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|Thema in ak 712: Endet der Ukraine-Krieg?

Für ein Stück Land

Trumps Vorstoß wird wohl zu einem Ende des Krieges führen, wie hoch muss die Ukraine dafür bezahlen?

Von Tomasz Konicz

Eine gelbe, eine blaue und eine blauweiß schraffierte Fläche, darüber eine Friedenstaube mit orangefarbener Frisur
Wer bringt den Frieden – und was für einen? Grafik: Fleur Nehls

Befinden sich die Imperialisten im Kreml bei ihrem Angriffskrieg in der Ukraine auf der Zielgeraden? Mit dem Amtsantritt des Rechtspopulisten Donald Trump scheint sich die ohnehin aussichtslose militärische Lage der Ukraine schlagartig auch auf geopolitischer Ebene verschlechtert zu haben. Die Trump-Administration hat unverzüglich nach der Übernahme der Amtsgeschäfte alle Auslandshilfen eingefroren – inklusive der Hilfsprogramme für die Ukraine. Nun hat Trump mit Wladimir Putin direkte Gespräche aufgenommen.

Nun hat er auch konkretisiert, worauf ein geopolitischer »Deal« zur Beendigung des Krieges hinauslaufen könnte: Russland erhält große Teile oder auch alle der beanspruchten Gebiete in der Ukraine (welche Territorien Putin bekomme, interessiere ihn nicht sonderlich, sagte Trump), die USA Zugriff auf die Bodenschätze des angegriffenen Landes, um Sicherheitsgarantien sollen sich die Europäer*innen kümmern, und eine Nato-Perspektive für die Ukraine ist vom Tisch. Die EU-Staaten reagierten alarmiert und forderten, ebenfalls in die Verhandlungen einbezogen zu werden. Eine Rolle in den Verhandlungen scheint ihr aber seitens der Trump-Regierung nicht zugestanden zu werden, ebensowenig der Ukraine.

Das strategische Kalkül Putins – das auf einen langwierigen Abnutzungskrieg und den Wahlsieg Trumps setzte – scheint somit tatsächlich aufzugehen. Zuletzt sah sich Russlands Staatschef im vergangenen November durch den Einsatz weitreichender westlicher Raketensysteme gegen Russland herausgefordert. Putin hat dies im Herbst 2024 zu einer »roten Linie« erklärt, die den Kreml faktisch in einen Kriegszustand mit der Nato treiben würde.

Das strategische Kalkül Putins, das auf einen langwierigen Abnutzungskrieg und den Wahlsieg Trumps setzte, scheint aufzugehen.

Doch Putin eskalierte Ende 2024 nicht, weil er sich bei seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine auf der Siegesstraße wähnt. Und das in doppelter Hinsicht. Zum einen führt der langwierige Abnutzungskrieg dazu, dass das größere russische Ressourcenpotenzial immer stärker zum Tragen kommt. Schon in den letzten Monaten wurde offenkundig: Die Geländegewinne Russlands im Osten beschleunigen sich, während die ukrainische Armee kaum noch in der Lage ist, genügend Menschenmaterial für die Front zu mobilisieren. Die Drohne und die Informationstechnik funktionieren als der große Gleichmacher auf dem Schlachtfeld des 21. Jahrhunderts, was eine offensive Kriegsführung erschwert – ähnlich dem Maschinengewehr während des Ersten Weltkrieges.

Was bleibt, ist die Verfeuerung von Material und Menschen an der weitgehend statischen Front, bis eine der Kriegsparteien kollabiert. Deswegen sind die graduellen Erfolge Russlands im Osten so entscheidend, da hierbei die am besten ausgebauten Verteidigungslinien der Ukraine überwunden wurden. Jede weitere ukrainische Frontlinie ist schwächer aufgestellt. Da der Westen in der Ukraine aller Voraussicht nach nicht direkt intervenieren wird, will es das blutige Gesetz der Kriegsmathematik, dass Kiew bei dem Abnutzungskrieg, sollte er bis zur letzten Konsequenz geführt werden, unterliegen muss.

Eskalationslogik und Abnutzungskrieg

Die einzige realistische Chance auf einen militärischen Sieg Kiews bestand in einer Erschütterung der russischen Machtvertikale, also dem Verlust wichtiger Entscheidungsträger*innen unterhalb von Putin. Diese Möglichkeit zeigte sich kurz bei der Revolte der Wagner-Truppe um den Söldnerführer Prigoschin. Doch dieser wurde vom Kreml inzwischen beseitigt, sodass der Opposition innerhalb der russischen Eliten ein militärisch-organisatorischer Kern fehlt, an dem sich ein Oligarchenaufstand gegen den desaströsen Krieg Putins – dieser ist auch für Russland ein sozioökonomisches und demografisches Desaster – entzünden könnte.

Ähnlich spekuliert der Kreml. Russlands winterliche Terrorkampagne gegen die ukrainische Infrastruktur, insbesondere gegen den Energiesektor der Ukraine, hat die Erosion der Moral und Widerstandsfähigkeit der ukrainischen »Heimatfront« zum Ziel, um so die Mobilisierungsfähigkeit von Armee und Gesellschaft in der Ukraine zu minimieren und letztendlich zu zerstören. Die zunehmende Fahnenflucht in der ukrainischen Armee zeigt, dass diese Zermürbungstaktik im Rahmen des Abnutzungskriegs erfolgreich ist.

