Erfrischend komplex und trotzdem nicht gut
Filme, die es aus Iran auf westliche Leinwände schaffen, zeigen oft eindimensionale Opferfiguren – »Die Saat des heiligen Feigenbaums« macht es ein wenig besser
Von Sanaz Azimipour

Den Film »Die Saat des heiligen Feigenbaums« habe ich mit der Befürchtung geschaut, dass ich ihn definitiv hassen würde – und hier ist der Grund für diese Befürchtung: Die meisten iranischen Filme, die es in die Kinos außerhalb Irans schaffen, die hier gerne gesehen und gefeiert werden, haben mehr oder weniger immer dasselbe narrative Muster. Entweder sind es pseudo-politische Filme, das heißt Filme mit einem politischen Marketing, die versuchen, ein soziales Problem (sagen wir: Frauenunterdrückung) zu betrachten, aber daran scheitern, eine wirklich politische oder emanzipatorische Geschichte zu erzählen. Filme wie »Teheran Tabu« oder »The Salesman«, die sich mit »Frauenproblemen« befassen möchten, schaffen es dabei nicht einmal, Frauen im Allgemeinen als reale und komplexe Charaktere zu zeigen. Oder aber es sind Filme, die dazu dienen sollen, die Perspektive der weißen Zuschauer*innen auf »den Iran« zu hinterfragen und möglicherweise ins Positive zu verändern. Filme wie »Raving in Iran«, die in Deutschland viel Aufmerksamkeit bekommen, weil »Raving« scheinbar die einzige Möglichkeit ist, wie deutsche Kinobesucher*innen sich mit anderen Menschen auf der Welt verbunden fühlen können.
In diesen Filmen sind die »Betroffenen« keine politischen Subjekte, sondern meist völlig eindimensionale Opferfiguren, die außerhalb ihrer Unterdrückung nicht viel zu bieten haben. Sie erzählen ausschließlich eine Geschichte des Elends und nicht des Widerstands. Deswegen bleiben diese Filme trotz ihres politischen Marketings am Ende unpolitisch.
Wilder Genre-Wechsel
Vor diesem Hintergrund, aber neugierig aufgrund der Tatsache, dass der Film »Die Saat des heiligen Feigenbaums« während der Frauen, Leben, Freiheit-Bewegung entstanden ist, habe ich ihn mir mit großer Vorsicht angeschaut. Überraschenderweise gehörte »Die Saat des heiligen Feigenbaums« nicht zu den beschriebenen Filmen. Trotz des übertriebenen Symbolismus und der teilweise extrem kitschigen Erzählweise war es erfrischend zu sehen, dass die Frauen im Film tatsächlich Charaktere haben, die sich auch mal widersetzen und nicht nur Opfer ihres traditionellen, patriarchalischen Vaters beziehungsweise Ehemannes sind.
Der Film beginnt mit der Vorstellung einer vierköpfigen, traditionell-religiösen Familie mit zwei Schwestern, einer Mutter und einem regimetreuen Vater, der vor kurzem zum Ermittlungsrichter befördert wurde – ein Job, von dem die Töchter erst später erfahren. Die Geschichte startet dabei als langsam erzähltes Melodrama über die familiären Beziehungen innerhalb eines regimetreuen Haushalts und die Auseinandersetzungen der Töchter mit ihren Eltern während der Frauen, Leben, Freiheit-Bewegung, und er endet in einem Krimi mit Verfolgungsjagden, Action moves und Schießereien. Dieser Genre-Wechsel ist so instabil und inkonsistent, dass man hätte denken können, der Film sei aus zwei verschiedenen Drehbüchern gemacht, die am Ende zwanghaft zusammengeklebt wurden.
Trotz einiger Bezüge zur Jina-Bewegung bleibt diese weitgehend unbedeutend für die Entwicklung der Geschichte.
Mit fast drei Stunden ist der Film zwar lang, aber dennoch fesselnd inszeniert. Während einige Charakterentwicklungen und schauspielerische Leistungen überzeugen – die jüngste Tochter (Setareh Maleki) etwa, die dem Vater immer wieder widersteht –, bleiben andere blass oder unvollständig. Ein Beispiel ist die beste Freundin der älteren Tochter (Mahsa Rostami), die zunächst eine zentrale Rolle in der Geschichte des Filmes spielt, dann während der Proteste schwer verletzt wird und irgendwann ohne weitere Erklärung komplett aus dem Film verschwindet. Auch die Entwicklungen der Mutter (Soheila Golestani) und des Vaters (Missagh Zareh) wirken sprunghaft: Die Mutter wechselt abrupt von absolutem Gehorsam gegenüber ihrem Mann zur Solidarität mit ihrer Tochter, nur kurz nachdem sie ihm noch geholfen hat, Gegner*innen brutal zu verfolgen. Ebenso verwandelt sich der Vater von einem armen naiven, aber gläubigen und guten Familienvater, Ehemann und loyalen Regime-Angestellten schlagartig in ein skrupelloses Monster, das seine eigene Tochter foltert, sobald er an ihrer Loyalität zweifelt.
Der Kern bleibt unerforscht
Das Problem der Charakterentwicklung ist jedoch nicht nur eines des Drehbuchs, sondern das Ergebnis einer unzureichenden politischen Auseinandersetzung mit den Themen, die der Film zu thematisieren verspricht. Wie gesagt spielt die Handlung parallel zu den Protesten 2022 in Iran. Allerdings bleibt diese Bewegung – abgesehen von ein paar Videoausschnitten, die die Protagonist*innen auf ihren Handys anschauen und einigen Bezügen zu den Ereignissen der Jina-Bewegung (wie Massenverhaftungen, Hinrichtungurteile und Augenschüsse) – weitgehend unbedeutend für die Entwicklung des Plotts. Abgesehen von symbolischen Gesten, wie dem kurdischen Gesang in einigen Momenten des Films oder einer im Keller versteckten Musikkassette mit Frauenstimmen, setzt sich der Film inhaltlich kaum mit der Bewegung auseinander. Die Geschichte hätte ebenso gut heute, vor fünf Jahren, während des blutigen Novembers 2019 oder während jeder anderen Protestwelle spielen können.
Der Regisseur verliert sich in überladener Symbolik und metaphorischen Details, die den Blick auf den politischen Kern der Bewegung verstellen – nämlich »Jin«: für das Leben und gegen die staatliche Gewalt, die zum Tod von Jina Amini führte. Deshalb kommt »Die Saat des heiligen Feigenbaums« trotz seiner vielen Schnitte von Straßenprotesten nicht zur Politisierung, weil er es nicht schafft, die Botschaft der Bewegung, also den Kampf für ein gutes Leben, an die Zuschauer*innen weiterzugeben. Er bleibt, wie viele andere Filme auch, eine Erzählung über etwas, das in der Ferne geschieht.
Die Saat des heiligen Feigenbaums. Iran & Deutschland 2024. 167 Minuten. Regie: Mohammad Rasoulof.