Kampfsport als Machtversprechen
In der radikalen Linken wird Vollkontaktkampfsport immer beliebter, das Hobby bedient auch autoritäre Bedürfnisse
Wenn linke Medien über Kampfsport schreiben, dann geht es fast immer um Neonazis, die den Sport für sich entdeckt haben. Texte, die gewissenhaft aufdröseln, welcher Nazi-Hool bei was für einer Hinterhof-Gala geboxt hat.
Es ist gut und wichtig, dass es diese antifaschistische Recherche gibt. Aber die Fokussierung auf die Neonaziszene und ihre Akteure ersetzt keine weitergehende Analyse. Sie trübt oft den Blick auf die eigentliche Problematik: Kampfsport ist Teil eines rechten Kulturkampfes, auf den die radikale Linke noch keine Antworten gefunden hat.
Noch nie war Kampfsport so populär. Ein Millionen-Publikum verfolgt heute die großen Boxkämpfe und Mixed-Martial-Arts-Events per Livestream. Damit einher geht die starke kulturelle Wirksamkeit dieser Spektakel. Der Hype hat nicht nur den Mainstream ergriffen, sondern auch Teile der (post-)autonomen, antiautoritären und antifaschistischen Subkultur. In den letzten Jahren sind zahlreiche selbstorganisierte linke und queere Sportgruppen entstanden. Es gibt sogar kleinere, semiprofessionelle Kampfsportgalas mit politischem Bezug, beispielsweise die »Thirtysix Fights – Fighting in Solidarity« im Berliner Club SO36. Mit den Einnahmen werden Projekte in Rojava und Südkurdistan unterstützt.
Wichtig ist zu verstehen, dass es dabei eben nicht um Selbstverteidigungs- oder gar Straßenkampftraining geht, sondern um einen publikumswirksamen Wettkampf. Am beliebtesten sind dabei Boxen, K1-Kickboxen und Muay Thai (Thaiboxen). Das gemeinsame, charakteristische Merkmal dieser Sportarten ist, dass sie im Vollkontakt gekämpft werden. Im reglementierten Rahmen versuchen die Kämpfenden mit voller Kraft und Härte, einander zu besiegen. Dabei darf das Gegenüber auch k.o. geschlagen oder regelkonform verletzt werden. Dadurch sind diese Disziplinen deutlich näher an der Gewalt einer echten körperlichen Auseinandersetzung. Und je näher etwas an der echten Gewalt ist, desto authentischer, gefährlicher und bedeutender wirkt es. Gewalt wird als aufregend-spektakulär begriffen, und Spektakel lassen sich gut verkaufen. Während Sport Selbstzweck ist, ist professioneller Kampfsport zuallererst ein Unterhaltungsgeschäfts, das mit der Nähe zur Gewalt kokettiert.
Aus der faschistischen Perspektive ist Kampfsport die unmittelbare, sinnlich erfahrbare Inszenierung von Macht durch körperliche Dominanz.
Dana White, Chef der wichtigsten MMA-Promotion, dem Ultimate Fighting Championship (UFC), erklärt: »Wenn auf einem Platz in der einen Ecke Fußball gespielt wird, in der zweiten Ecke Basketball, in der dritten Ecke Baseball, und in der vierten Ecke findet eine Prügelei statt – wo gucken die Leute zu?«
Doch im Unterschied zur echten Prügelei treffen im Sport Freiwillige aufeinander, die sich der Situation jederzeit entziehen können. Gewalt wird hingegen einer Person aufgezwungen, die sich dem nicht entziehen kann. Eine unfaire Angelegenheit, die andere entwürdigt und zu Opfern degradiert. Gewalt ist eine Praxis der Macht.
Boxen für die Herrschaft
Auf vielen Ebenen ist Kampfsport stärker als andere Sportarten mit Macht und Herrschaft verknüpft, etwa Muay Thai, das sich bei vielen Szenelinken besonderer Beliebtheit erfreut.
Muay Thai ist stark von einer eigenen kulturellen Ästhetik geprägt, die sich gut finanziell und nationalidentitär ausbeuten lässt. So veranstaltet die »Tourism Authority of Thailand« seit Jahren eine der bekanntesten Shows mit. »ThaiFight« soll Thaiboxen als ein besonderes Kulturgut vermarkten. Bemerkenswert ist, dass die Fighter*innen vertraglich verpflichtet werden, sich vor dem Bild des Königs zu verneigen, bevor sie in den Ring steigen. Der König ist die zentrale Integrationsfigur der thailändischen Nationalidentität. Er ist besonders wichtig für die Militärdiktatur, die sich durch das Bündnis mit der Monarchie legitimiert. Wer bei »ThaiFight« kämpft, muss sich symbolisch der Thaikultur und dem König unterwerfen. Wie so oft, versteckt sich somit hinter dem Verweis auf Tradition und Kultur die Herrschaftssicherung.
Ein weiteres Beispiel: In traditionellen Thai Gyms ist es üblich, dass die Männer stolz über das oberste Seil steigen. Menstruierende müssen hingegen unter dem untersten Seil hindurch in den Ring kriechen. Aber auch im westlichen Profiboxen finden sich allerlei patriarchale Traditionen, beispielsweise die Rolle der zumeist leicht bekleideten Ringgirls.
Noch nie war Kampfsport so populär wie heute.
