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|Thema in ak 708: US-Wahlen und die Linke

Stimmen aus der US-Linken

Nachtbild: Zwei leere Sessel stehen auf einer Veranda.
Auf Parlamentssitze kann die Linke in den USA kaum hoffen, aber einiges vor hat sie trotzdem. Foto: Kornelia Kugler

Was beschäftigt die Linke in den USA? Wir veröffentlichen Auszüge aus unserem Podcast »What’s left?«, einer Co-Produktion mit der Schweizer WOZ. Der Journalist Lukas Hermsmeier spricht darin bis zur Wahl mit Expert*innen und Aktivist*innen aus den USA. Alle Folgen gibt es hier.

Makayla Montoya Frazier, Folge 1

Im Sommer 2022 fällte der US Supreme Court ein folgenschweres Urteil. Das landesweite Abtreibungsrecht wurde gekippt. Makayla Montoya Frazier wohnt in San Antonio, Texas, wo Abtreibungen schon zwei Jahre zuvor verboten wurden. Sie hat einen Abtreibungsfonds gegründet, den Buckle Bunnies Fund. Das ist eine Gruppe von Freiwilligen, die Wege findet, Schwangeren trotzdem bei Abtreibungen zu helfen.

Als mit Beginn der Corona-Pandemie 2020 Abtreibungen in Texas verboten wurden, haben wir beschlossen, dass wir die Leute über ihre Optionen informieren müssen: neben Reisen in andere Bundesstaaten, wo Abbrüche noch legal sind – was wegen Covid viel schwieriger war –, auch Abtreibungspillen per Post. Wir haben mit einer 3.000-Dollar-Sammlung begonnen und sind nach und nach immer größer geworden. Viereinhalb Jahre später haben wir fast 20.000 Menschen geholfen, Zugang zu Abtreibungen zu bekommen.

Die jüngste Person, der wir geholfen haben, war elf, die älteste 47 oder 48 Jahre alt. Häufig wenden sich Menschen an uns, die schon Kinder haben, wenig verdienen, sich eine Reise in einen anderen Bundesstaat nicht leisten können. In solchen Fällen informieren wir über Abtreibungspillen per Post. Da wir, anders als NGOs, keinen legalen Status haben, können wir solche Informationen relativ problemlos teilen. Das unterscheidet uns ein bisschen von anderen Abtreibungsfonds. Dadurch erreichen wir besonders vulnerable Mitglieder der Community. Wir haben den Ruf, dass wir helfen können, egal, mit welchen Umständen die Leute konfrontiert sind.

Wir haben uns nie von Gesetzen einschüchtern lassen.

Makayla Montoya Frazier

Es gibt immer wieder Versuche, uns zu verklagen und vor Gericht zu zerren. Aber wir haben uns nie von Gesetzen einschüchtern lassen, sondern immer getan, was wir für richtig halten: Informationen und Wissen weiterzugeben. Reisen zu Abtreibungen zu finanzieren, ist noch legal – ebenso Abtreibungen in einem anderen Bundesstaat zu finanzieren. Im Moment würde ich sagen, sind mehr als die Hälfte der Fälle, die wir unterstützen, Leute, die für ihre Abtreibung in einen anderen Bundesstaat fahren müssen.

Die Strategie der Rechten beim Thema Abtreibung war es schon immer, Leuten Angst zu machen. Man sieht das an den Crisis Pregnancy Centern, Fake-Kliniken, in die der Bundesstaat Texas Millionen Dollar pumpt. Sie gelten als gemeinnützig, sind von Steuern befreit, aber in Wahrheit sind sie nur dazu da, die Leute, die dort zur Schwangerschaftsberatung hingehen, zu täuschen. Ihr eigentlicher Zweck ist, dich mit christlichen Botschaften vollzulabern. Die CPCs werben mit Slogans wie: »Schwanger? Keine Panik, wir können helfen«. Sie beuten die Angst der Leute aus. Abtreibungen sind an sich nichts Beängstigendes. Ein wichtiger Teil unserer Arbeit besteht daher darin, Fehlinformationen zu korrigieren und etwas Freude und Leichtigkeit ins Thema Abtreibung zu bringen.

Der Rechtsextremismus bei den Republikanern wächst. Ihre Rhetorik wird krasser, es gibt mehr Angriffe auf Abtreibungen und Leute, die Abtreibungen anbieten. Republikaner*innen bezeichnen uns als Mörder, die den Tod verdienen, das ist alles sehr bedrohlich.

