine Anhänger_innen.
Nicht nur publikumshungrige »Politikexperten« und bekannte Verschwörungstheoretiker treten in seinen Sendungen auf, die regelmäßig von mehreren Zehn- bis Hunderttausend Menschen angeklickt werden. Auch Aktivisten wie Pedram Shahyar, lange in der Interventionistischen Linken aktiv und bis vor kurzem auch Autor dieser Zeitung, arbeiten mit KenFM zusammen oder unterstützen sein Projekt.
»Zielgruppe Mensch«
Jebsens Arbeitsgrundlage ist, dass das Links-Rechts-Schema überholt sei und durch »humanistische« Orientierungen ersetzt werden solle (»Zielgruppe Mensch«). Dabei vertritt Jebsen oft vordergründig linke Positionen – gegen Hetze gegen Flüchtlinge, Solidarität mit der Bevölkerung in Griechenland, Mobilisierung gegen Nato-Drohnenkrieg, bedingungsloses Grundeinkommen – lädt diese aber immer wieder mit antisemitischen und rechten Denkfiguren auf. Dazu gehören die Idee von einer »kleinen Elite«, die gegen die Interessen »des Volkes« regiere, die Vorstellung von Sprechverboten in Bezug auf Israel, die Kritik an einer mehr oder weniger gleichgeschalteten Medienlandschaft und das Bedienen antiamerikanischer Ressentiments.
Nachdem im letzten Jahr die »Friedensbewegung« Hauptbetätigungsfeld des Reporter- und Redneraktivismus von KenFM war, hat er nun eine neue Bewegung entdeckt: Wir sind Deutschland. Unter dieser Parole versammelt sich seit einigen Wochen in Plauen ein diffuses Spektrum, das man als Pegida in bürgerlich bezeichnen könnte. Wir sind Deutschland wirbt mit dem Slogan »nicht ganz links – nicht ganz rechts, nicht ganz Gutmensch – nicht ganz Pack« und ist bemüht, sich vom Bild einer rechten Hetzversammlung abzugrenzen. Die Organisatoren betonen, jede Meinung sei willkommen; aber Reden gegen die »Asylflut« erhalten Woche für Woche besonders viel Applaus.
Nun wäre damit eigentlich alles gesagt. Doch offenkundig zieht bei vielen Linken das »Man-muss-mit-den-Leuten-sprechen«-Argument selbst dann, wenn die örtliche Willkommensinitiative die Veranstaltung weiträumig meidet und bekannte Rechte in Plauen ihren Auftritt genießen. Da Ken Jebsens Rede am 8. November in Plauen im Netz als »Paradebeispiel für einen linken Populismus« gewürdigt wird, lohnt sich ein genauerer Blick auf die Ansprache.
Paradebeispiel für einen linken Populismus?
Jebsen kündigt zunächst an, dass er Dinge sagen werde, die nicht allen Anwesenden gefallen werden, aber ihm gehe es um Wahrhaftigkeit – das Leitthema der Ansprache – und darum, auch an Orte zu fahren, die andere Reporter meiden. Viel Applaus erhält das Bekenntnis: »Wir brauchen mehr Reporter, die nach Homs und Damaskus fahren, in den Iran fahren, nach Moskau fahren und auch nach Plauen fahren.«
Jebsen kritisiert die Angst vor Flüchtenden, erinnert an den deutschen Beitrag zu den Kriegen, vor denen Menschen fliehen, spricht die Angst vor Armut und Hartz IV an und fragt: »Hat das was mit Flüchtlingen zu tun, oder gab’s die Probleme schon vorher? Die gab es doch schon vorher!« (Applaus) Er sei für das Verursacherprinzip: Die Rüstungsindustrie verdiene gut an den Waffenexporten, sie solle für die Folgen der Kriege aufkommen. (Applaus) Die Superreichen zahlten keinen Cent Steuern (»Wer verursacht eigentlich höhere Kosten, die Flüchtlinge oder die Steuerflüchtlinge?«) und außerdem: Wo waren die Plauener, wo waren »wir«, als der Bankensektor mit Milliarden Euros gerettet wurde? Zur Wahrhaftigkeit gehöre auch, im kapitalistischen Wirtschaftssystem die Ursache aller Probleme zu erkennen. (Applaus) Es sei ein Fehler zu glauben, die Politiker_innen und Parteien würden die Probleme lösen. Keine Politik in Hinterzimmern, TTIP, »gläserner Bürger«, sondern »die Probleme, die wir in diesem Land haben, die wir auf diesem Kontinent haben, die können wir nur gemeinsam lösen«. Man solle also weiterdemonstrieren, nicht mehr weggehen von der Straße, ins Gespräch kommen. (Noch mehr Applaus) Und dann kommt die Lösung, Stichwort »Verursacherprinzip«. Der Zusammenhang sei klar: »Flüchtling – Krieg – Nato«. »Wir sind Teil der Nato, wir bomben mit.« Unter anderem von der US-Airbase in Ramstein. Daher sollten wir »unseren Politikern, wir sollten Ramstein den Hahn zudrehen. Wir sollten alle Flüchtlinge, die hierher kommen, nach Ramstein bringen. Da ist Platz! Da ist Infrastruktur.« (Riesenapplaus)
Das Nicken, das »Ja, stimmt« ist es, worauf das Politikmodell KenFM zielt. Hinter diesem Modell steht eine Harmoniesucht, die charakteristisch für autoritäre Projekte ist.
