Klares Nein zur Vielfalt
In der Schweiz wurde eine Initiative zum Schutz der Biodiversität mit großer Mehrheit abgelehnt – was folgt daraus?
Von Eva Gelinsky
Wer bei der Schweiz an idyllische Landschaften denkt und meint, diese seien gar »ökologisch intakt«, liegt falsch. Beim Pestizideinsatz gehört die Schweiz zu den Top 5 in der EU, bei den Ammoniak-Emissionen liegt das Land auf Platz 3, nach den Niederlanden und Belgien. Auch in Sachen Biodiversität ist die Schweiz eines der Schlusslichter: Ein Drittel der untersuchten Arten ist gefährdet oder bereits ausgestorben. Die Hälfte der natürlichen Lebensräume ist bedroht, Gewässer, Moore und landwirtschaftlich genutzte Flächen sind besonders unter Druck. Hinzu kommt, dass nur wenig Fläche unter Schutz gestellt ist: Die Schweiz steht zusammen mit der Türkei und Bosnien-Herzegowina ganz unten auf der europäischen Rangliste.
Vor diesem Hintergrund war die von verschiedenen Natur- und Umweltorganisationen lancierte »Biodiversitätsinitiative« ein äußerst vorsichtiger Versuch, den weiteren Verlust von Arten und Lebensräumen zumindest zu bremsen. Die Initiative, die auch Elemente des klassischen Heimatschutzes enthielt, blieb in ihren Forderungen allgemein und betonte vor allem Grundsätze, die auf Gesetzesebene bereits festgehalten sind. Den Gegner*innen gelang es mit ihrer Kampagne dennoch, auch diese Initiative als »extrem« zu brandmarken. Mit der klaren Ablehnung von über 60 Prozent erzielte die »Biodiversitätsinitiative« ein ähnlich schlechtes Ergebnis wie die »Pestizid-« und die »Trinkwasserinitiative«, mit denen in den letzten Jahren ebenfalls versucht wurde, der weiteren Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen in der Schweiz Grenzen zu setzen. Dass derzeit rechtsbürgerliche Kräfte – nicht nur in der Schweiz – sämtliche Umweltinitiativen auch deshalb aggressiv bekämpfen, weil sie als »links« gelten, ist bekannt. Was lässt sich darüber hinaus aus dem Scheitern der Initiative lernen?
Biodiversität – was und für wen?
Ein Grund für die andauernde Kontroverse um den Schutz der Biodiversität liegt in ihrem alles andere als eindeutigen Gegenstand. Zum einen ist »Biodiversität« kein rein deskriptiv-naturwissenschaftlicher Begriff, sondern politisch aufgeladen. Zum anderen ist oft unklar, um welche Art von »Funktion« der biologischen Vielfalt es eigentlich geht: Ist die biologische Vielfalt kritisch für die »Resistenz« ökologischer Systeme, gibt es Schwellenwerte, jenseits derer das Funktionieren der Systeme signifikant beeinträchtigt ist? (1) Oder – und dies sind die für die politische Diskussion wichtigsten Fragen: Welche Funktionen oder Leistungen erfüllt Biodiversität für den Menschen, für andere Lebewesen oder »die Natur«?
Die Art dieser Fragen – es geht hier um die Funktion von etwas für etwas – setzt immer eine Zielsetzung im Sinne eines Zweckes voraus. Dieser Zweck kann nach dem herrschenden naturwissenschaftlichen und philosophischen Verständnis nicht in der Natur liegen, sondern wird gesellschaftlich bestimmt. Ein kritischer Blick auf den Biodiversitätsdiskurs zeigt jedoch, dass hier laufend mit naturalistischen Fehlschlüssen gearbeitet wird: Leistungen der Biodiversität für einen gesellschaftlich wünschbaren Naturzustand werden immer wieder als »Normalzustand« einer »gesunden« Natur interpretiert. Insbesondere Gegner*innen eines strengeren Schutzniveaus nutzen dies, denn Diskussionen über Interessengegensätze und Machtfragen lassen sich mit dem Verweis auf »objektive« wissenschaftliche Tatsachen schnell beenden.
Schutz versus Nutzung der Natur?
Die Schweizer Biodiversitätsinitiative folgte einem eher klassischen »ökologisierten« Naturschutzverständnis, das – als Arten- und Biotopschutz – schon seit einigen Jahren in der Kritik steht, da hier Schutz und Nutzung meist strikt getrennt werden. Hier wird zum einen davon ausgegangen, dass Schutzgebiete den andernorts betriebenen Raubbau »ausgleichen« können. Zum anderen wird erwartet, dass störende menschliche Aktivitäten eingestellt werden, wo immer Pflanzen oder Tiere einer in Roten Listen ausgewiesenen Art auftauchen.
Aus dem Blick gerät, dass ein Großteil der heute bedrohten Biodiversität das Resultat bestimmter agrarischer Nutzungsformen ist. Um 1900 dürfte die größte landschaftliche und biologische Vielfalt in der mitteleuropäischen Geschichte erreicht worden sein. Seit den 1950/60er Jahren geht diese vor allem aufgrund der landwirtschaftlichen Intensivierung dramatisch zurück.
