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|Thema in ak 707: Ist Die Linke noch zu retten?

Was wurde aus #LinkeMeToo?

Vor zwei Jahren versprach die Partei umfassende Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt in den eigenen Reihen – was hat sich seither getan?

Von Hêlîn Dirik

Auf der Bühne des Erfurter Parteitags der Linkspartei 2022 steht eine Gruppe junger Menschen mit einem Transparent mit der Aufschrift "Täterschutz zerschlagen! Die feministische Linke aufbauen. Alle Täter sind politische Verräter".
Intervention von Mitgliedern der Linksjugend Solid auf dem Parteitag im Juni 2022 in Erfurt. Foto: Martin Henlein / Die Linke / Flickr, CC BY 2.0

Missbrauch, Nötigung und Übergriffe, die offenbar über Jahre unter den Teppich gekehrt wurden: Am 15. April 2022 erschien im Spiegel ein Enthüllungsbericht über Vorfälle von Sexismus und sexualisierter Gewalt in der hessischen Linken und löste damit eine schwere Krise in der Partei aus. Dutzende Betroffene meldeten in den Wochen nach dem Spiegel-Bericht weitere Fälle bei den damaligen Bundessprecher*innen des parteinahen Jugendverbandes Linksjugend Solid, Riley Dubiel und Jay Hammes. Nicht nur in Hessen, sondern deutschlandweit wurde von Sexismus, patriarchaler Gewalt und täterschützenden Strukturen in der Linkspartei berichtet.

Es war allerdings nicht das erste Mal, dass solche Vorwürfe in der Linkspartei erhoben wurden. Bereits 2021 hatten Mitglieder unter dem Hashtag #LinkeMeToo Fälle in Nürnberg öffentlich gemacht, bei denen sexistische Täter-Opfer-Umkehr betrieben und Betroffene wegen angeblicher Verleumdung angezeigt wurden. Der katastrophale Umgang mit Betroffenen in diesen Fällen verdeutlichte, dass Die Linke weit davon entfernt war, ihrem eigenen feministischen Anspruch gerecht zu werden. Das Problem waren dabei nicht nur einzelne Täter in Bayern oder Hessen – es offenbarten sich im Zuge des Bekanntwerdens der Fälle und der Debatten darum herum auch tiefsitzende patriarchale Strukturen in der Partei, die scheinbar nicht über die notwendigen Strukturen und Kompetenzen verfügte, um Betroffene zu schützen und angemessen auf die erhobenen Vorwürfe zu reagieren. Auf dem Bundesparteitag der Linken im Juni 2022 traten Vertreter*innen des Jugendverbandes mit dem Banner »Alle Täter sind politische Verräter« auf die Bühne und verlasen Berichte von Betroffenen. Die Delegierten beschlossen damals eine gründliche Aufarbeitung der Fälle und die Etablierung einer feministischen Parteikultur. Wie steht es heute darum, und was hat sich seither getan?

Fehlendes Grundvertrauen

Zunächst beschloss die Partei eine Reihe von Sofortmaßnahmen. Dazu gehörte die Einrichtung von Vertrauensgruppen auf Bundesebene und in den Landesverbänden, die Einberufung eines externen Expert*innenrats, Schulungen gegen Sexismus und die Gründung einer feministischen Kommission. Letztere hat einen »Leitfaden zum Umgang mit Sexismus und sexistischer Gewalt in der Linken« erarbeitet, der auf dem Parteitag 2023 mit großer Mehrheit beschlossen wurde. Damit sei der Kommission zwar ein wichtiger Erfolg gelungen, erklärt Kathrin Gebel, Mitglied und Sprecherin für Feminismus im Parteivorstand, gegenüber ak. Doch wichtig sei jetzt, dranzubleiben und einen langfristigen Prozess zu erkämpfen: »Diese Maßnahmen sind kurzfristige Maßnahmen. Was wir brauchen, ist ein Kulturwandel durch alle Ebenen der Partei. Eine feministische Parteipraxis muss integraler Bestandteil unserer Politik werden.« Der Leitfaden sieht dafür verschiedene präventive und beratende Strukturen und Angebote vor.

Ob diese von Betroffenen auch wahrgenommen werden, ist angesichts der Umstände allerdings vor allem eine Vertrauensfrage und auch vom lokalen Kontext abhängig. Die Maßnahmen sind zum einen nicht in allen Landes- und Kreisverbänden gleichermaßen etabliert. In Ländern wie Hessen ist zu erwarten, dass sich der Prozess aufgrund der vergangenen Fehler und der fehlenden Konsequenzen für die Täter zudem vermutlich besonders schwierig gestalten wird. Dort stand besonders auch die Bundesvorsitzende Janine Wissler, die kürzlich angekündigt hat, nicht erneut für diesen Posten zu kandidieren, in der Kritik, in ihrer Zeit als hessische Fraktionsvorsitzende trotz Kenntnis der Vorgänge untätig geblieben zu sein. Ihre Wiederwahl auf dem Parteitag 2022 sorgte für Frust und Enttäuschung bei einigen, insbesondere unter Mitgliedern der Linksjugend Solid. Jay Hammes, ehemalige Bundessprecherin des Jugendverbandes, erklärt gegenüber ak: »Die Vertrauensgruppe in Hessen wurde vom Landesvorstand eingesetzt. Im ersten Bericht beim Parteitag erklärte sie, es hätten sich keine Betroffenen bei ihr gemeldet. Das zeigt auch, wie wenig Vertrauen sie – zumindest damals – genoss.« Die Gründung der Vertrauensgruppe in Hessen wurde auch dafür kritisiert, dass sie ohne Einbindung und Beteiligung der Betroffenen und in einem intransparenten Verfahren statt fand.

