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Gesellschaft unter Militär

Die eritreische Regierung unterdrückt weiter hart Gegenstimmen, eine Chance hat nur die Opposition im Ausland

Von Jonas Berhe

Hat das Land fest im Griff: Präsident Aferwerki. Hier mit dem damaligen US-Außenminister Rumsfeld 2002 in Eritrea. Foto: gemeinfrei

Anfang 2001 gab es in der jüngeren Geschichte Eritreas ein kurzes Zeitfenster, in dem die Politik des Landes eine andere Wendung hätte nehmen können. Der von den sogenannten G15, einer Gruppe hochrangiger, damals aktueller und ehemaliger Regierungsangehöriger, im Mai 2001 veröffentlichte offene Brief an Präsident Isayas Afewerki forderte die Umsetzung der bereits 1997 verabschiedeten Verfassung, die Durchführung von freien Wahlen und die allgemeine Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit im Land. Alle Unterzeichner*innen des offenen Briefs waren verdiente Kämpfer*innen im 30-jährigen Befreiungskampf gegen Äthiopien und intime Weggefährt*innen Afewerkis.

Kurz vor der Veröffentlichung des offenen Briefes endete der sehr verlustreiche, 1998 begonnene Grenzkrieg gegen Äthiopien, dessen Kriegsführung zusätzliche Unzufriedenheit in der Bevölkerung hervorrief. Der offene Brief der G15 wurde im Land und in den Zeitungen, die sich zahlreich nach der Unabhängigkeit von Äthiopien im Jahr 1991 gegründet hatten, lebendig diskutiert. Afewerki reagierte nicht sofort, wodurch kurz die Hoffnung auf tatsächliche Reformen aufkeimte. Im September 2001 folgte jedoch umfangreiche Repression und die Festnahme zahlreicher Politiker*innen und Beamt*innen. Die nicht staatstragenden privaten Zeitungen wurden verboten, zahlreiche Journalist*innen inhaftiert, unter ihnen auch der bekannte Schwede Dawit Isaak. In diesem Monat jährt sich die große Verhaftungswelle zum 23. Mal. Bis heute wurden alle Inhaftierten weder einem Gericht zugeführt noch offiziell verurteilt. Eine gängige Praxis, die in den Folgejahren auch viele weitere Inhaftierte traf. Familienangehörige und Menschenrechtsgruppen vermuten, dass einige der Inhaftierten aufgrund des hohen Alters und der extremen Haftbedingungen nicht mehr am Leben sind.


Ewige Soldat*innen

Der Verhaftungswelle ging im März desselben Jahres die Inhaftierung von Studierenden der Universität Asmara voraus, die sich gegen die Einmischung der Regierung in universitäre Angelegenheiten gewehrt hatten. Um nicht mit weiteren Protesten von Studierenden oder Schüler*innen rechnen zu müssen, wurde das Erziehungssystem ab 2003 dahingehend umgebaut, dass die zwölfte Abschlussklasse unmittelbar unter der Verantwortung des Verteidigungsministeriums steht und in Sawa in der Region Gash-Barka fernab der Hauptstadt Asmara besucht werden muss.

An das Militärcamp Sawa schließt sich für die Schüler*innen der Militärdienst »national service« an. Da dieser Militärdienst keine faktische Befristung kennt und nur mit besonders guten Noten ein anschließendes Studium möglich ist, sind die Übergänge zum regulären Einsatz als Soldat*in fließend. Dies ist der Hauptgrund für die Flucht vieler junger Menschen und trägt auch zu den international sehr hohen Asyl-Anerkennungszahlen bei.