Wir sprechen nicht genug über Abtreibung per Pillen, auch wenn heute viel mehr Leute davon wissen als noch vor sechs Jahren, als ich meine erste Abtreibung hatte. Damals wusste ich leider nicht von dieser Möglichkeit. Ich denke, self managed abortion könnte in Staaten mit Abtreibungsverbot wirklich eine große, wunderschöne Bewegung sein, in der sich Leute Abtreibungen wieder aneignen, obwohl sie ihnen weggenommen wurden.

Adam Tooze, Folge 2

Die USA haben in den vergangenen Jahren einen erstaunlichen wirtschaftspolitischen Wandel vollzogen: Der Staat investiert wieder in die Industrie und Infrastruktur. Der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze lehrt an der Columbia University in New York und ist Autor mehrerer Bücher über Finanzkrisen und staatliche Wirtschaftspolitik. In der 2. Folge von »What’s left?« beschreibt er die Bilanz der Biden-Jahre und die Aussichten nach der Wahl.

Anfang der 2020er Jahre, ausgelöst durch den Schock der Niederlage Clintons gegen Trump 2016 und beschleunigt durch die Corona-Krise mit Tausenden Toten täglich im Winter 2021/21, kam es in der Demokratischen Partei zu einer Öffnung für progressive Ansätze. Aber was man braucht, um in Amerika Strukturpolitik zu machen, ist in erster Linie eine Machtkoalition. Und die haben sie irgendwie hinbekommen 2022 beim Inflation Reduction Act, natürlich mit Konzessionen. So wurde die progressive Welle, die 2018 in der Demokratischen Partei richtig in Gang gekommen war, eingedämmt und kanalisiert in ein Programm, das aus progressiver Sicht sehr zweischneidig ist.

Die ursprüngliche Vision der Demokraten des Green New Deal ging von der tatsächlichen amerikanischen Arbeiter*innenschaft aus, die weiblich, divers und vor allem im Dienstleistungssektor beschäftigt ist, und versuchte, vor allem über progressive Familienpolitik Grundbausteine eines Wohlfahrtsstaats zu implantieren. Man redete über Tausende Milliarden Dollar. Was dann geschah, war, dass das FDP-Äquivalent innerhalb der Demokratischen Partei die denkbar dünne Mehrheit im Senat ausnutzte, um diese tatsächlich ambitionierte, progressive Politik auszubremsen und zu killen. Der kleinste gemeinsame Nenner war am Schluss nationalistisch, auf die klassische männliche Industriearbeiterschaft zentriert, verbunden mit Öko-Industrialisierung. Was dabei rauskam, ist im Grunde klassischer Cold War Liberalism: relativ primitiver Protektionismus, die Konsolidierung der Heimatfront gegen äußere Feinde.

Der Inflation Reduction Act war ein Papiertiger.

Adam Tooze

Harris ist bestimmt keine Hoffnungsfigur der Linken in den USA. Der Zukunftsentwurf der Demokraten lautet ganz unoriginell: grüne Modernisierung der amerikanischen Wirtschaft. Innerhalb der Republikanischen Partei gibt es dagegen eine gewichtige Gruppe, die selbst angesichts des offensichtlichen unternehmerischen Interesses an erneuerbaren Energien dagegen hält. Das hat einerseits lokale Gründe: Jemand ist zum Beispiel einfach gekauft durch fossile Industrien. Aber es gibt auch eine ideologische Fixierung gegen jede grüne Modernisierung. Die Idee dahinter ist: Wir müssen die Linie in Sachen Klima halten, sonst brechen die Liberalen und Progressiven überall durch.

Mich interessiert, ob wir in der Lage sind, die schiere Dynamik der Welt um uns herum zu erfassen. Es gibt Bereiche – die Geldpolitik, die Zentralbanken –, wo der Dollar noch herrscht. Aber in allen Realbereichen der Wirtschaft – Stahlproduktion, Zement, Stromproduktion – liegt die chinesische Wirtschaft weit vorn. China hat mittlerweile die Erfahrung, die Größe und Skalenerträge, um sehr schnell zum Beispiel im Elektroautobereich neue Maßstäbe zu setzen. Das wird in den USA von vielen immer noch verdrängt.