Wir alle sind verantwortlich für die Parteikultur. Gewalt passiert nicht im luftleeren Raum.

Kathrin Gebel, Sprecherin für Feminismus im Parteivorstand

Neben der Untätigkeit und dem Schweigen in Anbetracht der Vorwürfe waren Betroffene mit Einschüchterungsversuchen, Drohungen und Klagen konfrontiert. Einige blieben auf den Gerichtskosten sitzen, von der Partei kam keine Unterstützung. Vor dem Hintergrund dieses Umgangs haben einige in den letzten Jahren die Hoffnung und das Grundvertrauen verloren. Das verdeutlichen die Austritte aus der Partei und dem Jugendverband, darunter auch Jay Hammes, die die Zeit vor und nach Veröffentlichung der Spiegel-Recherche als sehr frustrierend und anstrengend beschreibt: »Die Wochen vor der Enthüllung waren schon schlimm. Wir hatten davor versucht, intern etwas in Bewegung zu setzen – vergeblich. Nach dem Spiegel-Bericht gab es viel Druck von Parteileuten und eine starke Abwehrhaltung. Anstatt die Sache voranzubringen, wurde der Fokus gegen uns gelenkt und so getan, als sei die Linksjugend auf Rache aus oder als sei das ein machtpolitisches Ding.« Besonders für Mitglieder, die schon in jungem Alter beigetreten und gewissermaßen in den Strukturen aufgewachsen waren, sei das ein heftiger Vertrauensbruch gewesen.

Kollektive Verantwortung

Das hätte mit einer konsequent feministischen Haltung und einem solidarischen Umgang mit den Betroffenen verhindert werden können. Ihnen hätte zugehört, Kritik hätte ernst genommen werden müssen. »Stattdessen fanden es viele wichtiger, ihre Kreise zu retten«, so Hammes. Erst nach den medialen Enthüllungen und der öffentlichen Empörung wurde der Punkt erreicht, an dem die Partei nicht länger untätig bleiben konnte. Viele der beschlossenen Maßnahmen, so Jay Hammes, seien nur auf viel Druck seitens der Linksjugend Solid beschlossen worden.

Das verlorene Vertrauen wieder aufzubauen und zumindest im Kleinen Räume zu schaffen, in denen sich Betroffene sicherer fühlen können, ist vermutlich eine der dringendsten Aufgaben der Partei nach #LinkeMeToo. Dafür sei es notwendig zu verdeutlichen, dass nicht nur brandlöschende Maßnahmen Teil des Leitfadens sind, sondern auch eine dauerhafte feministische Haltung und Politik entwickelt werden soll, so Kathrin Gebel vom Parteivorstand gegenüber ak.

Zentral sei dabei das Prinzip der kollektiven Verantwortungsübernahme: »Wir alle sind verantwortlich für die Parteikultur. Gewalt passiert nicht im luftleeren Raum. Bevor es zu schwerwiegenderen Fällen kommt, wird oft vorgetestet, was in diesem Umfeld möglich ist. Das beginnt mit subtilen Abwertungen, zum Beispiel Unterschieden, wessen Vorschläge ernst genommen werden und wessen nicht, wen man lächerlich machen darf und wen nicht, und so weiter. Schon bei diesen frühen Mechanismen müssen wir eingreifen.« Insgesamt sei sie zuversichtlich: Die Vertrauensgruppen würden mittlerweile häufiger aufgesucht und die Workshops gegen Sexismus positiv aufgenommen. Doch es gebe zweifellos noch viel aufzuarbeiten. »Wir lernen gerade gemeinsam, wie wir eine feministische Partei werden. Wir müssen aushalten können, dass wir dabei nicht alles richtig machen.«

Eine umfassende Aufarbeitung und Veränderung bleibt wohl unumgänglich für die Zukunft der Partei. In einer patriarchalen Gesellschaft gibt es keine Räume, in denen Fälle von Sexismus und Gewalt garantiert ausgeschlossen sind. Aber für eine Partei, die sich laut ihrem Selbstverständnis für Frauen und queere Menschen einsetzt, ist die Anerkennung vergangener Fehler und die Schaffung von präventiven und unterstützenden Strukturen auf allen Ebenen das Minimum. Es hätte nicht erst zu einem Knall kommen dürfen, damit die Linke damit beginnt, Ressourcen und Kompetenzen gegen patriarchale Gewalt zur Verfügung zu stellen. Der Leitfaden der feministischen Kommission und die neu gegründeten Strukturen sind ein wichtiger Anfang. Um zu beurteilen, wie erfolgreich und effektiv die Schritte sind, ist es noch zu früh. Essenziell bleiben Offenheit und Transparenz gegenüber der Basis und den Betroffenen und die Bereitschaft, Kritik und Vorwürfe durch Betroffene nicht als politische Angriffe, sondern als Teil der Weiterentwicklung feministischer Politik zu begreifen.

Hêlîn Dirik

ist Redakteurin bei ak.

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