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Wenn die Taskforce zweimal klingelt

In Duisburg-Hochfeld veranlasst die Stadt regelmäßig Räumungen von sogenannten Problemimmobilien – betroffen sind davon vor allem Rom*nja

Von Anna Irma Hilfrich und Lena Wiese

Zwei Mitglieder der Taskforce Problemimmobilie, von hinten aufgenommen, stehen an einem Hauseinang vor einer offenen Tür. Eine Person im inneren des Hauses spricht mit ihnen. Neben den Beamt*innen steht ein kleineres Kind und beobachtet die Szenerie.
Die Taskforce Problemimmobilie in Aktion, bei einer Zwangsräumung im Juli 2021 in der Brückenstraße in Duisburg-Hochfeld. Foto: Anna Irma Hilfrich

Seit 2014 werden in mehreren Duisburger Stadtteilen Mietshäuser unangekündigt zwangsgeräumt: immer an einem Mittwoch, immer ab neun Uhr. Durchgeführt werden diese Räumungen von der städtischen Sondereinheit »Taskforce Problemimmobilie«, um die Bewohner*innen vor »akuter Gefahr für Leib und Leben« zu schützen.

Auffällig ist, dass von den Räumungen ausschließlich prekarisierte und/oder migrantisierte Menschen betroffen sind. Die größte Gruppe bilden Zugezogene aus Rumänien und Bulgarien, zumeist gehören sie der Minderheit der Rom*nja an. Seit 2021 sind allein im, entlang von Armut und Migration kriminalisierten, Stadtteil Duisburg-Hochfeld zehn Einsätze bekannt geworden, von denen mindestens 500 Menschen, mehr als die Hälfte davon Kinder, betroffen sind. Die Dunkelziffer dürfte jedoch höher sein.

Ultima ratio als Normalfall

Die »Taskforce Problemimmobilie« wurde 2014 NRW-weit in mehreren Kommunen eingerichtet (z.B. Dortmund, Gelsenkirchen, Hamm), also zeitgleich mit der uneingeschränkten Freizügigkeit für Menschen aus Rumänien und Bulgarien und unter Rückbezug auf das ebenfalls seit 2014 wirksame Wohnraumstärkungsgesetz NRW. Die Grundlagen für die Taskforce wurden auf dem Städtetag NRW im Jahr 2013 gelegt. In den sogenannten Pleitekommunen, wozu auch Duisburg zählte, gab es Unmut über »von Roma überbelegte« Schrottimmobilien. Diese Debatten fügten sich nahtlos in den bundesweiten Diskurs über »Armutsmigration« und »Sozialleistungsmissbrauch« aus Rumänien und Bulgarien ein, der 2007 mit dem EU-Beitritt beider Länder aufkam. 2013 gerieten dann mehrere von Rom*nja bewohnte Häuser in der Straße In den Peschen in Duisburg-Rheinhausen in die Schlagzeilen. Die anschließende Räumung durch die frisch gegründeten »Taskforce Problemimmobilie«, die die Häuser für unbewohnbar erklärte, galt fortan als Best-Practice-Beispiel mit überregionaler Signalwirkung.

In Duisburg setzt sich die Taskforce aktuell unter anderem aus dem Ordnungsamt, der Polizei, der Feuerwehr, aber auch dem Jobcenter und der Familienkasse zusammen. Während z.B. die Taskforce in Dortmund ein ämterübergreifendes Präventions- und Nachsorgekonzept mit den Betroffenen entwickelt hat, das es diesen ermöglicht, in der Stadt zu bleiben, beschreitet Duisburg seit 10 Jahren NRW-weit einen Sonderweg: Die ultima ratio der sofortigen Unbewohnbarkeitserklärung ist hier Normalzustand. Es existieren weder Strategien der Prävention, die vor ausbeuterischen Mietverhältnissen schützen würden, noch ausreichende städtische Konzepte für geräumte Immobilien; geschweige denn eine funktionierende Nachsorge für Betroffene, die durch den Verlust der Postadresse auch keine Ansprüche mehr auf Sozialleistungen haben.