Bereits 2020 wurde vor der weltweiten Zunahme der organisierten Leugnung der Biodiversitätskrise gewarnt.
Die heute so gängige Trennung von Schutz und Nutzung verweist auch auf die Dominanz der neoliberalen Agrarökonomie, die Landwirtschaft und »Ökologie« in voneinander getrennte, monofunktionale Bereiche aufteilt. Einige meinen, die Pflege der Kulturlandschaft sollte als »öffentliches Gut« agrarpolitisch reguliert werden. Die Marktradikalen vertrauen auf Privatisierung: »Biodiversity credits« und »Offsets« sollen »Einheiten der Biodiversität« in eine handelbare Ware verwandeln und damit zur Lösung der Krise beitragen.
Faktencheck Biodiversität in Deutschland
Der Ende September vorgestellte »Faktencheck Artenvielfalt« kommt zu einem ernüchternden Resultat: 10.000 Arten sind in Deutschland nachweislich bestandsgefährdet – vor allem Insekten, Weichtiere und Pflanzen sowie Spezies des Agrar- und Offenlandes. Von 93 untersuchten Lebensraumtypen sind 60 Prozent in unzureichendem oder schlechtem Zustand. Am schlechtesten steht es um Äcker und Grünland, Moore, Moorwälder, Sümpfe und Quellen. Positive Entwicklungen verzeichnet der Bericht nur wenige – etwa infolge der verbesserten Wasserqualität von Flüssen sowie der Förderung natürlicher Strukturen in Wäldern und in der Agrarlandschaft. Vergleichsweise gut haben es auch die Laubwälder – obgleich ihnen der Klimawandel an die Substanz geht. Klar belegbar ist außerdem, dass der Verlust von Lebensräumen und die intensivierte Nutzung von Kulturlandschaften den stärksten Negativeffekt auf die Artenvielfalt haben. Insbesondere die Intensivierung der Landwirtschaft wirkt sich negativ auf fast alle Lebensräume aus, nicht nur auf das Agar- und Offenland. Eine ökologisch orientierte Agrarreform empfiehlt sich damit aber auch als vielversprechender Hebel für den Schutz der Vielfalt.
Auch wenn die Datenlage oft noch mangelhaft ist: Es liegt nahe, dass mit einem zunehmenden Rückgang der biologischen Vielfalt die Optionen z.B. für Reaktionsweisen ökologischer Einheiten auf neue Umweltbedingungen (globale Erderhitzung etc.) ebenso wie für die Züchtung neuer Nutzpflanzen rapide schwinden werden. Gerade das Unwissen über die genauen Zusammenhänge sollte im Sinne des Vorsorgeprinzips ein Ansporn zum Handeln sein. Inzwischen jedoch machen sich auch im Biodiversitätsdiskurs jene Kräfte breit, die die Relevanz der Thematik grundsätzlich in Frage stellen. Bereits 2020 warnte ein Kommentar in der Fachzeitschrift »Nature Ecology and Evolution« vor der weltweiten Zunahme der organisierten Leugnung der Biodiversitätskrise, getrieben von politischen und finanziellen Interessen. Für den Abstimmungskampf in der Schweiz hat die Republik diese »Strategie der Leugnung« detailliert nachgezeichnet. Das Komitee der Gegner*innen, angeführt vom Schweizer Bauernverband, nutzte sie mit Erfolg.
Von »links« wäre eine intensivere Beschäftigung mit dem weder wissenschaftlich noch politisch eindeutigen Biodiversitätsdiskurs angebracht. (2) Dies ist auch deshalb wichtig, weil die rechtskonservativen Mehrheiten in Europa die Gunst der Stunde nutzen und nicht nur beim Ausbau der fossilen Energie, sondern auch bei der weiteren Ausbeutung und Zerstörung der Natur Fakten schaffen werden. Der dramatische Rückgang z.B. der Insekten- und Vogelpopulationen in Europa zeigt, wie schnell und oftmals irreversibel solche Prozesse ablaufen können.
Anmerkungen:
1) Was ist das Bezugssystem? Welches ist der Referenzzustand? Beide Fragen sind in ökologischen Kontexten alles andere als trivial. Denn es ist keinesfalls klar, was ein Ökosystem ist. Ein Ökosystem ist kein Objekt, das einfach in der Natur »gefunden« werden könnte; es wird mit bestimmten Interessen als Modell konstruiert. Es gibt in der Ökologie keine allgemein akzeptierte Definition von »Ökosystem«, und es kann keine geben. Noch mehr gilt dies für die Referenzzustände, d.h. für jene Zustände des Systems, die als seine »normalen« angesehen werden und in denen sich ausdrückt, wann die »Gesamtfunktion« des Systems noch gewahrt ist.
2) Um die heutigen Kontroversen besser einordnen zu können, lohnt sich ein Blick in die Geschichte des Naturschutzes; einen guten Überblick liefert das vom Bundesamt für Naturschutz 2003 herausgegebene Buch »Naturschutzbegründungen«.