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|ak 713 | Feminismus

Revolting Children

Wie das britische Netzwerk Trans Kids Deserve Better durch Störaktionen und Community-Building das transfeindliche System bekämpft

Interview: Mine Pleasure Bouvar

Aktivist*innen mit Trans-Pride-Flaggen auf dem Gebäude des nationalen Sicherheitsdienstes Großbritanniens (NHS).
Das Netzwerk Trans Kids Deserve Better ist eine der letzten trans-aktivistischen Verteidigungslinien in Großbritannien. Foto: Trans Kids Deserve Better

Im Oktober letzten Jahres sabotierte die britische Gruppe Trans Kids Deserve Better (TKDB) die jährliche Konferenz der LGB Alliance – eine der einflussreichsten transfeindlichen Lobbygruppen im Vereinigten Königreich –, indem sie 6.000 Heuschrecken in den Konferenzraum schmuggelte. Mit einer auch in Deutschland immer angespannteren Situation für transgeschlechtliche Menschen und einer in der Luft hängenden Transgesundheitsversorgung kann ein Blick auf die britische trans Militanz lehrreich sein.

Recht erfolgreich habt ihr letztes Jahr im Sommer und Herbst auch außerhalb Großbritanniens einige Aufmerksamkeit erregt. Wann habt ihr angefangen, euch zu organisieren, wie groß ist eure Gruppe und was sind Prinzipien eurer Organisierung?

Goose: Unser »Gründungsmoment«, wenn man es so nennen will, war auch unsere erste Aktion. Trans Kids hatten eine Aktion am Bürogebäude des britischen Gesundheitsdienstes (National Health Service, NHS) organisiert. Zwei Leute kletterten für einen Bannerdrop auf das Gebäude und versuchten, so lange wie möglich dort oben zu bleiben, in der Annahme, sofort verhaftet zu werden. Da das nicht passierte, schlossen sich ihnen weitere Personen an. Ironischerweise schwor eine der beiden Personen, die TKDB gründeten, dass sie sich nicht den Stress einer Organisationsgründung antun würde. Aber diese Aktion war so erfolgreich, dass wir uns kurz darauf zusammentaten, um auf Trans-Pride-Demos zu flyern und trans Kids zu mobilisieren. Das war der Beginn eines landesweiten Aktionsnetzwerks.

Merlin: Jetzt sind wir sozusagen die letzte trans-aktivistische Verteidigungslinie in Großbritannien, so ein bisschen nach dem Gedanken »Wenn wir’s nicht tun, macht’s niemand«. Darum wenden die Leute sich an uns und schließen sich uns an. Viele denken, dass insgeheim ein Team von Erwachsenen hinter TKDB steckt, aber es geht, wie der Name schon sagt, darum, dass Jugendliche sich selbst organisieren und verteidigen.

Rings: Wir legen großen Wert auf den Grundsatz, dass niemand bei uns entbehrlich ist. Jede*r bringt wertvolle Fähigkeiten und Kenntnisse ein. Ein paar Sachen sind zwar zentralisiert – vor allem in Bezug auf Supportangebote für Mitglieder –, aber wir ermutigen alle, ihre eigene Initiative vor Ort zu ergreifen und auszuprobieren, was machbar ist. Alle haben eine Meinung darüber, wie trans Kids zu sein haben, was sie mit ihren Körpern anstellen sollen und was nicht, und es gibt nie eine Plattform für unsere eigenen Stimmen. TKDB heißt also, dass junge trans Leute sich autonom organisieren können, um selbst zu entscheiden, was für sie wichtig ist.

Blue: Es geht auch um Gemeinschaft. Trans Kids sind oft sozial sehr isoliert, besonders auf dem Land.

R: Deshalb legen wir Wert auf Community-Building. Vertrauen ist wichtig, wenn wir gemeinsam Aktionen machen, und dafür braucht es Beziehungen, die über die gemeinsame politische Arbeit hinausgehen.

Wie kommt es, dass ihr die letzte trans-aktivistische Verteidigungslinie seid?

G: Es gibt viele Erwachsene, die sich organisiert haben und jetzt desillusioniert und erschöpft sind. Das System ist so angelegt, dass es dich ermüdet, weil du ständig dagegen kämpfen musst. Viele brennen dadurch aus.

M: Viele der Erwachsenen-Orgas sind als Charities eher auf Support- und Selbsthilfe statt auf Gegenwehr, oder – wie eure deutschen NGOs – auf politischen Einfluss gemünzt. Und das macht Charities ja irgendwie aus, oder? Sie springen ein, wo Politik versagt. Aber der genderkritische Backlash erschwert diese Arbeit immens.

