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Neptuns Alptraum

Bedrängt von Repression leisten rumänische Aktivist*innen Widerstand gegen ein riesiges Gasprojekt

Von Hannah Kiefer

Ein Gruppe teils vermummter Protestierender hält ein rotes Banner mit der Aufschrift "Stop Neptun Deep".
Proteste gegen die Gaskonferenz in Bukarest im Januar 2025. »Neptun Deep« ist ein im rumänischen Schwarzen Meer geplantes neues Gasprojekt. Foto: Dani H.

Bereits seit drei Jahren protestieren Aktivist*innen vor allem aus Österreich und Rumänien gegen die European Gas Conference. Eine Veranstaltung der Gaslobby mit EU-Politiker*innen, die hinter verschlossenen Türen über die Förderung und Lieferung von Gas – auch aus Russland – verhandeln. 2024 konnten die Aktivist*innen in Wien einen wichtigen Erfolg feiern: Die Konferenz wurde nach Protesten abgesagt. Dieses Jahr fand sie wieder statt, allerdings nicht wie in den Jahren zuvor in Wien, sondern in Bukarest, der rumänischen Hauptstadt. Ein Grund für diesen neuen Ort ist das Gasprojekt Neptun Deep, das im rumänischen Schwarzen Meer geplant wird.

Gegen das derzeit größte fossile Gasprojekt der EU protestiert die rumänische Klimabewegung lokal seit 2021. OMV Petrom – eine Tochtergesellschaft des österreichischen Energiekonzerns OMV – und das rumänische Unternehmen Romgaz planen, im Schwarzen Meer von 2027 bis 2047 Gas zu fördern. Kritik kommt aus der Klimabewegung: Das Gasprojekt wird etwa 270 Millionen Tonnen CO2 verursachen, was etwa der Menge entspricht, die ganz Rumänien in 3,5 Jahren emittiert. Neben dem enormen CO2-Ausstoß bedroht das Projekt außerdem das lokale Ökosystem im Schwarzen Meer.

Ana-Maria Stanciu von der Klimagerechtigkeitsgruppe Acțiune Climatică Timișoara gehört zu den Organisator*innen der Proteste gegen das Tiefsee-Gasprojekt. Die Startbedingungen für große Proteste seien in Bukarest und Rumänien aber schwierig, berichtet sie im Gespräch mit ak: »Die Klimabewegung in Rumänien ist eher klein.« Der Staat setze außerdem alle repressiven Kräfte ein, um das Wachstum dieser Bewegungen zu verhindern. »Das Energieministerium zum Beispiel hat mehrere Klagen gegen Greenpeace eingereicht und behauptet, dass deren gewaltfreie Aktionen die nationale Sicherheit gefährden.« Hinzu kommt: Die Klimakrise spielt im öffentlichen Diskurs über Neptun Deep bisher keine Rolle. Das Gasprojekt wird als positive Entwicklung propagiert und von vielen Menschen auch so gesehen, weil es zu Energiesicherheit und wirtschaftlichem Aufschwung beitrage. Aktivist*innen, die sich gegen Neptun Deep stellen, werden gar als Russlandsympathisant*innen dargestellt. 

Das Energieministerium hat mehrere Klagen gegen Greenpeace eingereicht und behauptet, dass deren gewaltfreie Aktionen die nationale Sicherheit gefährden.

Auch die Klimaaktivistin Valeria Ivan geht im Gespräch mit ak auf die schwierigen Bedingungen in Rumänien ein: »Die große Mehrheit schweigt zu Neptun Deep.« Einen Teil dieser Menschen kann die rumänische Aktivistin verstehen: »Es sind Menschen, die jeden Tag damit kämpfen, ihre Gaspreise zu bezahlen, während die rumänische Regierung nichts getan hat, um die Gaspreise zu kontrollieren.« Niemand schere sich um das Klima und Delfine, wenn er kein Geld hat, um Stromrechnungen, Lebensmittel, Transport und andere Grundbedürfnisse zu bezahlen.

