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|ak 707 | Deutschland

Only Ampel could go to Sylt

Wenige Monate nach den Anti-AfD-Demos hat sich eine ganz große Koalition gegen Migrant*innen zusammengeschlossen

Von İnci Arslan

Man sieht Leute vor dem Bundestag stehe. Auf einer glitzernden Fahne steht "FCK AfD".
Viele waren es, sehr viele. Gebracht haben die Demos gegen rechts allerdings nichts. Foto: ak

Ein Gedankenspiel: Ein Ende Februar in einen sehr langen Schlaf gefallener Mensch kommt dieser Tage wieder zu Bewusstsein. Er hatte noch miterlebt, wie Millionen Menschen von Hamburg bis München, von Pirna bis Saarbrücken »gegen rechts« und »für unsere Demokratie« demonstrierten – aus Anlass einer Correctiv-Recherche, die zwar nicht ganz so neue, nichtsdestoweniger für viele erschreckende Remigrationsüberlegungen der AfD öffentlich gemacht hatte. Auf einer von Hunderten Demos hatte auch unser Dornröschen Seite an Seite mit radikalen Linken, Gewerkschafter*innen, CDU-Mitgliedern, Grünen und Sozialdemokrat*innen gestanden. Es war dabei, als Kabinettsmitglieder ihr Engagement für ein buntes Deutschland in Selfies verewigten und Zusammenhalt »gegen die AfD« versicherten. In der Zeitung las es, dass die Lichterkette in München reinszeniert wurde. 

Während es schon schlief, ging eine Woge der Empörung durch die Bundesrepublik, als ein paar höchst unsympathische Rich Kids auf Sylt zu Pfingsten der, ebenfalls nicht ganz so neuen, Partymode nachgingen, zu »L’Amour toujour« von Gigi D’Agostino »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus« zu grölen.

Cover des ak-Sonderheftes "Brandstifter. Die AfD, ihre Helfer*innen und der andere Osten."

ak Sonderheft zum rechten Vormarsch

Rechte Gewalt nimmt zu, die AfD räumt ab, und die »Brandmauer« ist so stabil wie eine Sandburg auf Sylt. Was hilft jetzt noch gegen die rechte Gefahr?

Nun also erwacht das Dornröschen. Was findet es vor? »Erstmals seit der Machtergreifung der Taliban vor drei Jahren ist wieder ein Abschiebeflug aus Deutschland nach Afghanistan gestartet«; »Annalena Baerbock schließt Abschiebungen nach Syrien nicht aus«; »Wir müssen alle zurückweisen – auch Frauen und Kinder«; »Ein Großteil der Deutschen wünscht sich eine Veränderung der Asyl- und Geflüchtetenpolitik, damit weniger Menschen nach Deutschland kommen«. Anti-Asylpolitik, wie sie Horst Seehofer nie durchzusetzen vermochte, hat sich nun die Ampel, angefeuert von Merzens CDU, auf die Fahnen geschrieben. Und zum ersten Mal seit Ende des Nationalsozialismus konnte mit der AfD eine extrem rechte Partei eine Landtagswahl gewinnen. Die einzige Kraft, die deren weiteren Aufstieg wenigstens etwas zu mindern vermag, ist das neue Bündnis Sahra Wagenknecht, das natürlich auch abschieben will.  

Gut möglich, dass sich das Dornröschen ungläubig die Augen reibt: Dafür ist es also im Februar demonstrieren gegangen? Mehr Wirkungslosigkeit einer Bewegung geht eigentlich nicht.

Mehr Wirkungslosigkeit einer Bewegung geht eigentlich nicht.

Der, auf den ersten Blick völlig verdrehte, Output der farbenfrohen Super-Volksfront hatte sich durchaus angekündigt. Etwa als im Februar ein Ampel-Gesetz für erleichterte Abschiebungen erst durch Bundestag und dann Bundesrat geflutscht war. Reaktionen? Nahezu null. Wer damals vorsichtig nachhakte, ob nicht vielleicht Demonstrationen gegen die Regierung anstatt mit ihr angesagt wären, wurde mit dem Verweis auf die vermeintlichen Vorteile von »Breite« belehrt. 

Dabei ist es ja nicht zum ersten Mal passiert: Auf rechte Brandanschläge waren schon 1992 erst Lichterketten gefolgt – und dann kam 1993 der sogenannte Asylkompromiss, jene Verfassungsänderung, mit der das Grundrecht auf Asyl massiv beschnitten wurde.

Schön ist es nicht, aber um nicht immer wieder in dieselbe Falle zu tappen, muss man es sich einmal ganz klar machen: Als antifaschistische Strategie ist es wirklich grandios gescheitert, gemeinsam mit der Ampel und dem ihm zugeneigten Gutmenschenmilieu auf die Straße zu gehen, das liebend gerne gegen die AfD demonstriert, nicht aber gegen grün abgenickte Remigrationspläne aus dem Hause Faeser. Erreicht wurde so rein gar nichts – die bereits marginalisierte radikale Linke ist marginal geblieben und hat sich höchstens noch aufgerieben bei der Organisierung dieser Proteste. Sie scheint nun angesichts der Wucht der von ihren Demonstrationspartner*innen aus dem Februar mindestens achselzuckend hingenommenen »Ausländer raus«-Stimmung selbst mal wieder in eine Art Dornröschenschlaf zu verfallen. Zeit aufzuwachen, sich die Augen zu reiben und zu erkennen: Das »progressive Lager« mit SPD und Grünen ist eine Schimäre.

İnci Arslan

ist Autorin und Aktivistin aus Berlin.

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