Am Ende einer Ansprache, in der er einmal sämtliche Sorgen und Nöte der Versammelten streift, landet Jebsen bei einer einfachen Lösung: Flüchtlinge nicht nach Plauen, Flüchtlinge nach Ramstein!
Das ist aber nicht das einzige Problem an Jebsens »humanistischem Populismus«. Jebsen geht es, anders als seine Rede suggeriert, nicht um Auseinandersetzung mit den Positionen der Versammelten (dann müsste er auch deren Rassismus ernst nehmen), sondern um Verführung. Das Nicken, das »Ja, stimmt« ist es, worauf das Politikmodell KenFM zielt. Hinter diesem Modell steht eine Harmoniesucht, die charakteristisch für autoritäre Projekte ist.
Das Volk gegen die Eliten
Jebsens Appelle an die Gemeinschaft der 99 Prozent (auch sie ein Thema der Rede), ans »Volk«, sind ein Versuch, gesellschaftliche Widersprüche zuzukleistern: Klassenwiderspruch, Rassismus, koloniales Erbe, Geschlechterverhältnisse etc.pp. Ken Jebsen appelliert an Ängste und die Sehnsucht nach Gemeinschaft: Wir hier unten gegen die da oben. Die 99 Prozent gegen das eine Prozent. Das Volk gegen die Eliten.
Aber der Kapitalismus ist nicht nur Oben und Unten, er ist ein soziales Verhältnis. In einer Rede hat Jebsen mal das Bild von den Zugvögeln bemüht, deren Organisationsweise nicht demokratisch, aber jeder Demokratie überlegen sei. Es ist die gleiche Idee, auch wenn in Plauen viel von Demokratie die Rede war: das Naturprinzip oder die Gemeinschaft, die ohne viel Diskussion und Konflikt funktioniert – oder funktionieren könnte, wenn »die da oben« nicht …
Dass dieser Appell bei einer rechtslastigen Versammlung verfängt, ist keine Überraschung. Die Frage ist eher: Warum funktioniert er auch bei vielen Linken? Nochmal zurück zu Jebsens Rede. Ein beliebtes Stilmittel der KenFM-Rhetorik besteht darin, von einem Thema zu einem anderen zu springen und dabei das Gefühl zu hinterlassen, das gehöre irgendwie zusammen. Stichwort »Reporter, die hinfahren«, O-Ton Jebsen:
»Viele Journalisten, mit denen wir es heute zu tun haben, lesen etwas aus dem Netz und übernehmen eine Meldung bei Reuters. Das hat auch mit dem Speed zu tun, mit der Geschwindigkeit, in der unser Job heute gemacht werden muss. Heute geht ja Geschwindigkeit vor Qualität: Bevor die anderen irgendetwas melden, was möglicherweise wahr sein könnte, bringe ich es lieber, und so werden aus Vermutungen dann Tatsachen. (…) Hier werden Blasen produziert: Wenn die kommen, passiert das, dann musst du dies – das sind Blasen. Und das ist Hysterie! In diesem Land herrscht Hysterie. Und diese mediale Hysterie sorgt dafür, dass wir alle Angst voreinander haben.«
Ken Jebsen appelliert an die Sehnsucht nach Gemeinschaft: Wir hier unten gegen die da oben. Die 99 Prozent gegen das eine Prozent.
Ken Jebsen kommt hier in Nullkommanichts von einer zutreffenden Beschreibung – Zeitdruck im Journalismus geht auf Kosten der Qualität – zu der Aussage, die Kritik am Rassismus der Plauener Versammlung und auch am Populismus à la KenFM (denn auch darum geht es in den Sätzen) sei nur Hysterie. Aber weil davor eine Aussage steht, der viele Linke gern zustimmen, klingt plötzlich auch der Rest plausibel. So funktionieren Verführung und Manipulation.
Und so funktioniert auch die Rhetorik der linken Jebsen-Fans. Denn natürlich ist am Vorwurf, viele Linke schmorten lieber im eigenen Saft, als mit Leuten zu reden, die nicht ihrer Meinung sind, etwas dran. Doch im Jebsen-Lager wird aus »Die Linke hat verlernt, mit den Leuten zu reden« schnell der Umkehrschluss: Wenn jemand nur mit allen redet, ist das Ausweis für »Wahrhaftigkeit«. Es ist aber keine Nebensache, mit wem man zu welcher Gelegenheit worüber spricht.