Insgesamt denke ich, wir reden zu viel über Industriepolitik. Der Inflation Reduction Act ist ein Papiertiger. Zu wenig sprechen wir über Fracking. Wenn wir aus dem Rückspiegel das Vermächtnis der Biden Administration betrachten werden, woran werden wir uns erinnern? Was wirklich die Welt bewegt hat, ist nicht der Inflation Reduction Act, sondern der Wiederaufstieg Amerikas zum größten Ölproduzenten der Welt – und zwar zum größten, den es je gegeben hat.

Jabari Brisport, Folge 3

Über viele Jahrzehnte galt der Sozialismus in den USA als tabu. Das hat sich geändert. Jabari Brisport ist einer der ranghöchsten sozialistischen Politiker*innen in den USA. Er ist Mitglied der Democratic Socialists of America, mit rund 55.000 Mitgliedern die stärkste sozialistische Organisation im Land. Er ist State Senator von New York für Brooklyn und über die Liste der Demokraten gewählt worden.

Ich habe an einer öffentlichen Schule in Crown Heights, Brooklyn unterrichtet, einem historisch Schwarzen, afro-karibischen Viertel. Meine Schule war überfüllt, manchmal gab es nicht genug Stühle in der Cafeteria. Ich rannte jeden Morgen zum Kopierer, weil es nicht genug Bücher gab. Gleichzeitig sah ich, wie die Multimillionäre und Milliardäre jedes Jahr reicher wurden. Diese Ungleichheit fand ich einfach nur absurd. Nachdem Trump gewählt worden war, wollte ich auf lokaler Ebene für meine Community kämpfen. Zufällig gab meine Vorgängerin den Senatssitz, den ich derzeit vertrete, nach 36 Jahren im Amt auf. Mit viel harter Arbeit und einer Menge Glück habe ich es auf diesen Platz geschafft.

Natürlich ist alles, was ich als Erfolg bezeichnen würde, eine Art Kompromiss. In New York gibt es viele reiche Leute. Wir haben für 40 Milliarden mehr neuer Steuern für die Reichen gekämpft – und am Ende etwa vier Milliarden erreicht. Trotzdem war das die höchste Steuersteigerung für Reiche seit Jahrzehnten. Für mich zeigt das, dass wir unsere Macht weiter ausbauen müssen. Gleichzeitig haben wir die größte Anzahl von Sozialist*innen in der New Yorker Staatslegislative seit einem Jahrhundert. Diese Zahl müssten wir verdoppeln oder verdreifachen, um wirklich etwas zu bewegen.

Die USA stecken in einem Zweiparteiensystem fest, bis wir drastische Änderungen an unserem Wahlsystem vornehmen. 2017 habe ich für die Grünen kandidiert und mit 29 Prozent das beste Ergebnis für die Partei im Rennen um einen Stadtratssitz in New York City erzielt. Trotzdem habe ich den Sitz nicht gewonnen. Erst mit dem demokratischen Ticket habe ich gewonnen. Viele DSA-Mitglieder möchten, dass wir eine eigene Partei gründen. Ich bin von dieser Idee nicht wirklich überzeugt. Ich glaube nicht, dass es für eine sozialistische Partei besser laufen würde als für die Grünen. Dafür gibt es zu viele strukturelle Hürden.

Die Linke muss eine positive Vision für die Zukunft entwerfen.

Jabari Brisport

In den letzten zwei, drei Jahren haben die DSA und viele linke Gruppen einen Abschwung erlebt. Das geschieht immer, wenn ein Demokrat US-Präsident ist. Es ist leicht, gegen Krieg, Einkommensungleichheit und viele andere schrecklichen Dinge zu mobilisieren, wenn es die Republikaner sind, die dafür verantwortlich sind. Aber wenn es dann unter einem Demokraten wie Biden geschieht, fühlen viele eine kognitive Dissonanz. Und ich glaube, viele Menschen lösen diese kognitive Dissonanz auf, indem sie sich von ihrem Aktivismus zurückziehen. Klar ist mir Biden lieber als Trump. Aber ich denke, wir Linken müssen einen Weg finden, wie wir die Menschen auch dann mobilisieren, wenn es schwerer fällt zu sagen, wer die Misere verursacht.

Ich denke, die Linke muss eine positive Vision für die Zukunft entwerfen. Das ist es, was mich zum Sozialismus hingezogen hat. Bei Bernie Sanders zum Beispiel waren die starken Momente nicht Momente, in denen er den Einfluss des Geldes auf die Politik anprangerte, sondern Medicare for all (universelle Krankenversicherung, Red.). Es war die Vision davon, wie Amerika besser sein könnte.

