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Querfront der Feigheit

Ein gerechter Frieden im Nahen Osten muss von unten erkämpft werden

Von Karl Winter

Blick von oben auf das Brandenburger Tor bei Dämmerung. Im Vordergrund sind noch ein Teil der Straße des 17. Juni zu sehen, im Hintergrund weitere Gebäude.
Massendemos gegen den Krieg in Gaza oder Libanon? In Deutschland bisher nicht. Auch viele Linke schweigen, weil angeblich alles so kompliziert sei. Foto: Simon Schlee / Pexels

Am 8. Oktober weht über der libanesischen Kleinstadt Maroun al-Ras die Fahne mit dem Davidstern. Zuvor hatten Hisbollah-Kämpfer versucht, die vorrückenden israelischen Einheiten mit Raketenwerfern abzuwehren – ohne Erfolg. In Maroun al-Ras fand auch im Libanon-Krieg 2006 eine der ersten Offensiven israelischer Streitkräfte statt, die Stadt liegt nur wenige Kilometer von der Grenze entfernt, die den Libanon von Israel trennt. Und auch in diesem neuen Krieg, der von der israelischen Regierung nicht so genannt wird, fliehen tausende Menschen aus der Gegend um Maroun al-Ras und den umliegenden Städten Richtung Norden, wo allerdings ebenfalls Bomben vom Himmel fallen.

Der Krieg, der angeblich nur gegen die Hisbollah geführt wird, trifft die ganze Bevölkerung, wie schon in Gaza. Während dieser Text geschrieben wird, meldet die UNO gerade, dass im Libanon mehr als eine halbe Million Menschen auf der Flucht sind. Knapp 300.000 haben zu diesem Zeitpunkt (10. Oktober) bereits das Land verlassen, viele von ihnen sind nach Syrien geflohen. Nicht wenige der Menschen, die gerade fliehen, kommen aus palästinensischen Familien. Eine halbe Million Palästinenser*innen haben im Libanon in den letzten Jahrzehnten Schutz vor der Gewalt israelischer Soldat*innen, Polizist*innen und Siedler*innen gesucht – das sind die offiziellen Zahlen, in Wirklichkeit dürften es noch mehr sein.

Aus Angst davor, bei Demos gegen den Krieg neben den falschen Leuten zu stehen, den Job zu riskieren und diffamiert zu werden, bleiben viele fern.

Parallel dazu schlagen auch in Gaza, in Syrien und Israel Bomben und Raketen ein und töten hier wie dort Menschen. Die Herrschenden in Israel und im mit ihm verfeindeten Iran drehen weiter an der Eskalationsschraube: Das Mullah-Regime hatte Israel Anfang Oktober mit rund 200 Raketen beschossen, Israels Premier Benjamin Netanjahu drohte mit einem »tödlichen, präzisen und überraschenden« Vergeltungsschlag. Die deutschen Medien sind derweil voll mit Bildern, die den Krieg zeigen, wobei oft nur diejenigen, die zur israelischen Seite zählen, ein Gesicht bekommen – regelmäßig sieht man in der Bild-Zeitung, der auflagenstärksten Zeitung Deutschlands, Fotos von getöteten israelischen Soldat*innen.

Diese Propaganda sichert die deutsche Kriegsunterstützung für Israel ideologisch ab. Nur hier und da wird etwas zahnlose Kritik laut, zahnlos deshalb, weil die Kritik so portioniert ist, dass sie die eigenen Schuldgefühle mindert, aber nicht darauf abzielt, wirklich Einfluss zu nehmen. Und die Linke? Diejenigen, die der deutschen Staatsräson normalerweise widersprechen, werden mit Repression eingeschüchtert. Die Angst davor, bei Demos gegen den Krieg neben den falschen Leuten zu stehen, den Job zu riskieren und diffamiert zu werden, führt dazu, dass es zumeist nur die Leute auf die Straße treibt, die ohnehin nichts zu verlieren haben.

Fragt man, warum sich so viele Linke in die Querfront der Feigheit einreihen, bekommt man bisweilen zu hören, dass alles angeblich so kompliziert sei, was die Positionierung schwer mache. Dabei gibt es eigentlich einige Dinge, die recht simpel sind: Je weiter Netanjahu und seine Widersacher den Krieg befeuern, desto mehr Menschen werden sterben, desto mehr Wunden werden aufgerissen, desto mehr explodiert der Hass. Netanjahus Feldzug wird die Gegner Israels nicht dezimieren, sondern vervielfachen – und immer mehr Gründe für immer mehr Krieg liefern.

Genau wie in der Ukraine ist die Voraussetzung für einen gerechten Frieden im Libanon wie in Gaza ein Waffenstillstand und der Abzug der Besatzungstruppen. Beides wäre möglich, erfolgt aber nicht dadurch, dass man an die Einsicht der Herrschenden appelliert – sie entscheiden sich bewusst für die Politik des Tötens. Der Frieden kann nur von unten erkämpft werden. Dafür kann man auch von Deutschland aus viel tun, denn die deutsche Unterstützung für das Töten erfolgt nicht nur ideologisch und diplomatisch, sondern auch materiell: Deutschland ist nach den USA das Land, aus dem Israel die meisten Waffen erhält – auch wenn die Exporte in den letzten Monaten nachgelassen haben. Hier und da sind Proteste gegen die Waffenexporte an Israel bereits aufgeflammt. Daran gilt es anzuknüpfen, kündigen wir die Querfront der Feigheit auf!

Karl Winter

ist freier Journalist.

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