Geflüchtete berichten, dass auch während der Corona-Pandemie Tausende Schüler*innen aus dem gesamten Land in Bussen nach Sawa verfrachtet wurden und dort unter extremen Bedingungen leben müssen. Das European Asylum Support Office ging ungefähr zehn Jahre nach der Veränderung des Bildungssystems davon aus, dass pro Jahr ca. 10.000 bis 25.000 Schüler*innen rekrutiert werden. In einem Bericht vom Februar 2023 berichtet die schweizerische Flüchtlingshilfe, dass jungen Menschen, die vor dem Militärdienst fliehen, Haft und Folter drohen. In Gegenden oder Stadtteilen, in denen das Militär vor dem Militärdienst Geflüchtete vermutet, finden wiederholt »Giffas« statt. Das sind Razzien, bei denen ganze Stadtteile abgesperrt werden und wiederholt auch Familienmitglieder mit Haft und hohen Geldforderungen konfrontiert werden, falls das Militär der gesuchten Person nicht habhaft wird.


Im Land selbst ist jegliche politische Veränderung faktisch unmöglich.

Bis zur Machtübernahme des amtierenden äthiopischen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed im April 2018 nutzte Eritrea das Nachbarland als ständige Drohkulisse. Auch in der eritreischen Opposition wurde nun kurzzeitig Hoffnung geschöpft, als es unter Ahmed zur Aussöhnung beider Länder kam. Aber die Hoffnung der eritreischen Opposition, die teilweise aus Äthiopien heraus agierte, wurde spätestens Ende 2020 aufgegeben, als der Krieg zwischen der äthiopischen Zentralregierung unter Ahmed und der Region Tigray unter der Führung der Tigray Defense Forces (TPLF) ausbrach.

In Eritrea selbst wird die TPLF als eine Art Erzfeind betrachtet, da sie die äthiopische Regierung und deren Militär über Jahrzehnte dominierte und somit die unmittelbare regionale Konkurrenz zur Einparteienregierung PFDJ in Eritrea darstellte. Es dauerte nicht lange, bis das eritreische Militär die von Abiy Ahmed ausgesprochene Einladung annahm, auf Seiten der Zentralregierung einzugreifen, und in Tigray einmarschierte. Mit diesem neuerlichen Waffengang hat die eritreische Militärdiktatur erneut einen Grund, die Demilitarisierung von Soldat*innen abzulehnen und weiterhin am militarisierten Erziehungssystem festzuhalten.


Konflikte rund um die Auslands-Festivals

Da im Land selbst jegliche politische Veränderung faktisch unmöglich ist, werden die Rufe nach demokratischen Veränderungen in der Diaspora lauter.

In der jüngsten Vergangenheit gab es in verschiedenen Ländern im Zusammenhang mit den sogenannten Eritrea-Festivals teilweise sehr gewalttätige Zusammenstöße zwischen Gegner*innen und Befürworter*innen der Militärdiktatur in Eritrea. Die Festivals werden von Befürworter*innen der eritreischen Regierung organisiert. Die Strafverfolgungsbehörden reagierten, gerade in Deutschland, wiederholt mit hohen Haft- und Bewährungsstrafen.

Während die Medien hierzulande größtenteils auf eine vertiefte Analyse der Auseinandersetzungen verzichteten und schnell »ethnische Konflikte« ausmachten, lohnt sich ein genauer Blick auf die Konfrontationen. Denn Konflikte zwischen beiden Gruppen gab es auch in den letzten Jahrzehnten. Nur verliefen Drohungen, Bespitzelungen und körperliche Übergriffe bisher fast ausschließlich von Seiten der Regimeunterstützer*innen aus, die sich an den als Verräter*innen der eritreischen Sache titulierten rächten und diese in verschiedenen Ländern unter Druck setzten. Dies ging sogar so weit, dass Menschen, die sich im Asylverfahren kritisch zum Regime äußerten, durch ihre Übersetzer*innen unter Druck gesetzt wurden. In den Niederlanden und der Schweiz flogen Übersetzer*innen auf. Unter dem anonymisierten Namen »Yohannes« gab ein eritreischer Geflüchteter im August 2023 gegenüber dem Zentralschweizer Newsportal PilatusToday zu Protokoll: »Er drohte mir vor den Behörden in meiner Muttersprache, ich solle bloß nichts Falsches sagen über mein Land. Zudem verniedlichte er meine Aussagen, spielte sie herunter und winkte oft ab, wenn ich anfing, Geschichten über die Gefangennahme von politischen Geflüchteten zu erzählen oder von anderen Schicksalen berichtete«.