Adrian Daub, Folge 4

Im kalifornischen Silicon Valley sollte mal der Kapitalismus revolutioniert, die Demokratie neu erfunden werden. Inzwischen sind viele Tech-Protagonist*innen nach rechts abgebogen. Der Literaturwissenschaftler Adrian Daub lebt in San Francisco und unterrichtet an der Stanford University, mitten im Silicon Valley. Er beschäftigt sich mit den prägenden Ideologien und Narrativen der Tech-Branche.

Silicon Valley meint die innovativen Hochtechnologiefirmen auf der Halbinsel südlich von San Francisco, und da besonders die Überflieger, die richtig absahnen. Lange Zeit war das Versprechen des Silicon Valley, den Kapitalismus besser und netter zu machen. Dort traf der Radikalliberalismus auf die Gegenkultur kalifornischer Prägung, die im Gegensatz zu den marxistischen 68ern in Deutschland relativ wirtschaftsfreundlich war. Viele aus der kalifornischen Gegenkultur sind in die Wirtschaft gegangen. Im Grunde genommen waren das schon Libertäre, nur mit langen Haaren und Bärten. Am Ende ist es einfach Kapitalismus, nur dass die Leute mehr Fahrrad fahren, es in der Kantine umsonst Essen gibt und alles bunt bemalt ist – vor allem, um der Belegschaft zu signalisieren: »Ihr seid keine Büromenschen, ihr seid Teil der Familie.«

Der Radikalliberalismus amerikanischer Prägung operiert immer noch mit knallharten Hierarchien, die er für »natürlich« hält. Die Annahme ist, dass, wenn die Gesellschaft und der Staat sich heraushalten, sich die Dinge natürlich sortieren, also weiße junge Männer an der Spitze stehen. Vielen fällt jetzt erst auf, dass das Silicon Valley schon immer dem Sozialkonservatismus das Wort geredet hat. Die Staatsfeindlichkeit ist aber selektiv. Da, wo der Staat diesen Unternehmen unter die Arme greifen kann, wo er in sie investiert, ist ihnen das recht. Die meisten Unternehmen sind abhängig von Geldern vom Pentagon – und vom Protektionismus, wenn es zum Beispiel darum geht, dass sich Halbleitertechnologie hier ansiedelt und nicht von anderen kontrolliert wird, oder wenn es um das intellektuelle Eigentum geht.

Wenn Leute wie Elon Musk darüber reden, dass das Silicon Valley sich nach rechts wendet, dann meinen sie sich selbst, die Überreichen. Sie verhalten sich wie Nicht-Milliardäre in ihren 50ern, die irgendwelchen komischen Accounts folgen, über Wokeness schimpfen und ihre Kinder nicht mehr verstehen. Das Silicon Valley war sehr stark von jungen weißen Männern dominiert, die jetzt alte weiße Männer werden. Das ist in anderen Branchen anders, wo die nächste Generation in Sachen Herkunft und Gender breiter aufgestellt ist. Im Silicon Valley ist es frappierend männlich und monokulturell.

Im Silicon Valley ist es frappierend männlich und monokulturell.

Adrian Daub

Die Gründer- und Investorenkaste ist auch deshalb nach rechts gedriftet, weil ihre Untergebenen aufmüpfig geworden sind. Was die Beschäftigten interessiert, sind die Arbeitsbedingungen. Nur das Problem der Arbeitgeber ist natürlich, dass wenn die gewerkschaftliche Organisierung anfängt, es nicht beiden Arbeitsbedingungen bleibt. Die Gewerkschaften äußern sich auch politisch. Das ist natürlich bedrohlich für die Unternehmen. Ich glaube, dass man diesem Ort gerechter wird, wenn man ihn als Biotop beschreibt und nicht als Ausdruck dieser Genie-Biografien, die, wenn man genau hinschaut, so genial nicht sind.

Simone Zimmermann, Folge 5

In den USA formierte sich nach dem 7. Oktober schnell eine große Bewegung gegen den Krieg in Gaza. Die jüdische Friedensaktivistin Simone Zimmerman ist Mitgründerin der Organisation If Not Now, die solidarische mit der palästinensischen Bevölkerung ist. Sie arbeitet außerdem für die Diaspora Alliance, die sich gegen Antisemitismus und die Instrumentalisierung von Antisemitismus einsetzt.

