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Nützlicher Konflikt

Aserbaidschan geht hart gegen Kriegsgegner*innen vor, auch weil die Regierung am Krieg verdienen will

Von Rovshana Orujova

Ein Soldat steht mit Gewehr und vermummt am Rande des Bildes, er hat ein Sturmgewehr in der Hand, hinter ihm Autos, Zelte und eine Gruppe Menschen.
Werden schon im Lachin-Korridor in Bergkarabach eingesetzt: russische Truppen. Foto: Mahammad Turkman/ wikimedia , CC BY-SA 4.0

Das autoritäre Regime in Aserbaidschan hat im August eine neue Repressionswelle gegen Gegner*innen des Bergkarabach-Kriegs gestartet, bei dem Aserbaidschan Armenien angriff. Bereits im März diesen Jahres begann eine Repressionswelle, die durch eine regierungskritische Dokumentation der ARD ausgelöst wurde.

Viele politische Aktivist*innen, Journalist*innen und Akademiker*innen, die sich gegen den Bergkarabach-Krieg positionieren und Kontakte zu Armenier*innen pflegen, werden seit August von der Polizei vorgeladen, inhaftiert, verhört und mit Ausreiseverboten belegt. Besonders besorgniserregend ist die Festnahme von Bahruz Samadov, einem Wissenschaftler, der sich in seinen Texten klar gegen den Krieg ausgesprochen hat. Er wurde ohne rechtliche Grundlage festgenommen und sieht sich mit einer konstruierten Anklage des Landesverrats konfrontiert, die ihm eine lebenslange Haftstrafe einbringen könnte. Auch Samad Shikhi, ein weiterer Antikriegsaktivist, wurde von den Behörden entführt und verhört, jedoch mittlerweile wieder freigelassen. Zusätzlich produzieren aserbaidschanische Propagandamedien Reportagen mit vermeintlich investigativen Inhalten, um Personen wie Samadov und Shikhi, die sich gegen den Krieg engagieren, als Landesverräter*innen zu diffamieren. In diesen Reportagen wird behauptet, dass diese Personen westliche Spionage betreiben würden, indem sie sich als »Friedensstifter*innen« ausgäben.

Droht ein weiterer Feldzug?

Die aktuelle Verschärfung der Repression in Aserbaidschan steht in direktem Zusammenhang mit der Situation in Bergkarabach. Nachdem das Regime die Region vollständig kontrolliert und die armenische Bevölkerung vertrieben hat, glaubt es, ohne Einschränkungen gegen jede Opposition auch im Inland vorgehen zu können. Die Beziehungen zu westlichen Staaten helfen der aserbaidschanischen Regierung, ihren Kurs international zu rechtfertigen.

Aserbaidschan übt seit einiger Zeit Druck auf Armenien aus, ein »Friedensabkommen« zu unterzeichnen. Das Regime unter Präsident Ilham Aliyev hat vor allem wirtschaftliche und strategische Interessen, insbesondere im Hinblick auf den Sangesur-Korridor. Er war einer der Kriegsgründe für Aserbaidschan. Dieser Korridor, der Aserbaidschan eine direkte Landverbindung durch Armenien zur Türkei ermöglichen könnte, ist von großer Bedeutung für die internationalen wirtschaftspolitischen Abkommen des Regimes.

Die diesjährige Klimakonferenz COP29 wird in Aserbaidschan stattfinden. Die aserbaidschanische Regierung weiß um die strategische Bedeutung des Korridors für die Lieferung beispielsweise von Lithium, einem Schlüsselrohstoff für E-Autos, -Bikes und Batterien für Solarenergie sowie Computern. Denn die EU hat bereits Abkommen mit Usbekistan und Kasachstan zur Lithium-Produktion geschlossen. Da Routen über den Iran und Russland unpraktisch sind, wird dieser Korridor zusammen mit dem »Transkaspischen Internationalen Transportkorridor« zunehmend zu einer wichtigen Handelsroute für Aserbaidschan.


Besonders Queerfeminist*innen in der NoWar-Bewegung waren von Repression betroffen.