Da in den letzten Jahren aber viele Zehntausende vor allem junge Menschen das Land verließen, organisiert sich mehr und mehr eine kritische Masse in der Diaspora. Hier kommt nun eine fundamentale Kritik an dem Regime zusammen mit oftmals selbst erlittener Folter, Inhaftierungen, traumatisierenden Erfahrungen im Land und auf den sehr gefährlichen Fluchtrouten.

Die Militärdiktatur selbst schießt an der Grenze zwar einerseits auf Flüchtende und führt sie auch teilweise unter Gewaltanwendung aus den Nachbarregionen zurück in die Folterkeller und zum Militär. Gleichzeitig hat sie aber auch ein ökonomisches Interesse daran, dass die jungen Menschen nach ihrer Flucht aus der Diaspora wichtige Transferleistungen an Familienmitglieder, Freund*innen und direkt oder indirekt auch an die Regierung leisten.

Reueerklärungen

Schon jetzt regelt die sogenannte Aufbausteuer in Höhe von zwei Prozent des Jahreseinkommens, dass Menschen aus der Diaspora Geld bezahlen müssen, wenn sie im Ausland unterschiedliche Unterlagen oder Dienstleistungen von der jeweiligen Botschaft anfordern. Und gerade deutsche Behörden haben Geflüchtete wiederholt zur Beschaffung von Papieren in die Botschaften gezwungen, wo sie seitens der Diktatur finanziell und politisch unter Druck gesetzt wurden sowie eine sogenannte Reueerklärung zu unterschreiben hatten. Diese forderte auch ein, die Flucht als Fehler einzugestehen. Durch das deutsche Innenministerium wurde diese jahrelange Praxis erst im August 2023 als »unzumutbar« eingeschätzt. Die niederländische Regierung reagierte entschiedener und verwarnte eritreische Diplomaten schon aufgrund der Einführung der Zwei-Prozent-Zwangssteuer, die oftmals auch über die Botschaften eingetrieben wurde. Nachdem Eritrea diese Praxis nicht einstellte, wurde der zuständige Chefdiplomat der Den Haager Botschaft, Tekeste Ghebremedhin Zemuy, 2018 des Landes verwiesen.

Die Regierung in Asmara ist hingegen dringend auf die Geldflüsse angewiesen, vor allem aufgrund der internationalen Sanktionen, der teuren Kriegsführung und der angespannten wirtschaftlichen Lage. Informelle Quellen schätzen, dass die Aufbausteuer, freiwillige Spenden und weitere Einnahmen aus dem Ausland 20 bis 25 Prozent des Jahreseinkommens des Landes darstellen und somit eine unverzichtbare Geldquelle sind. Insofern werden die als Kulturfestivals getarnten Zusammenkünfte, nationalistische Konzerte und die breit gestreuten Netzwerke der kulturellen Heimatvereine ein unverzichtbarer Bestandteil der Auslandsstrukturen der Regierung bleiben.

Ein Ende der repressiven Militärdiktatur in Eritrea ist aktuell nicht absehbar. Aktive Opposition oder zivilgesellschaftliche Gruppen vor Ort sind aufgrund der umfangreichen Repression nicht denkbar. Somit bleibt der regimekritischen Diaspora derzeit nur die Möglichkeit, sich weiterhin politisch international zu vernetzen und politischen Druck durch ökonomische Enthaltung der Devisentransfers auszuüben.

Jonas Berhe

ist Gewerkschafter und freier Journalist aus Frankfurt am Main.