Der rechtlich schwer anfechtbare »mangelnde Brandschutz« funktioniert in der Praxis wie ein Zauberwort, um binnen weniger Stunden Gebäude räumen zu können.

Die Arbeitsweise der »Taskforce Problemimmobilie« ist intransparent in Bezug auf die Auswahl der Immobilien. Mehrfach wurden durch Zivilgesellschaft, Politik, Anwält*innen und Medien Zweifel an den Definitionsgrundlagen der Kategorie »Problemimmobilie« laut, da trotz spezieller Bestandsschutzregelungen von Altbauten z.B. Holztreppenhäuser als Vorwand für unzureichenden Brandschutz ins Feld geführt wurden. Der rechtlich schwer anfechtbare »mangelnde Brandschutz« funktioniert in der Praxis wie ein Zauberwort, um binnen weniger Stunden Gebäude räumen zu können.

Kein Schutz vor schlechten Wohnverhältnissen

Eine »ergebnisoffene Überprüfung« von Häusern findet immer unangekündigt statt. Den Betroffenen bleiben dann oft nur wenige Stunden, um ihr Hab und Gut in blauen Müllsäcken in eine ungewisse Zukunft zu tragen. Ein Großteil der Familien nimmt die angebotenen Notunterkünfte, die weit außerhalb des Sozialraums liegen, nicht an. Diese Entscheidung ist sicher auch mit den historischen Traumata durch die (internationalen) Verfolgungs- und Vernichtungserfahrungen der Rom*nja und dem Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen zu erklären, die sich durch die Räumung erneut bestätigen. Sie ist aber schlicht auch Ausdruck von Selbstrespekt, denn die Notunterkünfte sind oft ebenfalls in schlechtem Zustand: »In diesem viel zu kleinen Raum, voller Kakerlaken, lasse ich doch nicht meine Kinder wohnen«, sagte Familie Mihai zuletzt in der Sozialberatung.

Betroffene einer Räumung befinden sich meist ohnehin in prekären Lebensverhältnissen, das fragile Konstrukt des »irgendwie über die Runden Kommens« verwandelt sich durch diese Einsätze binnen weniger Stunden in einen Scherbenhaufen. Dabei ist allen Betroffenen bewusst, dass es bei den Räumungen nicht darum geht, die Menschen vor (vermeintlich) schlechten Wohnverhältnissen zu schützen. »Wir werden schlechter behandelt als Hunde. Das, was passiert, ist Diskriminierung«, beschrieb ein Demonstrant nach einer Zwangsräumung im März 2021 die empfundene Demütigung durch die Behörden.

Als direkte Reaktion auf die Räumungen etablierte sich 2021 die Sozialberatung im selbstorganisierten Zentrum für Kultur Hochfeld (ZK): als Notfallintervention, die wöchentlich stattfindet und im Schnitt monatlich 100 Fälle bearbeitet. Die Räumungen werden nicht nur (filmisch) dokumentiert, um die fortwährenden Menschenrechtsverletzungen vor der eigenen Haustür für Außenstehende sichtbar zu machen. Zwangsgeräumte finden hier auch eine erste Anlaufstelle und werden bei Bedarf  durch den schwierigen und mitunter langwierigen Prozess des »wieder auf die Beine Kommens« unterstützt. Zusätzlich haben sich Workshops für Kinder und Jugendliche aus dem Kiez etabliert.

Insbesondere für Rom*nja aus Süd-Osteuropa sind die schlechten Arbeitsbedingungen und die instabilen Beschäftigungsverhältnisse ein Dauerthema. Ein Beschäftigungsverhältnis ist für »EU II-Migrant*innen« eine von mehreren Voraussetzungen, um überhaupt Anspruch auf Sozialleistungen zu erhalten. Vor allem für alleinerziehende oder erkrankte Menschen bedeutet das oft ein Leben in Prekarität und Abhängigkeitsverhältnissen. Knapp 35 Prozent der Einwohner*innen von Hochfeld werden als »arm« eingestuft (Stand 2021). Gleichzeitig hat Hochfeld eine der jüngsten Bevölkerungsstrukturen, bei hohem KiTa- und Schulplatzmangel. Vielen Kindern und Jugendlichen fehlt eine (Aus-)Bildungsperspektive und der Zugang zu geeigneten Räumlichkeiten für kostenlose soziale und kulturelle Aktivitäten.

