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New Kids on the Blockkonfrontation

Wie wird der Abschied der USA aus der Rolle der Schutzmacht Europas in anderen Teilen der Welt gesehen, wie positionieren sich Regierungen und was denken Linke über die Neuordnung der Staatenwelt?

Das Bild zeigt einen vollbesetzen Shaker auf dem Rummel, der gerade in der Luft hängt. Im Hintergrund ist nur blauer Himmel zu sehen
Die internationalen Beziehungen (Symbolbild). Foto: Scott Webb / Unsplash

Taiwan

»Es ist wichtig, die Solidarität zwischen Menschen aufrechtzuerhalten – und nicht zwischen Staaten« (Brian Hioe)

Interview: Merle Groneweg

Die außenpolitischen Ereignisse überschlagen sich: Die transatlantische Allianz bröckelt, Trump kündigte die Unterstützung für die Ukraine kurzzeitig auf und knüpft sie an harte Bedingungen. Wie blickst du darauf?

Brian Hioe: Die Lobgesänge auf gemeinsame demokratische Werte sind verklungen; die Masken sind gefallen. Jetzt geht es ganz offen um militärische Macht und ökonomische Deals. Trump verlangt nicht nur die tatsächliche Unterwerfung, sondern auch die passende Performance dazu – das hat sein Umgang mit Selenskyj gezeigt. Ich sehe die USA unter ihm allerdings nicht auf den Weg in Richtung Isolationismus, sondern als Spieler in einer sich formierenden Multipolarität.

Bietet diese sich formierende multipolare Welt neue Handlungsspielräume für emanzipatorische Kräfte?

Das ist eine gute Frage. Vielleicht gibt es Lücken, in die emanzipatorische Akteure stoßen können. Gleichzeitig birgt die sich formierende Multipolarität die Gefahr eines unausgesprochenen Konsens zwischen mächtigen Staaten, dass diese in »ihrer« Region ihre Herrschaft uneingeschränkt ausüben können. Gerade diese »Solidarität« repressiver staatlicher Akteure könnte gefährlich für emanzipatorische Kräfte werden. Es ist deshalb wichtig, die Solidarität zwischen Menschen aufrechtzuerhalten – und nicht zwischen Staaten.

Wie werden die Entwicklungen in den USA in Taiwan diskutiert?

Trumps Handlungen schockieren, aber überraschen niemanden. Die eigentliche Frage ist: Kommt Taiwan als nächstes unter das Hackbeil? Die KMT – die rechte Partei, die China näher steht – nutzt die US-Skepsis nun aus, um mehr Zugeständnisse gegenüber China zu bewirken. Trumps extraktive Haltung gegenüber der Ukraine wird als Beweis dafür herangezogen, dass die USA ein unzuverlässiger Verbündeter sind. Als vor kurzem bekannt wurde, dass der Chiphersteller TSMC 100 Milliarden Dollar in den USA investieren wird, kam die Kritik schnell: Die regierende DPP würde TSMC für fadenscheinige Sicherheitsgarantien aus der Hand geben – und die USA Taiwans Tech-Geheimnisse stehlen, nur um es dann im Stich zu lassen. Für die taiwanische Linke lautet die Herausforderung, eine Kritik an den imperialistischen USA zu formulieren, ohne dabei in die Falle einer pro-chinesischen Argumentation zu tappen.

Brian Hioe

ist Schriftsteller, Herausgeber/Redakteur, Übersetzer, Aktivist und DJ in Taipeh.

China

»Gleich nach Trumps öffentlicher Anbiederung an die russische Regierung telefonierte Präsident Xi Jinping mit Putin«

Von Ralf Ruckus

Die US-Regierungen seit der Obama-Präsidentschaft haben die Eindämmung Chinas zum Ziel und deswegen in den letzten Jahren die Lieferung von Hochtechnologie eingeschränkt, Zölle verhängt und im Westpazifik militärisch aufgerüstet. Die Trump-Regierung setzt die Eindämmungspolitik fort, anders als unter Vorgänger Biden (bisher) jedoch nicht über eine gemeinsame Front mit europäischen Verbündeten. Vielmehr verlangt sie, dass Europa mehr Mittel in die eigene Verteidigung steckt, damit sie sich auf den Konflikt mit China konzentrieren kann. Und sie will die chinesisch-russische Verbindung schwächen, um China besser unter Druck setzen zu können. Das erklärt sowohl die Annäherung der US-Regierung an russische Positionen im Ukraine-Konflikt als auch Trumps öffentliche Distanzierung von europäischen Regierungen.

Die chinesische Regierung will sich gegenüber den USA behaupten, die chinesisch-russische Partnerschaft festigen und Chancen ergreifen, die sich aus einem möglichen transatlantischen Bruch ergeben könnten. Gleich nach Trumps öffentlicher Anbiederung an die russische Regierung telefonierte Präsident Xi Jinping mit dem russischen Kollegen Putin, um die Achse Moskau-Beijing zu stärken. Und der chinesische Außenminister Wang Yi wandte sich öffentlich gegen das Machtgehabe der Trump-Regierung und bot europäischen Ländern eine engere Zusammenarbeit an.