Die lokale Bevölkerung wird jedoch als erstes von den negativen Umweltfolgen des Megaprojekts betroffen sein, die auch dem Tourismus an der rumänischen Küste schaden. Während OMV Petrom und Romgaz bis 2047 auf Kosten des Klimas Profite erwirtschaften, sind die Auswirkungen der Klimakrise schon jetzt deutlich spürbar, erklärt Valeria: »Im letzten Sommer trockneten über 600 Seen und Flüsse vollständig aus. Dann kamen Überschwemmungen, die Hunderte von Menschen obdachlos machten, aber auch zu Ernteausfällen führten.« Die Menschen seien mit 2.000 Euro abgespeist worden, nachdem sie mit ansehen mussten, wie innerhalb weniger Stunden ihre gesamte Existenz zerstört wurde. Da hat sich Valeria gefragt: »Wie viel Geld hat ein Geschäftsführer, etwa von OMV Petrom? Hat er jemals gesehen, wie Häuser durch Überschwemmungen zerstört wurden?«

Und wie in anderen europäischen Ländern verschärft der Rechtsruck zusätzlich die Situation für soziale Bewegungen. Rumänien hat bei den letzten Wahlen einen massiven Aufstieg der extremen Rechten erlebt – von fast null auf ca. 40 Prozent in nur vier bis fünf Jahren. Die Logik dieser rechtsextremen Gruppen entspreche dem, was Andreas Malm den fossilen Faschismus nennt, meint Ana-Maria Stanciu.

Valeria Ivan befürchtet zudem negative Auswirkungen des Rechtsrucks auf die Klimabewegung, die bereits jetzt zerstritten ist. Die meisten Menschen seien noch misstrauischer geworden, weswegen es schwieriger werde, Menschen zu finden, auf die man sich verlassen könne. »Nationalist*innen stellen Aktivist*innen als Feinde der Bevölkerung dar und bedienen sich populistischer Diskurse.« Und Ana-Maria weist darauf hin, dass sich der Protest in Rumänien in der grundlegenden Phase des Bewegungsaufbaus befinde. »Genoss*innen, die aus Österreich oder Deutschland mit uns kämpfen wollen – und das sollen sie – müssen sich auf diese Realität einstellen und ihre Ziele und Erwartungen entsprechend anpassen.« Große Besetzungen im Stil von Ende Gelände seien in Rumänien derzeit nicht möglich. Es gehe darum herauszufinden, was funktioniert, was eine gewisse Offenheit erfordere. »Und das fällt nicht immer leicht«, so Ana-Maria.

Doch es gibt auch Grund zur Hoffnung. 2013 gab es massenhaften Protest gegen die Goldmine Roșia Montană, landesweit wurden Demonstrationen und Straßenblockaden organisiert. Zwischen dieser erfolgreichen Protestbewegung und den Protesten gegen Neptun Deep gibt es Parallelen, die Hoffnungen machen. »Am Anfang haben sich auch nur kleine Gruppen gegen Roșia Montană organisiert, dann ist es plötzlich zu einer nationalen Bewegung gewachsen, die es dann geschafft hat, die Regierung zu zwingen, den Abbauvertrag für die Goldmine zu kündigen«, erläutert Ana-Maria. 

Doch das wird nur gelingen, wenn der Protest nicht auf Rumänien beschränkt bleibt, sondern international wird. Das Gas wird in Rumänien gefördert und verursacht dort Gasaustritte, dann wird es durch Ungarn transportiert und unter anderem in Österreich und Deutschland für deren Industrie genutzt. Valeria Ivan sagt: »Alle europäischen Bürger*innen und Aktivist*innen sollten uns zuhören, wenn wir über staatliche Repressionen und die Gefahren sprechen, denen Aktivist*innen ausgesetzt sind. Denn wir sind die ersten, die davon betroffen sind.« Sie wünscht sich, dass Europa versteht, dass das Schwarze Meer ein wirklich wichtiger Teil unseres Ökosystems ist und vielen Menschen am Herzen liegt.

Hannah Kiefer

ist Aktivistin und beschäftigt sich hauptsächlich mit den Themen Klimagerechtigkeit, Antifaschismus und Ökologische Ökonomik.