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Gefällige Vollstrecker

Die nächste Bundesregierung wird AfD-Migrationspolitik machen – was macht die Straße?

Von Guido Speckmann

Robert Habeck mit weißem Hemd vor grünem Hintergrund.
Ihm wird selbst aus den eigenen Reihen vorgeworfen, rechte Narrative zu verbreiten: Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck (hier auf einer Aufnahme von 2018). Foto: Stefan Roehl/Flickr, CC BY-SA 2.0

Was war das für eine Aufregung: Vom Tor zur Hölle war die Rede, von einem brandgefährlichen Spiel, von Tabu- und Wortbruch und vom Niederreißen der so oft bemühten Brandmauer, als Friedrich Merz Ende Januar im Bundestag die Stimmen der extrem rechten AfD für seinen Anti-Migrations-Fünf-Punkte-Plan in Kauf nahm. Deren Politiker*innen freuten sich und prophezeiten eine »neue Epoche«, als die Mehrheit für den symbolischen Entschließungsantrag feststand. Zwei Tage später wollte Merz das Spiel wiederholen. Beim »Zustrombegrenzungsgesetz« jedoch fehlten entscheidende Stimmen aus der CDU und der FDP. 

Die Aufregung, die sich seitdem unter anderem auf riesigen Demonstrationen artikuliert, ist berechtigt. Aber sie verschleiert auch etwas: Nämlich, dass die Parteien der sogenannten Mitte die Problemanalyse, derzufolge zu viele Migrant*innen nach Deutschland kämen, schon lange übernommen haben. Und dass sich die dagegen in Stellung gebrachten politischen Maßnahmen von CDU, SPD, FDP und Grünen nur noch graduell von denen der AfD unterscheiden. 

So kam, als Merz seinen Fünf-Punkte-Plan vorstellte, gleich von etlichen AfD-Politiker*innen sinngemäß die Botschaft: Glückwunsch, lieber Friedrich, du hast unsere Positionen übernommen, wir stimmen natürlich zu. Und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) verlängerte knapp zwei Wochen später nicht nur die längst eingeführten Grenzkontrollen um ein halbes Jahr, sondern beteuerte zur Schnittmenge in der Migrationspolitik: »Wir sind mit der Union nicht weit auseinander.« Ergo sind sie auch nicht weit von der AfD entfernt – lediglich auf das EU-Recht wird noch gepocht, an dessen Änderung zuungunsten von Migrant*innen die Ampel freilich fleißig mitgewirkt hat. 

So machen sich auch die Parteien der sogenannten linken Mitte den in weiten Teilen migrationsfeindlichen »Volkswillen« zu eigen.

Was in der Sache richtig ist, wird nicht dadurch falsch, dass die Falschen zustimmen, hat Merz zigmal wiederholt und ebenso oft betont, dass er nicht mit der AfD zusammenarbeiten oder gar koalieren werde. Tatsächlich wird es dazu auf absehbare Zeit wohl kaum kommen (was 2029 im Bund oder in zwei Jahren in den ostdeutschen Ländern sein wird, steht auf einem anderen Blatt). Denn zumindest vorerst braucht die Union die Schmuddelkinder vom rechten Rand noch, um am Narrativ der bürgerlichen Mitte festhalten zu können. Eine Mitte ohne Abgrenzung zu den Rändern ist schließlich nicht möglich. 

SPD und Grüne spielen mit, was nicht verwundert. Immerhin haben die Sozialdemokrat*innen schon 1993 dem sogenannten Asylkompromiss zugestimmt, dem eine jahrelange rassistische Kampagne von Union und Teilen der Medien vorausgegangen war, und auch in den Jahrzehnten danach fielen ihre Politiker*innen durch üble Äußerungen auf. Jüngste Beispiele: Olaf Scholz als »Abschiebekanzler« auf dem Spiegel-Titel und im TV-Duell mit Merz, wo er sich damit brüstete, dass seine Ampel-Koalition die Zahl der Abschiebungen um 70 Prozent gesteigert habe.

Die Grünen hatten wie immer Bauchschmerzen, knickten aber ein. Und ihr Kanzlerkandidat Robert Habeck treibt das Spiel beim Werben um die rechten Wähler*innen weiter: Er kündigte via Bildzeitung einen Zehn-Punkte-Plan zur Sicherheits- und Asylpolitik an, die – so die Kritik aus der eigenen Partei – »rechte Narrative« bediene. So machen sich auch die Parteien der sogenannten linken Mitte zu gefälligen Vollstreckern des in großen Teilen migrationsfeindlichen »Volkswillens«. 

Wurde kurz nach Merz‘ Manöver im Bundestag noch mehrheitlich vermutet, dass sich ein Riss zwischen CDU und SPD/Grünen aufgetan habe, zeigt sich nun, wie schnell der sich wieder schließt. 

SPD und Grüne halten zwar noch etwas Distanz – klar, es ist Wahlkampf –, aber nach dem 23. Februar wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die eine oder andere Partei mit der Union koalieren. Migrationspolitisch könnte dann unter rot-grüner Beteiligung vieles von dem durchgesetzt werden, was – als es mit Stimmen der AfD im Bundestag Mehrheiten fand – zu großer und berechtigter Aufregung führte. Ob diese rechte Politik, wenn sie ganz demokratisch und aus der »Mitte« heraus stattfindet, ebenso viel Resonanz auf den Straßen erzeugt?

Guido Speckmann

ist Redakteur bei ak.

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