Worauf beide Seiten – realistisch betrachtet – abzielen können, ist die Erosion der Staatlichkeit der gegnerischen Kriegspartei. Eine andere Form des Sieges, insbesondere gegen Russland, ist kaum noch denkbar. Der feindliche Staat soll zum Failed State werden – dieses Kriegsziel ist in der Tat realistisch, weil es in dem krisenhaften Lauf der Dinge eingewoben ist. Die Krise des Kapitals lässt Staatsapparate verrohen, in Zerfall übergehen – der Krieg beschleunigt diese Tendenz nur. Die militärische Auseinandersetzung als Endform geopolitischer Krisenkonkurrenz bildet das Medium, in dem dieser Krisenprozess sich vollziehen wird.

Den Sieg vor Augen hat der Kreml aber vor allem aufgrund der neuen Amtszeit Donald Trumps. Trump erklärte schon im Wahlkampf immer wieder, den Ukrainekrieg rasch durch Verhandlungen beenden zu können. Für den Kreml schien somit die Aussicht auf einen Siegfrieden am Verhandlungstisch realistisch – zumal die USA nun in offene Faschisierung eintreten, samt eines reaktionären politischen Klimas und einer oligarchischen Machtstruktur, wie sie auch für das Russland unter Putin charakteristisch ist. Es ist offensichtlich, dass die Krise des Kapitals in den westlichen Zentren inzwischen so weit vorangeschritten ist, dass sie sich den zerrütteten machtpolitischen Strukturen der postsowjetischen Semiperipherie annähern. Ein dreckiger geopolitischer Deal auf dem Leichnam der Ukraine, ausgeheckt von autoritären Führern hochkorrupter, faschistoider, oligarchischer Staatsmänner, darauf hofft der Kreml in diesem Jahr und scheint nun diesem Ziel näher denn je.

Putin drohte mit nicht weniger als mit einem Einsatz von Nuklearwaffen.

Womit wir wieder bei den eingangs erwähnten roten Linien des Kreml wären, die durch den Westen Ende 2024 in Gestalt weitreichender Raketenschläge auf das russische Hinterland überschritten wurden. Aus der Perspektive Moskaus schien es so, dass diese Angriffe nur bis zum 20. Januar hingenommen werden mussten, bis zum Amtsantritt Trumps. Wozu einen Atomkrieg riskieren, wenn der Sieg so nah scheint? Im Westen – in Washington wie in vielen Hauptstädten der EU – griff hingegen Torschlusspanik um sich. Vieles von dem, was nach der Wahl Trumps von Washington oder der EU außenpolitisch initiiert wurde, diente dazu, geopolitische Prozesse und Entwicklungen irreversibel zu machen. Den neuen Gesichtern, die nun in Washington ihren Nationalismus und Imperialismus ausleben dürfen, sollten möglichst viele Optionen genommen werden. Die Ukraine wurde ein letztes Mal mit Waffen versorgt, ihre Verhandlungsposition sollte durch weitreichende militärische Optionen verbessert werden.

Neue Kuba-Krise

Doch faktisch handelt es sich nur noch um Schadensminimierung, da die Niederlage des Westens beim Kampf um die Ukraine längst selbst im Westen offen diskutiert wird. Wie viel Ukraine wird man dem russischen Imperialismus zum Fraß vorwerfen müssen, um den Krieg zu beenden – dies ist inzwischen die Logik, die auch in westlichen Denkfabriken Einzug hält. Diskutiert wird nur noch die Frage, ob es möglich sein wird, der »Restukraine« irgendeine Art von Souveränität zu verschaffen.

Das Überschreiten der letzten putinischen Roten Linie, der Freigabe von Raketen, die das Territorium Russlands erreichen können, war eine klare Eskalation Ende 2024, die von den USA im Interregnum zwischen Biden und Trump gesucht wurde. Sie diente praktisch nur noch dazu, den Preis in die Höhe zu treiben, den Russland für seinen Sieg in der Ukraine zu zahlen hat. Es war eine Art nukleares russisches Roulette, das beide Seiten Ende November 2024 spielten. Weitgehend von der westlichen Öffentlichkeit unbeachtet, befand sich die Welt tagelang am Rand einer nuklearen Eskalation. Der Unterschied zur Kuba-Krise bestand aber darin, dass 1962 die Welt in Schockstarre den Atem anhielt, während 2024 die Drohungen Putins nur noch lästig waren, kaum beachtet wurden. Putin drohte mit nicht weniger als mit einem Einsatz von Nuklearwaffen.

Die neue Volatilität in der geopolitischen Sphäre, der auch in den Zentren zunehmende Hang zum Krieg als Mittel der Politik, die Bereitschaft, immer größere militärische Risiken einzugehen, sind Ausdruck der neuen Krisenphase, in die das kapitalistische Weltsystem nach der Erschöpfung der neoliberalen Defizitkonjunkturen eintritt. Die Krisenära des Neoliberalismus mit seinem globalen Schuldenturmbau, den korrespondierenden Spekulationsblasen und seinen Weltordnungskriegen in der Peripherie geht mit der abermaligen Wahl Trumps endgültig zu Ende. Es folgt nun die Phase der offenen autoritären Krisenverwaltung, staatlicher Erosion und militärischer Auseinandersetzungen auf allen Ebenen – auch zwischen den politischen und ökonomischen Zentren der Welt. Putins staatsoligarchisches Russland, das autoritär regierte Belarus – sie manifestieren in ihrem labilen Autoritarismus die Zukunft der Krisenverwaltung.

Tomasz Konicz

ist Autor und Journalist. Von ihm erschien zuletzt das Buch »Klimakiller Kapital. Wie ein Wirtschaftssystem unsere Lebensgrundlagen zerstört«. Mehr Texte und Spendenmöglichkeiten (Patreon) auf konicz.info.

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