Nun will die Stadt Hochfeld »aufwerten«. Schon jetzt laufen die Bauarbeiten für die eintrittspflichtige Internationale Gartenausstellung (IGA 2027) im Naherholungsgebiet Rheinpark. Urbane Zukunft Ruhr, ein »Joint Venture« bestehend aus dem städtischen Bauunternehmen und einem regionalen Wirtschafts- und Unternehmensbündnis, möchte in den kommenden Jahren einen Vorzeigestadtteil aus Hochfeld machen. Neue Wohnquartiere sollen die bürgerliche Mittel- und Oberschicht an den zentral gelegenen Stadtteil am Rhein locken. Von geplanter Gentrifizierung, also dem Austausch von statusniedrigen durch statushöhere Gruppen, mag hier trotzdem niemand reden, sondern lediglich von dem in der Städteforschung stark kritisierten Konzept der »Sozialen Durchmischung«. 

Kommunale »Unbequemlichkeitskultur«

Die kontinuierlich durch populistische Diskurse und institutionelle Diskriminierungen vorangetriebene Entmenschlichung von Rom*nja sowie deren Kriminalisierung durch Medien und Sicherheitsbehörden, haben die kommunale »Unbequemlichkeitskultur« in Duisburg (siehe Antiziganismusbericht 2021) gegenüber den Betroffenen offen mehrheitsfähig gemacht. Auch wenn die Taskforce sich bei der Selektion der Häuser weitgehend bedeckt hält, sind laut Presseamt meist Beschwerden aus der Nachbarschaft anlässlich für eine »Überprüfung« der Häuser – und zwar nicht aus Sorge um mangelnden Brandschutz.

In der Beratung von Betroffenen im ZK wirken vor allem die Mehrsprachigkeit, die Multiperspektivität und die parteiische Positionierung auf Seiten der Geräumten als Gründe dafür, dass die Menschen die Beratung so zahlreich aufsuchen. So hat das ZK viele Familien ganz konkret unterstützen können. Es sind freundschaftliche Verbindungen entstanden. Und es wurden Proteste organisiert sowie kleine Verbesserungen erkämpft.

Trotz solcher Erfolge durch praktische Solidarität laufen die Beratungsansätze im ZK immer wieder Gefahr, Teil einer ehrenamtlichen »Armutsverwaltung« zu werden. Weil sie die eigentlichen Ursachen der verzweifelten Lage der Betroffenen, nämlich multiple Ausbeutung, Armut und Machtlosigkeit unter den Bedingungen struktureller Ungleichheitsverhältnisse nicht bekämpfen können. Sie können aber sichtbar machen, wie zentral der Zugang zu einem menschenwürdigen zu Hause ist, um solche Formen der Diskriminierung zu überwinden. Und sie können verstehbar machen, wie brutal der alltägliche Kampf um ein Stück Menschenwürde, Freiheit und Gleichberechtigung für viele Menschen in diesem Land immer noch ist, und damit Raum für ein gemeinsames Handeln schaffen. Das ist ein Schlüsselmoment für eine Verschiebung der Verhältnisse.

Anna Irma Hilfrich

ist Kunst- und Kulturarbeiterin und dokumentiert mit der Videokamera seit 2021 in Komplizenschaft mit dem Netzwerk Hochfeld und dem Verein für die solidarische Gesellschaft e.V. die Zwangsräumungen in Duisburg-Hochfeld.

Lena Wiese

ist interdisziplinäre Stadt-, Migrations- und Sozialforscherin, Mitgründerin des Vereins für die solidarische Gesellschaft der Vielen e.V. und des Zentrums für Kultur Hochfeld.