Von der Schuld

Dass der einzelne Mensch, jedes Individuum, Herr*in des eigenen Lebens ist und die Verantwortung trägt für das Gelingen und die Schuld am Misslingen dieses. Diese Vorstellung ist tief in das alltägliche (Er)Leben in der westlichen Welt verankert, am radikalsten und folgenreichsten sicherlich in den Vereinigten Staaten. Die Herausgeber*innen Ann-Kristin Tlusty und Wolfgang M. Schmitt haben neben sich elf weitere Autor*innen versammelt, die diesem Mythos entgegentreten. Die abgebildete Themenvielfalt ist enorm: von Armut, Recht über Krankheit bis hin zu Familie, Klima, Staat und Klassenbewusstsein – allesamt eng entlang der Lebensrealität in den hiesigen Verhältnisse, alle sind sprachlich klar und ohne komplizierte Formulierungen verfasst. Kein Beitrag, der nicht zum Nachdenken und Nachfühlen anregt. Einige sind stark persönlich gehalten (hervorzuheben ist hier Sarah-Lee Heinrichs Text), andere bleiben im Ungefähren, ob es sich um eine (auto)fiktionale Erzählung handelt oder nicht. Das ist aber nicht der Punkt. Unsere komplexe Gesellschaft wird jeweils scharf seziert, die strukturellen Zusammenhänge werden deutlich vor Augen geführt, Klassen und Kapitalismus als solche benannt. Als Leser*in (und vielleicht selbst betroffene Person) erfährt man doch etwas Trost: Du bist nicht allein, und nein, du bist nicht schuld! Die Bürde der Individualisierung wird zurückgewiesen, ohne der Verantwortungslosigkeit das Wort zu reden oder zu moralisieren.

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