Bisschen Miete, bisschen Brotgeld und dann Klappe halten!
Die Berliner Erwerbsloseninitiative BASTA! kommentiert die im Koalitionsvertrag von Union und SPD angekündigten Pläne zum Bürgergeld
Von BASTA!

Wir wussten es, der Vermittlungsvorrang wird wieder eingeführt: Hauptsache Lohnarbeit! Egal ob der Arbeitsplatz, die Arbeitsbedingungen und der Arbeitslohn angemessen sind oder nicht, egal ob eine Person genug zu tun hat mit der Pflege von Angehörigen oder gar selbst krank ist – oder einfach tanzen möchte.
Mit diesem Koalitionsvertrag soll keine dauerhafte Beschäftigung der Menschen erreicht werden. Stattdessen befeuern steigende Arbeitslosenzahlen und die Krise die Beschimpfung von Erwerbslosen und politische Scheinaktivitäten. Wir Erwerbslosen seien selbst schuld, wir seien zu dumm, und eine gewisse Faulheit vererbe sich bei uns von Generation zu Generation. Politik und Presse reden über uns, von dir und mir und hauen uns eins in die Fresse. Solltest du jetzt zu den 450 Leute gehören, die bei Zalando gekündigt werden, oder zu den Entlassenen der Spreewaldgurkenfabrik in Golßen – du bist angeblich selbst schuld.
Was der Koalitionsvertrag in Zeiten steigender Erwerbslosigkeit und Rationalisierungen sagt: Ihr kriegt ein bisschen Miete, ein bisschen Brotgeld, aber dafür haltet ihr die Klappe, nehmt jede Maßnahme an, oder jeden Termin zur medizinischen Untersuchung, lasst den Schnüffeldienst in eure Wohnung, lasst euch den Umzug verbieten und habt Geduld, wenn wir wieder mal als Jobcenter nicht erreichbar sind und das Geld Monate zu spät auszahlen, so dass ihr schon eine Kündigung vom Vermieter habt: Seid braves Abschreckungspotential für die anderen Arbeitenden. Aber seht her, dafür bekommen die Ukrainer*innen ab April kein Bürgergeld mehr, ihr mit dem EU-Pass habt es doch immerhin noch etwas besser.
Zusammengefasst bedeuten die Pläne höhere Erwerbslosenzahlen, Sozialabbau und dabei keine Regelsatzerhöhung, sondern Reallohnverluste.
Wenn sich die künftige Koalition an die Vorgaben des Verfassungsgerichts halten will, dann wäre die (im Koalitionsvertrag angedrohte) vollständige Streichung der Grundsicherung in der Praxis kaum möglich. Aber ein Verfassungsbruch scheint möglich. Es bleibt abzuwarten, was aus diesem Koalitionsvertrag wirklich umgesetzt wird. Die Umsetzung der Ankündigung von verschärften Mitwirkungspflichten ist sehr wahrscheinlich. Das wiederum hat das Streichen von Geldern zur Folge und wirkt wie eine Totalsanktion. Irgendwoher muss das Geld ja kommen, was eingespart werden soll.
Dass der Betrag für die gesellschaftliche Teilhabe von Kindern an Freizeitaktivitäten (BuT) von 15 auf 20 Euro monatlich angehoben wird, ändert nichts an der grundsätzlichen Problematik. Der Regelsatz für Kinder reicht nicht, das haben diverse Gerichte niedergeschrieben. Dann wurde das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket eingeführt, um den Kindern nicht mehr Geld geben zu müssen. Danke, CDU-Uschi!
Dass die Möglichkeit der Pauschalierung von Leistungen ins Spiel gebracht wird, ist verheerend, wir denken da zum Beispiel an die Reduzierung von Wohnkosten. Viele Dinge sind bereits pauschaliert, wie u.a. die Erstausstattung für die Wohnung und die Schwangerschaftsbekleidung.
Viele Haushalte müssen bereits jetzt aus dem Regelsatz zur Miete was dazu zahlen, also bei Kleidung und beim Essen absparen, weil das Jobcenter die Miete gedeckelt hat. »Erkrankte besser erreichen« aus dem Koalitionsvertrag hört sich für uns an wie: Kranke früher zum Sterben zu bringen. Welche Kompetenz maßt ihr euch an?!
Es soll auch noch zur alten Berechnungsmethode des Regelsatzes zurückgekehrt werden, die schon bei Hartz IV benutzt wurde. Nicht ohne Grund wurde sie damals ersetzt, denn sie reagiert nur sehr schwerfällig auf steigende Lebenshaltungskosten und Inflation, so dass die Bürgergeldbeziehenden gezwungen waren, monatelang drauf zu zahlen. So soll Geld auf unlautere Art eingespart werden.
Eine Grundwiderständigkeit Erwerbsloser und armer Leute hat es immer gegeben und wir machen auch damit weiter!
Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit soll weiter zur Superverfolgungsbehörde ausgebaut werden. Das verschiebt den Fokus noch mehr von sozialen Rechten hin zu dem Generalverdacht des Betrugs und von der sozialen Absicherung hin zur Verfolgung von armutsbetroffenen Menschen und zum Hineinpressen der Menschen in Niedriglohnsektoren. Das Finanzministerium bekommt immer mehr sozial- und arbeitsmarktpolitischen Kompetenzen. Der »vollständige Datenaustausch zwischen Sozial-, Finanz- und Sicherheitsbehörden« schafft einen gläsernen Menschen. Dabei wird Migration teilweise pauschal mit Betrug am nationalen Sozialsystem gleichgesetzt, was rassistischer Mumpitz ist.
Ein Datenabgleich der Sozial-, Finanz- und Sicherheitsbehörden zeigt den Willen, die ärmsten Arbeiter*innen zu verfolgen, genauso wie den*die Friseur*in. Diese Berufsgruppe wird aufgenommen in die Liste der von der Finanzkontrolle Schwarzarbeit härter zu verfolgenden Berufsgruppen. Es ist auch geplant, die Wochenarbeitszeit hochzusetzen und die Dokumentationspflicht für insbesondere Hotellerie, Gastronomie und Landwirtschaft zu entlasten.
Eine Sache, die uns auch noch sauer aufstößt, ist die Quasi-Wiedereinführung einer »Primärarztpflicht«, sprich, immer erst zur Hausärzt*in und nur mit Überweisung zur Fachärzt*in. Für chronisch kranke und be_hinderte Menschen, überhaupt für alle Menschen, denen es nicht so gut geht, ist das der blanke Horror und zusätzliche Arbeit (Wege, Termine planen, Wartezeiten, etc.) – und Hausarztpraxen werden noch stärker überlastet als ohnehin schon.
Wir sind Mieter*innen, Wohnungs- und Obdachlose, Migrant*innen, Arbeitende, Erwerbslose, be_hinderte Menschen, Kinder, Queere, PoC und Frauen, viele auch mehrfachmarginalisiert. Wir sind prekär und auseinander dividieren lassen wir uns von euch Klassenkämpfern sicher nicht! Eine Grundwiderständigkeit Erwerbsloser und armer Leute hat es immer gegeben und wir machen auch damit weiter! Arme Menschen haben von der neuen Regierung nichts Gutes zu erwarten, genauso wie auch die alte Regierung nichts Gutes für uns getan hat. Dass es in Zukunft für arme Menschen Verschlechterungen geben wird, heißt keineswegs, dass die Lage vorher gut war. Es wird uns weiterhin keine Partei retten, das müssen wir selber tun und deswegen müssen wir uns selbst organisieren, solidarisch füreinander da sein und uns gegenseitig helfen.