R: Bei TKDB gibt es auch ein »adult support network«. Das sind Erwachsene, die zwar nicht direkt Mitglieder sind, aber Unterstützung übernehmen, zum Beispiel bei längeren Besetzungen, wenn wir Nachtwachen brauchen.

Trans Kids Deserve Better

ist ein Netzwerk selbstorganisierter trans Jugendlicher in ganz Großbritannien, das mit militanten Aktionen und zivilem Ungehorsam Gegenwehr gegen die gezielten Angriffe auf ihre Lebensgrundlage leistet. Im Interview mit ak sprachen für TKDB die vier Aktivist*innen Blue (sie), Merlin (er/they), Goose (er/they) und Rings (they/them). Materielle Unterstützung der Gruppe ist sehr willkommen: chuffed.org/project/support-trans-kids-deserve-better.

Eines eurer Hauptthemen ist Transgesundheit. Wie ist die Situation des britischen Gesundheitsdienstes NHS, insbesondere für junge trans Menschen?

B: Der NHS wurde in 14 Jahren konservativer Regierung systematisch ruiniert – ewige Wartelisten, enorme Rückstände und schrittweise Privatisierung. Daran hat auch der Regierungswechsel zu Labour nichts geändert, obwohl angeblich niemand Privatisierung möchte. Seit Tony Blair hat sich die ehemals sozialistische Labour-Partei erheblich nach rechts entwickelt. Mit Tories und Labour haben wir jetzt zwei neoliberale Parteien, mit dem einzigen Unterschied, dass die eine den Stiefel im Nacken der Menschen weicher machen will.

G: Labour-Abgeordnete, die nicht mit der reaktionären Parteilinie übereinstimmen, werden häufig suspendiert, was es progressiveren Pro-Trans-Stimmen schwerer macht. Die Partei verschärft jetzt Abschiebungen und unterstützt genderkritische Politik, um der rechtsextremen Partei Reform UK die Wähler*innen streitig zu machen.

B: Um auf Gesundheit zurückzukommen: Großbritannien ist das einzige Land in Europa, in dem es für Transgesundheit Spezialkliniken gibt. Die Wartezeiten für erwachsene trans Leute in diesen Kliniken betragen zwischen zwei und zehn Jahren. Und das sind nur die Wartezeiten bis zum Erstgespräch. Für trans Jugendliche gab es früher eine Abteilung in der Klinik in London, die aber aufgrund von genderkritischen Kampagnen, insbesondere dem Cass-Report (1), geschlossen wurde.

G: Der Cass-Report hat unermesslichen Schaden angerichtet. So wurde die Verschreibung von Pubertätsblockern für trans Jugendliche durch den Gesundheitsminister Wes Streeting (Labour) erst temporär eingestellt, bis die Blocker im Dezember dann dauerhaft verboten wurden. (2)

B: Trans Jugendliche sind nun in einer prekären Situation: entweder bemühen sie sich um alternative Quellen für Hormone, zahlen aus eigener Tasche für private Versorgung oder haben eben keine Versorgung.

Wie adressiert ihr diese Situation?

B: Unsere laufende Kampagne dazu heißt »Kids are dying Wes«. Jeden Tag bringen wir kleine Papiersärge mit Motiven und Botschaften zu Wes Streetings Wahlkreisbüro. Sie stehen für das Leiden aufgrund mangelnder Versorgung.

M: Wir zielen darauf ab durch konstantes Stören, dauerhaft Druck auf den Gesundheitsminister aufrechtzuerhalten. Teilweise haben wir Särge direkt an Büroangestellte übergeben – wir wissen also recht sicher, dass Wes davon mitbekommt.

R: Wir bringen jeden Tag Särge zum Büro – zum Zeitpunkt des Gesprächs seit 168 Tagen.

G: Im September letztes Jahr wurde uns dann von Streeting ein Treffen angeboten, auf das wir bis heute warten. Streeting hatte im Oktober ein Treffen mit trans Charities, also hat er den Punkt »trans Community treffen« wohl schon abgehakt. Allerdings lädt er wiederholt transfeindliche Gruppen ein, die sich zum Beispiel für missbräuchliche Praktiken wie die elterliche Konversionstherapie einsetzen.

Unsere Prinzipien als autonome Jugendliche kreisen um Chaos und Ungehorsam.

