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Nothing more powerful

Mehr noch als ein politisches Statement war Kendrick Lamars Super-Bowl-Halftime-Show eine Zelebrierung und Würdigung der Hip-Hop-Kultur

Von Sîpan Agirman

Kendrick Lamar performt auf dem Bonnaroo-Musikfestival 2012.
Um die Bedeutung hinter Kendrick Lamars Performance auf dem Super Bowl zu verstehen, musste man genau hinhören. Foto: Jon Elbaz / Flickr, CC BY 2.0

Der erste Solo-Rapper als Headliner und 133,5 Millionen Zuschauer*innen vor dem Fernseher – der US-amerikanische Rap-Superstar Kendrick Lamar hat mit seiner Halbzeitshow auf dem Super Bowl diesen Monat mehrere Rekorde aufgestellt. Wenig überraschend wurde die Hip-Hop-Performance kontrovers aufgenommen. Viele Kritiken zeugen jedoch von einem fehlenden Verständnis des Künstlers und seines Werks, insbesondere seiner politischen Statements und Bezüge auf Schwarze Hip-Hop-Geschichte.

Gleich zu Beginn der Show verkündet Kendrick nach der ersten Strophe »The revolution ‘bout to be televised / you picked the right time but the wrong guy« – eine Referenz auf den berühmten und vielzitierten Song »The Revolution Will Not Be Televised« von Gil Scott-Heron aus dem Jahr 1970, der sich im Kontext der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung mit seinem kapitalismus- und medienkritischen Appell insbesondere an die Schwarze Bevölkerung richtete. Geht man zurück in die Anfänge der Rap-Karriere von Kendrick Lamar, findet man bereits im Track »HiiiPoWeR« (2011) eine Anspielung auf Scott-Herons Song, denn Kendrick rappt hier »My issue isn’t televised.« Auch in vielen anderen Songs aus dieser Zeit (z.B. »Fuck your Ethnicity«) präsentierte sich Kendrick mit radikalen politischen Texten, denen man bis zu einem gewissen Grad linke Ideen und eine Ablehnung von Nationalismus zuschreiben kann.

Springt man zurück in die Gegenwart, zeigt sich in den Texten und Auftritten ein zum Teil verändertes Bild. Besonders auffällig ist die Einbettung der grundsätzlichen Kritik (z.B. an der weißen Herrschaft) in einen proamerikanischen Rahmen, welche sich beispielsweise in Versuchen widerspiegelt, US-amerikanische Symbolik aus Schwarzer Perspektive anzueignen. Bei der Super-Bowl-Performance waren das vor allem die von Schwarzen Tänzer*innen gebildete US-amerikanische Flagge und die Nationalallegorie Uncle Sam, dargestellt durch Samuel L. Jackson. So passt es, dass Kendrick aus der realistischen Einschätzung »My issue isn’t televised« 14 Jahre später die wortgewaltige, aber doch leere Versprechung »The revolution ‘bout to be televised« macht – zumindest wenn man die Revolution im politischen Sinne versteht. Denn löst man den Künstler Kendrick Lamar von einer politischen Einbettung, drückt ihm nicht den Stempel eines »Conscious-Rapper« auf und erkennt, was er am ehesten ist, nämlich ein Teil und ein Aktivist der Hip-Hop-Kultur, so erschließt sich einem die mögliche Bedeutung der proklamierten und im US-amerikanischen TV übertragenen »Revolution«.

Die gesamte Karriere von Kendrick, aber insbesondere auch die vergangenen elf Monate, in denen das große Rap-Battle mit dem kanadischen Musiker Drake öffentlich ausgetragen wurde, haben gezeigt, wie sehr sich Kendrick nicht nur mit den Werten der Hip-Hop-Kultur identifiziert, sondern auch bereit ist, für diese im wahrsten Sinne des Wortes in die Schlacht zu ziehen. Drake, der viele Jahre lang die Musiklandschaft im Allgemeinen, aber vor allem auch die Hip-Hop-Landschaft mitdominierte, steht für viele Dinge, die den Werten der Hip-Hop-Kultur widersprechen. Sei es Ghostwriting, fehlende Authentizität durch Aneignung fremder Dialekte, Sprache und Kleidung oder – ganz aktuell – der Gang zur Justiz aufgrund eines Disstracks. All das führte dazu, dass der Unmut gegen Drake schon seit einiger Zeit in weiten Teilen der Hip-Hop-Community präsent war. Daher rappt Kendrick in seinem Disstrack »euphoria«: »And notice, I said ›we‹, it’s not just me, I’m what the culture feelin’«. Zusätzlich zur künstlerischen und lyrischen Genialität Kendricks war dies ohne Zweifel auch ein Grund für den klaren Sieg Kendricks im Battle gegen Drake. Neben den symbolischen Ohrfeigen gegen Drake und der bildhaften Darstellung des »Great American Game« war die Show jedoch in erster Linie eine beeindruckende Zelebrierung von Hip-Hop auf einer der größten Bühnen der Welt. So wie es Kendrick eine Woche zuvor in einer seiner Dankesreden zu den fünf erhaltenen Grammy Awards sagte: »Nothing more powerful than rap music. I don’t care what it is. (…) Respect the artform.«

Sîpan Agirman

ist Hip-Hop-Fan.