Der 7. Oktober war ein entsetzliches und erschütterndes Ereignis. Es hat viele Tage gedauert, bis wir das ganze Ausmaß für die israelische Zivilbevölkerung wirklich verstanden haben. Viele amerikanische Jüdinnen und Juden kennen Menschen, die am 7. Oktober getötet wurden, auch ich. Den israelischen Jüdinnen und Juden wurde kein Raum gelassen, um zu trauern. Diese Trauer wurde sofort in die Unterstützung für einen genozidalen Krieg gegen die Menschen in Gaza umgewandelt, den unsere Regierung unterstützt. In der jüdischen Linken haben wir uns mit der Frage auseinandergesetzt, was es bedeutet, zu trauern und gleichzeitig zu handeln. Zu sagen, dass unsere Trauer keine Entschuldigung ist, um das Töten anderer zu rechtfertigen.

Beide Seiten meiner Familie sind Einwanderer*innen aus Osteuropa, mütterlicherseits ist mein Großvater in den 1930er Jahren mit seiner Familie aus Warschau geflohen. Und väterlicherseits war mein Großvater während des Zweiten Weltkriegs Soldat in der US-Armee und hat bei der Befreiung der Konzentrationslager geholfen. Diese Geschichten waren in meinem Aufwachsen sehr präsent. Die Idee von »Nie wieder« war sehr eng mit dem Auftrag verbunden, den Staat Israel zu verteidigen.

Massaker rechtfertigen keine Massaker.

Simone Zimmermann

Es schmerzt zugeben, dass ich sehr wenig über Palästinenser*innen wusste. Ich bin aufgewachsen mit Erzählungen wie »sie wollen uns alle umbringen«, sehr vereinfachte, rassistische und historisch ungenaue Erzählungen. Als ich zu studieren begann, lernte ich palästinensische Student*innen kennen und setzte mich mit der Geschichte auseinander. Viele der Mythen, mit denen ich aufgewachsen war, fielen in sich zusammen. Meine Politisierung begann damit, dass ich einfach bessere Antworten haben wollte.

Wie Peter Beinart geschrieben hat, haben Amerikaner*innen eine sehr hässliche Tradition, Communities hier zu beschuldigen, wenn es im Ausland Konflikte gibt. Wenn die USA einen Konflikt mit China haben, gibt es hier eine zunehmende antiasiatische Stimmung. Wenn es in Israel und Palästina zu Gewalt kommt, schlägt das auf die jüdischen und muslimischen Gemeinden um. Weder unterstütze, noch entschuldige ich es, aber ich verstehe, warum viele Menschen den Eindruck haben, dass alle Jüdinnen und Juden den Krieg unterstützen, weil sie es immer wieder hören. Wenn jüdische Linke auf die Straße gehen, um gegen den Krieg zu protestieren, betonen sie deshalb: »Nicht in unserem Namen«, weil das mit dieser öffentlichen Wahrnehmung bricht.

Die Campus-Proteste im April haben Menschen auf der ganzen Welt inspiriert. Ich durfte sowohl an Schabbat-Gottesdiensten teilnehmen, an denen jeweils über 100 junge Jüdinnen und Juden teilnahmen. Gleich nach dem Schabbat-Gottesdienst gab es am Abend einen muslimischen Gebetsgottesdienst. Trotz der schlimmen Darstellungen, die wir in den Mainstream-Medien gesehen haben, gab es also etwas unglaublich Schönes, Lebendiges und Vielfältiges. Aber ich glaube, wir sprechen nicht genug darüber, welche psychologischen Folgen es haben wird, wenn die Amerikaner*innen die Schrecken aus der Ferne sehen, sich aber machtlos fühlen, sie zu stoppen.

Zeichnung einer freundlich dreinschauenden Freiheitsstatue, die ein Mikrofon in die Höhe recht, vor roten Streifen

Podcast zur US-Wahl What’s left?

Ab jetzt jede Woche Montag: der linke Podcast zur US-Wahl. In jeder Folge spricht Lukas Hermsmeier mit Expert*innen und Aktivist*innen aus den USA über die Fragen, die das Land und die Welt bewegen.

Thema in ak 708: US-Wahlen und die Linke

Thema in ak 708: US-Wahlen und die Linke