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In Europa angekommen

Die Rechte in der Republik Irland war vor allem christlich, nun ist sie so rassistisch wie der europäische Populismus

Von Florian Osuch

Eine Gruppe von hinten fotografiert, die dabei zu schaut, wie ein Bus brennt.
Rechte Ausschreitungen in Dublin 2023 zeigen, die Konzepte vom Kontinent sind auf der grünen Insel angekommen. Foto: CanalEnthusiast/ wikimedia , CC BY-SA 4.0

Als es Anfang August zu rassistischen Ausschreitungen in Nordirland kam, tauchten in Belfast auch Neonazis aus der Republik Irland auf. Das ist besonders, weil der südliche Teil Irlands lange als immun gegenüber rechtsextremen Bestrebungen galt. Anders als in den meisten europäischen Staaten gab dort keine nennenswerten faschistischen Gruppierungen, abgesehen von den »Blueshirts«, einer kurzen Episode des irischen Faschismus in den 1930er Jahren. Das hat sich in den letzten Jahren geändert.

Selbstredend gab es auch in der Republik Irland stets extrem rechte Formationen, allerdings sammelten sie sich in der katholischen Kirche oder in den beiden dominierenden Mitte-Rechts-Parteien, Fianna Fáil und Fine Gael. Ultrakonservative in Form der sogenannten Pro-Life-Bewegung waren derart einflussreich, dass beispielsweise eine Volksabstimmung über die Legalisierung von Scheidungen 1986 mit großer Mehrheit abgelehnt wurde. Zu dieser Zeit gründete sich auch die Gruppe Youth Defence, die neben religiös-fundamentalistischen zunehmend auch rechtsextreme Positionen vertrat.

Neue Parteien

Die Rechte trat vor allem dann auf, wenn sie bei Volksabstimmungen das Bild einer kinderreichen, gottgläubigen und heterosexuellen Familie in Gefahr sah. Das war beim Referendum zur Scheidung so und auch bei späteren Abstimmungen zum Recht auf Schwangerschaftsabbruch oder zur gleichgeschlechtlichen Ehe der Fall. Für die irische Innenpolitik spielen solche, die Verfassung betreffende Referenden, eine zentrale Rolle. Die Dominanz der katholischen Kirche nimmt jedoch auch in Irland ab: Sowohl die gleichgeschlechtliche Ehe, als auch die Legalisierung von Abtreibungen wurden 2015 bzw. 2018 in erneuten Volksbefragungen mit jeweils über 60 Prozent Zustimmung angenommen.


Einwanderung, insbesondere von Geflüchteten, ist ein recht neues Phänomen.

Die erste neuere faschistische Gruppierung war die National Party, gegründet im Jahr 2016. Zwei Jahre später folgten die Irish Freedom Party sowie die Anti-Abtreibungspartei Human Dignity Alliance. Zu jener Zeit wurde auch das rechte Onlinemedium Gript ins Leben gerufen. Als es im Zuge der Covid-19-Pandemie auch in Irland sogenannte Corona-Proteste gab – wenn auch deutlich kleiner als hierzulande – wurden sie schnell von den neu gebildeten Parteien übernommen. Über Social Media und Gript wurden Falschinformationen und Verschwörungserzählungen verbreitet. Die Dominanz bei den Corona-Protesten ließ sich jedoch nicht auf ein erfolgreiches Ergebnis bei den Parlamentswahlen im Jahr 2020 übertragen: Magere 0,3 Prozent für die Irish Freedom Party und 0,2 Prozent für die National Party. Die Rechten konzentrierten sich wieder auf die Straße.

Ab Herbst 2022 gab es in Irland landesweit rassistische Mobilisierungen gegen die Unterbringung von Asylbewerber*innen und Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. Geflüchtete wurden oftmals in leerstehenden Hotels untergebracht, auch in sehr verlassenen Regionen ohne jede Infrastruktur. Zunächst kleine Proteste wurden von den Rechten durch Hass und Hetze gezielt angestachelt. Die Faschist*innen nutzen die extreme Wohnungsnot, den Zerfall des Gesundheitswesens infolge der Rezession im Jahr 2008 und die darauffolgende Phase harter Sozialkürzungen aus, um gegen Einwanderung zu hetzen. Es gab dutzende Anschläge auf bezugsfertige Unterkünfte, mehrere Gebäude wurden niedergebrannt. Einen massiven Gewaltausbruch gab es im November 2023 in der Hauptstadt Dublin, nachdem ein Mann drei Mädchen mit einem Messer verletzt hatte und Nazigruppen die Falschmeldung verbreiteten, der Täter sei Asylbewerber. Im Zentrum der Stadt kam es zu Plünderungen, Brandstiftungen und Straßenschlachten.

Ein neuer Nationalismus

Die jüngste Parteigründung heißt Ireland First. Deren Chef verbreitet aus den USA kommende Ideologien wie »White Supremacy« und »Great Replacement«. Derlei nationalistische Töne sind für die extreme Rechte in Irland eher neu. Das hat zwei Ursachen. Erstens war Irland lange ein Auswanderungsland. So liegt die Bevölkerungsanzahl bei weitem noch immer unter dem Stand von Mitte des 19. Jahrhunderts. Als Folge der Finanzkrise gab es etwa zwischen 2009 und 2015 erneut einen negativen Saldo zwischen Ein- und Auswanderung: Das Land verlor über eine Millionen Einwohner*innen. Einwanderung, insbesondere von Geflüchteten, ist also ein recht neues Phänomen.

Zweitens war der irische Nationalismus viele Jahre – sogar Jahrhunderte – mit antikolonialen und liberalen Ideen, Kämpfen und Revolten verbunden. So etwa beim weiterhin sehr bedeutsamen Osteraufstand von 1916, als Revolutionäre eine Freie Republik Irland ausriefen, die »allen ihren Bürgern Religions- und Bürgerrechte, Gleichberechtigung und Chancengleichheit« garantieren sollte, eine bis heute nicht eingelöste Vision der Freiheit. Auch der Untergrundkampf der IRA gegen die militärische Besatzung in Nordirland (1969–1998) war mit irischem Nationalismus und teilweise sozialistischen Ideen verknüpft. Rechte hielten stets großen Abstand zur IRA.

Republikanismus, eine linke Spielart des irischen Nationalismus, drückte sich inklusiv aus. Führend ist hier die Linkspartei Sinn Féin, doch auch bei ihr rumorte es. Aufgrund ihrer Klarheit in Sachen Abtreibungsrecht und queeren Lebensformen trennte sich 2019 eine kleine Gruppe ab und bildete die Partei Aontú. Die neuen faschistischen Parteien machen nun Sinn Féin den Nationalismus streitig und präsentieren sich als die wahren irischen Patrioten – zunehmend mit Erfolg. Bei den Kommunalwahlen im Mai summierten sich die Stimmen der rechtsextremen Parteien auf fast sechs Prozent. Auf antifaschistischer Seite sind es vor allem Gewerkschaften, NGOs, das in Irland starke und gleichzeitig zersplitterte sozialistische Spektrum und Sinn Féin, die antirassistische Politik machen. Ihr Motto: »Ireland For All«.

Florian Osuch

lebt in Berlin.