Bisher ist nicht ausgemacht, ob es tatsächlich zu einer Achse Washington-Moskau kommt und ob europäische Regierungen ihre Vorbehalte gegenüber einer engeren Kooperation mit China zeitnah aufgeben. Entscheidend für die geopolitische Entwicklung wird sein, welche Maßnahmen die Trump-Regierung zur Eindämmung Chinas einsetzt und wie die chinesische Regierung darauf antwortet. Beide Seiten haben bereits Zölle erhöht, und die Trump-Regierung plant weitere gegen China gerichtete Handelsbeschränkungen. Die US-Seite hat auch von einem weiteren Handelsabkommen nach dem von 2020 gesprochen, und die chinesische Seite könnte darauf eingehen. Möglich ist jedoch auch eine Eskalation des amerikanisch-chinesischen Konflikts.

Ralf Ruckus

untersucht die soziale und politische Lage in China und veröffentlichte zuletzt u. a. Der kommunistische Weg in den Kapitalismus (Dietz Berlin, 2024).

Indien

»Indiens politische Opposition befürchtet, dass die Interessen von Bäuer*innen und kleineren Unternehmen geopfert werden«

Von Merle Groß

Die Entwicklungen hin zu einer multipolaren Welt bieten Modis Indien die Gelegenheit, durch vielfache diplomatische Beziehungen eine Vermittlerrolle einzunehmen und so den eigenen Einfluss auszuweiten. Internationale Partner sehen Indien als mögliches Gegengewicht zu China. Innerhalb Indiens findet Modis Vision eines starken Indiens besonders in der oberen Mittelklasse und Elite Anklang. Modis Strategie, möglichst viele diplomatische Türen offen zu halten, bleibt jedoch nicht ohne Widersprüche: Seine Beziehung zu Putin hat im Kontext des Ukrainekrieges auch zu Spannungen mit der EU und den USA unter Biden geführt.

Durch die aktuellen Verschiebungen auf der internationalen Bühne gerät Indien nun als strategischer Partner in den Fokus. Im Abstand von zwei Wochen haben sich sowohl Trump als auch Ursula von der Leyen mit Modi getroffen, um über Freihandelsabkommen zu verhandeln.

Trump und Modi haben eigentlich ein gutes Verhältnis, auch ihre rechtspopulistische Rhetorik ähnelt sich, etwa wenn sie ein »Goldenes Zeitalter« für ihr jeweiliges Land heraufbeschwören. Dass Trump damit einen Fokus auf US-Interessen verbindet, stellt die Beziehung zu Modi jedoch aktuell auf die Probe. Denn Trump droht auch Indien mit Zöllen und verurteilt die hohen Einfuhrzölle, mit denen Indien amerikanische Produkte belegt.

Deutlich bemühter hat sich von der Leyen gezeigt und bei ihrem Besuch in Neu-Delhi die auf Eis gelegten Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen wieder aufgenommen. Die Verhandlungen sollen in Rekordzeit abgeschlossen werden, von der Leyen spricht von dem »weltweit größten Abkommen seiner Art«. Für indische Unternehmen könnte dies erleichterten Zugang zum europäischen Markt bedeuten, etwa für pharmazeutische Produkte und Textilien.

Ein Knackpunkt in den Verhandlungen, sowohl mit der EU als auch den USA, ist die Landwirtschaft. Indiens politische Opposition befürchtet, dass die Interessen von Bäuer*innen und kleineren Unternehmen geopfert werden. Denn sollten Einfuhrzölle auf EU-subventionierte Agrarprodukte wegfallen, könnte dies indischen Bäuer*innen die Existenzgrundlage entziehen. In einem Land, in dem etwa 60 Prozent der Bevölkerung Landwirtschaft betreiben, wären die Folgen katastrophal. Doch die Bäuer*innen werden das nicht kampflos hinnehmen – sie sind gut organisiert und haben Modi durch massive Proteste 2020 und 2021 schon einmal in die Knie gezwungen.

Merle Groß

hat Südasienwissenschaften und Soziologie in Berlin und Neu-Delhi studiert.