Was ist eure konkrete Strategie an diesem Punkt? Apelliert ihr an das Gewissen von Politiker*innen wie Wes Streeting? Denn wenn Treffen ausbleiben oder ergebnislos sind, könnte man argumentieren, dass es schlicht die Funktion des Gesundheitsministers ist, die Entkernung des NHS zugunsten von Privatisierung zum Beispiel mittels transfeindlicher Maßnahmen aufrechtzuerhalten.

G: Ich glaube nicht, dass wir in absehbarer Zeit auf offiziellem Weg eine Stimme bekommen. Aber wenn wir direkte Aktionen machen, können wir uns selbst eine Stimme geben, die nicht so leicht ignoriert werden kann.

B: Und wir arbeiten ständig an neuem Unfug, den wir anstellen können.

Die Strategie ist also, den Druck konstant hochzuhalten?

G: Genau! Wir hören nicht auf, Scheiße zu bauen. Unsere Prinzipien als autonome Jugendliche kreisen um Chaos und Ungehorsam. Ein bisschen wie »Revolting Children« aus der Musical-Adaption von Roald Dahls Matilda.

R: Wir konzentrieren uns auf gezielte Aktionen statt Demos und statischem Protest. Davon gab es schon so viel, dass es leichter ignoriert wird. Viele kommen zu TKDB, um stattdessen gezielt Gebäude, Gruppen und Personen anzugreifen, die Probleme für uns verursachen.

M: Da wir so sehr gegen den Strom der Politik und der allgemeinen Stimmung schwimmen, wäre es schwer, unser Momentum aufrechtzuerhalten, wenn wir an jede Aktion den Maßstab von Erfolg oder Misserfolg ansetzen. Wenn du alles in eine Aktion steckst, und dann wird deine Gesundheitsfürsorge trotzdem weiter eingeschränkt, ist das schnell entmutigend. Unser eigentlicher Erfolg besteht also mehr darin, dass wir uns nicht demoralisieren lassen.

Welche Bündnisse sucht ihr oder habt ihr bereits geschlossen? Wer sind enge Verbündete im Kampf um Transbefreiung?

M: Im September waren wir beim Gewerkschaftskongress. Es gibt einige halbwegs einflussreiche Gewerkschafter*innen, die uns helfen wollen.

G: Es ist schwierig, politische Allianzen mit dem Mainstream zu schließen als eine Gruppe, die direkte Aktionen durchführt. Deshalb sind gewerkschaftliche Verbindungen sehr wichtig, aber noch würde ich nicht von festen Bündnissen sprechen.

In Deutschland geht es allmählich in eine ziemlich ähnliche Richtung, insbesondere nach den letzten Wahlen. Welchen Rat oder welche ermutigenden Worte könnt ihr radikalen trans Aktivist*innen in Deutschland mitgeben?

B: Bleibt ruhig. Die Panik mag der erste Instinkt sein, aber hütet euch davor, euch durch Aktionismus und Panik auszubrennen – darauf zielt dieses System ab.

G: Scheiß auf das System, bleib mal drei Tage im Bett! Sei sanft mit dir selbst und mach Pausen. Lass die Community sich auch mal um dich kümmern, damit du mit deinem Aktivismus zurückgeben kannst. Denk dran, dass Veränderung Zeit braucht. Die Systeme der Unterdrückung wollen dir das Gefühl geben, dass sich nichts ändern kann – aber das wird es.

R: Wenn Regierungen tun, was sie tun, kann das unglaublich isolierend sein. Eines der mächtigsten Dinge, die wir tun können, ist, einander zu finden und Netzwerke der Solidarität und Liebe füreinander aufzubauen als etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt.

M: Wenn man euch zum Sündenbock macht, euch eure Gesundheitsfürsorge, euren Platz in der Schule und im öffentlichen Leben nimmt, habt ihr das Recht, wütend zu sein. Auch wenn es beängstigend ist, bleibt nichts anderes übrig, als aktiv zu werden. Wenn ihr in der Lage seid zu kämpfen, dann tut es. Wenn schon nicht für euch selbst, dann für andere. Tut euch zusammen, organisiert euch!

Anmerkungen:

1) Eine transfeindlich motivierte, methodisch unsaubere Studie von Dr. Hilary Cass über die Versorgung von transgeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen, die vom britischen Gesundheitsdienst in Auftrag gegeben wurde.

2) Zur Behandlung in nicht trans-spezifischen Kontexten sind dieselben Medikamente weiterhin als sicher eingestuft im regulären Gebrauch.

Mine Pleasure Bouvar

ist prekär freischaffende politische Bilder*in. Schreibt, denkt, workshopt und konspiriert für die transsexuelle Befreiung und den queeren Kommunismus.

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