Wenn Menschen auf ihre Körper reduziert werden, bleibt ihnen ihr Körper als Kapital, das sie zu Markt tragen. Die Körperwahrnehmung wird vom Gender – dem sozialen, also gesellschaftlich geschaffenen Geschlecht – bestimmt. Je robuster und resilienter ein männlicher Körper ist, desto männlicher wird er gelesen. Dem gegenüber steht das weibliche Körperkapital, das auf dem erotisierten Körper beruht. Dessen Kapital liegt in der Fähigkeit, ein sexuelles Begehren zu wecken. Wenn die Ringgirls zwischen den Runden in den Ring steigen, wird dieses wirkungsmächtige Bild der patriarchalen Geschlechterbinärität reproduziert. Es wird mit Applaus zelebriert. Vor diesem Hintergrund ist es auch wenig überraschend, dass das Boxen eine historische Verbindung zum Rotlichtmilieu hat.
Sieger*in sein
Männer kämpfen oft aus der Motivation heraus, sich selbst und andere von ihrer Maskulinität zu überzeugen. Es geht um die Zurschaustellung der Fähigkeit, körperliche Gewalt auszuüben und zu erleiden, ohne nachzugeben. Der Kampf ist ein Ritual der Maskulinisierung, das traditionell besonders in proletarischen Milieus beheimatet ist. Nicht zufällig waren die Arbeiter*innenviertel Englands Hochburgen des Boxsports. Wer in der Fabrik oder im Bergwerk arbeitet, muss eben auch einzustecken könne. Dazu gehört das Kunststück, aus dem eigenen (Arbeiter-)Leiden (Arbeiter-)Stolz zu konstruieren.
Der Staat, egal ob demokratisch oder autoritär, braucht wiederum genau dieses Mindset für seine Armee. Die Bereitschaft also, sich gehorsam disziplinieren zu lassen, sich aufzuopfern und darauf noch stolz zu sein. Nicht zufällig war die US-Armee jahrelang eine Medienpartnerin der UFC.
Das bestimmende Kernelement des Wettkampfsports ist der Leistungsvergleich. Nirgendwo sonst ist der direkte Vergleich zwischen den Athlet*innen so drastisch und unmittelbar wie im Vollkontaktkampfsport. Ein Wettkampf, der sich als Duell konstituiert, erschafft naturgemäß Gewinner*innen und Verlierer*innen. Der Champion (der Duden definiert das Wort als »Substantiv, maskulin«) ist der ultimative Gewinner. Er hat sich nicht nur den Respekt des Publikums sondern auch seiner Gegner erkämpft.
Insbesondere für marginalisierte Gruppen hat der Champion als eine Identifikationsfigur Strahlkraft. So verdankt Muhammad Ali seine Popularität nicht nur seinem guten Boxen, sondern auch der Schwarzen Geschichte, die er verkörperte. Muay Thai ist für viele Queers durch die Biografie von »Beautiful Boxer« Parinya Kiatbusaba interessant geworden. Der Kampf im Ring ist oft eine Projektionsfläche für Menschen, die sich in einer feindlichen Umgebung behaupten müssen. Sie konstruieren Parallelen zu ihren eignen, persönlichen Kämpfen um Anerkennung und Respekt. Wo Respekt erst durch Leistung verdient werden muss, er von Anderen zugestanden oder entzogen werden kann, da wird das Leistungsdenken affirmiert. Leistung wird zur Voraussetzung allen Respekts. Kampfsport kultiviert und verinnerlicht dieses Leitmotiv.
Ort der ideologischen Wahrheit
Dass sich Neonazis und andere Trottel für Kampfsport begeistern, die nichts von Emanzipation wissen wollen, dürfte nicht überraschen. Schließlich ist das Weltbild von Faschist*innen bestimmt von Ungleichheitsideologie und dem Streben nach Macht sowie Stärke. Entsprechend ist die Gewaltverherrlichung und ihre ästhetische Unterfütterung im Militarismus seit jeher Teil der faschistischen Kultur. Hier wirkt die autoritäre Verliebtheit in die Macht des Starken.
Kampfsport, der sich wie MMA als besonders hart und kompromisslos inszeniert, bedient diese Verliebtheit. Aus der faschistischen Perspektive ist Kampfsport die unmittelbare, sinnlich erfahrbare Inszenierung von Macht durch körperliche Dominanz. Faschist*innen lesen den Kampfsport als eine Art ideologischer Wahrheit, bei der sich der Gesunde und Starke nach dem Leistungsprinzip im direkten, unmittelbaren Konkurrenzkampf als überlegen beweisen kann. So, wie er präsentiert wird, ist Kampfsport anschlussfähig an sozialdarwinistische und autoritäre Weltbilder. Er befeuert das reaktionäre, gesellschaftliche Rollback kulturell.
Der Kampfsport ist kein unbestimmter oder neutraler Raum. Seine verlockende Faszination liegt im immanenten Machtversprechen. Auch der von Linken gerne genutzte Begriff Empowerment, also Ermächtigung, beinhaltet immer dieses Versprechen. Entsprechend ist Vorsicht geboten. Empowerment kann die notwendige Voraussetzung für eine Emanzipation sein. Jede Machtbegeisterung, selbst wenn sie sich als Gegenmacht konstituiert, droht aber immer in Herrschaftsaffirmation abzugleiten. Also: »Verliebe dich nicht in die Macht!« (Michel Foucault).