Lateinamerika

»Trumps Brechstange könnte die Kooperation innerhalb Lateinamerikas stärken. Europa spielt dabei allenfalls eine Nebenrolle«

Von Tobias Lambert

Chiles Mitte-Links-Präsident Gabriel Boric wählte klare Worte. Niemals dürfe man »den Aggressor, Russland, mit dem Opfer, der Ukraine« verwechseln, kommentierte er Anfang März die Haltung von US-Präsident Donald Trump gegenüber seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj. Doch während das Abrücken der USA von Europa auf dem alten Kontinent als neuerliche »Zeitenwende« gilt, blickt Lateinamerika insgesamt gelassener auf die weltpolitischen Verschiebungen. Abgesehen von Ausnahmen wie Venezuela, Kuba oder Nicaragua und teilweise auch linken Bewegungen, die der russischen Position nahe stehen, haben die meisten Länder der Region bislang größtmögliche Distanz zu dem Konflikt geübt, den sie nicht als den ihrigen ansehen. Weder unterstützen sie Sanktionen gegen Russland, noch Waffenlieferungen an die Ukraine. Vor ideologischen Herausforderungen steht allenfalls der rechts-libertäre argentinische Präsident Javier Milei, der bislang sowohl Trump als auch Selenskyj bewunderte. Im Zweifelsfall bleibt er aber auf der Linie Trumps, mit dem er vor allem reaktionär-gesellschaftliche Positionen teilt.

Entscheidender als der mögliche Bruch des transatlantischen Bündnisses ist für Lateinamerika, ob die unterschiedlichen Länder der Region einen gemeinsamen Umgang mit Trumps Drohszenarien finden. Bislang versucht die neue US-Regierung ihren einstigen »Hinterhof« bei den Themen Migration und Zölle durch Druck erneut zu unterwerfen und den wachsenden Einfluss Chinas zu schmälern. Doch könnte Trumps Brechstange letztlich die Kooperation innerhalb Lateinamerikas stärken. Europa spielt dabei allenfalls eine Nebenrolle. Im Außenhandel der meisten lateinamerikanischen Staaten sind die USA und China wesentlich bedeutender. In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben die Länder der Region bereits damit begonnen, ihre Außen- und Wirtschaftsbeziehungen zu diversifizieren. Neben China gewinnen andere BRICS-Staaten wie Indien, aber auch Iran oder die Türkei an Bedeutung. Gegenüber der bisherigen US-Hegemonie setzt Lateinamerika auf eine multipolare Welt.

Tobias Lambert

arbeitet als freier Autor, Redakteur und Übersetzer überwiegend zu Lateinamerika.

Finnland

»Es war ein Fehler von uns als Linke, dass wir keine Vorschläge zur Schaffung einer alternativen europäischen Sicherheitsarchitektur gemacht haben«  (Li Anderrson, Linkspartei Vasemmistoliito)

Von Robert Stark

Gerade einmal zwei Jahre ist es her, dass Finnland dem transatlantischen Militärbündnis beitrat. Im Dezember 2023 kam mit dem Defence Cooperation Agreement (DCA) ein bilaterales Abkommen dazu, das den US-Truppen weitreichende Nutzungsmöglichkeiten von einem guten Dutzend Militärstützpunkten in Finnland gibt. Zudem hat man sich auch technologisch weiter abhängig gemacht: 2021 hat Finnland eine umfangreiche Modernisierung seiner Luftstreitkräfte beschlossen. 64 der hochmodernen amerikanischen F-35-Kampfjets wurden bestellt, für gute zehn Milliarden Euro.

Mit dem Schwenk in der amerikanischen Außenpolitik weg von den europäischen Verbündeten ist die finnische politische Elite bisher überfordert. Präsident Alexander Stubb mahnt zur Ruhe und wiederholt immer wieder, man müsse Donald Trump ernst nehmen, aber nicht wortwörtlich verstehen.

Nachdem der US-Präsident allerdings immer wieder Forderungen nach der Übergabe Grönlands erhoben hatte, rückten die nordischen Staaten zusammen: Geschlossen zeigte sich alle Staats- und Regierungschefs, darunter Alexander Stubb, bei Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen zum Abendbrot. Dennoch: Die rechteste Regierung Finnlands seit dem zweiten Weltkrieg hält sich mit Kritik an den USA sehr zurück.

Die finnische Linke kritisiert die Abhängigkeit von den USA und fordert ein Einfrieren der DCA-Verträge bis Trump die territoriale Integrität der Ukraine anerkenne: »Es wäre eine ernsthafte Sicherheitsbedrohung für Finnland, den mit Putins Russland fraternisierenden USA freie Bewegung in unseren Grenzen und auf Militärstützpunkten zu geben«, schreibt die Vorsitzende der linken Parteijugend Pinja Vuorinen in einer Pressemitteilung. Vuorinen ist selbst Reserveoffizierin der finnischen Armee.

Die Europaparlamentarierin und ehemalige Vorsitzende der Linkspartei Vasemmistoliito, Li Andersson, plädierte Ende Februar in einem Interview mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung für eine eigene linke Sicherheitspolitik: »Es war ein Fehler von uns als Linke, dass wir keine Vorschläge zur Schaffung einer alternativen europäischen Sicherheitsarchitektur gemacht haben, das wäre eine konkrete Alternative zur Nato-Mitgliedschaft gewesen.«

Robert Stark

lebt in Helsinki, arbeitet im finnischen Bildungssektor und schreibt für deutschsprachige Medien.

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