Im August trafen sich Wladimir Putin und Aliyev in der Hauptstadt Baku. Ziel war es, die strategische Partnerschaft der beiden Länder zu fördern. Anschließend führte Aliyev ein Telefonat mit dem armenischen Premierminister Nikol Paschinjan über die »Normalisierung« der Beziehungen zwischen Aserbaidschan und Armenien. Das Verhältnis zwischen Aliyev und Putin ist keine einseitige Unterordnung – beide sind aufeinander angewiesen. Der Krieg in der Ukraine und die darauffolgenden westlichen Sanktionen haben Russland wirtschaftlich und diplomatisch isoliert, was Moskau dazu zwingt, alternative Wege für Handel und Energieexporte zu finden, ähnlich wie die EU. Aufgrund seiner geografischen Lage bietet Aserbaidschan Russland eine Möglichkeit, diese Sanktionen zu umgehen. Während Baku seit Beginn des Ukrainekriegs mehr Gas nach Europa liefert, hat es gleichzeitig seine Öl- und Gasbeziehungen zu Moskau ausgebaut, potenziell, um diesen Exportbedarf zu decken. In diesem Zusammenhang bedeutet Putins Besuch in Baku mehr als nur eine Verstärkung der Transitverbindungen zwischen Russland und Aserbaidschan; er sendet auch ein Signal sicherheitspolitischer Zuverlässigkeit. Russlands Bestreben, Aserbaidschan als Transitkorridor zu nutzen, passt zu Aliyevs eigenen Zielen.

Auch der Sangesur-Korridor ist ein wichtiges Thema in den russisch-aserbaidschanischen Beziehungen. Obwohl Aserbaidschan kürzlich behauptet hatte, seine Ambitionen bezüglich dieses Korridors zurückgeschraubt zu haben, deutet Putins Besuch darauf hin, dass das Thema möglicherweise weiterhin von Bedeutung ist. Russland soll, im Sinne der Befriedung des Konflikts um Bergkarabach, den Korridor verwalten. Gleichzeitig könnte Russland dadurch seinen Einfluss im Südkaukasus wieder ausbauen, vor allem seitdem Armenien versucht, zu Russland auf Distanz zu gehen. Für Aliyev wäre die Verwaltung durch Russland eine Möglichkeit, sich innenpolitisch zu stärken. In diesem Sinne ist Aserbaidschan nicht nur ein Transitland – es ist ein Kanal, durch den russische Interessen fließen, wobei Baku offenbar bereit ist, diese Rolle zu übernehmen, solange sie mit der eigenen politischen Zielen übereinstimmt. Trotz der früheren Behauptung Aserbaidschans, dass keine Drittparteien, einschließlich Russland, in die Friedensverhandlungen mit Armenien einbezogen werden sollten, sitzt Moskau mit am Tisch. Seit Ende August verbreiten aserbaidschanische Propagandakanäle und deren Trollarmee in den sozialen Medien erneut Berichte über angebliche Angriffe aus Armenien auf die Grenzregionen Aserbaidschans. Diese Behauptungen sollen den Eindruck erwecken, dass Aserbaidschan wieder gezwungen sei, seine Gebiete gegen diese vermeintliche Aggression zu verteidigen. Die Aussicht auf einen weiteren Krieg im September tritt stärker in den Vordergrund als je zuvor – trotz aller gegenteiligen Rhetorik.


NoWar-Bewegung


Seit den 1990er Jahren gibt es in Aserbaidschan eine tief verwurzelte Tradition, jegliche Befürwortung eines Dialogs mit Armenier*innen konsequent als Verrat zu diffamieren und diejenigen, die dies tun, als »verräterische Armenier*innen« zu brandmarken. Dieses Narrativ hat sich während des Krieges 2020 intensiviert und wird gegen alle aufgewendet, die die militaristische Politik des aserbaidschanischen Staates hinterfragen. Während dieses Krieges formierte sich die NoWar-Bewegung, die sich entschlossen gegen die Kriegstreiberei Aserbaidschans stellte. Sie bildete eine Schnittstelle, an der sich linke und liberale Queerfeminist*innen, (links)liberale und linksradikale Kräfte zusammenschlossen. Obwohl die NoWar-Bewegung eine vergleichsweise kleine Minderheit darstellt, ist ihre bloße Existenz eine Herausforderung für die erzwungene Einheit im Land. Besonders Queerfeminist*innen in der NoWar-Bewegung waren von Repression betroffen und wurden beschuldigt, von George Soros, Armenien oder einem »kolonialen Projekt« Frankreichs und der USA finanziert zu werden. In einem Umfeld, das abweichende Stimmen unterdrückt, wurde diese NoWar-Bewegung zum Symbol des Widerstands.

Rovshana Orujova

ist Sozialwissenschaftlerin an der Humboldt-Universität zu Berlin und schreibt derzeit ihre Promotion. Ihr Forschungsfokus liegt auf dem Zusammenhang von Geschlecht und Krieg aus materialistischer Sicht sowie auf gesellschaftspolitischen Analysen des postsowjetischen Südkaukasus.