Vor der Zeitenwende 2.0?
Teile der Ampelregierung schlagen Staatsbeteiligungen an Rüstungsunternehmen vor
Von Axel Gehring
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) haben Staatsbeteiligungen bei deutschen Rüstungskonzernen vorgeschlagen. Im Grunde ist das eine lange absehbare Folge des 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens für die Bundeswehr, das Bundeskanzler Olaf Scholz kurz nach seiner Zeitenwende-Rede unmittelbar nach der russischen Invasion der Ukraine 2022 verkündet hatte. Viel Zeit verbrachte der massenmediale Diskurs danach damit, über das Nichtankommen der Zeitenwende bei der Truppe in Form von Rüstungsgütern zu lamentieren. Der nun geforderte Einsatz weiterer Steuermilliarden ist eine Raktion darauf: Die Zeitenwende soll von einem Bestell-Event in den Raum der Produktion ausgedehnt werden.
Das dahinterliegende Problem: In der auf Auslandseinsätze gegen nicht-staatliche Gegner getrimmten Bundeswehr wurden jahrzehntelang die Rüstungsgüter für klassische Staatenkriege nur in sehr kleinen Stückzahlen nachgefragt. Entsprechend klein waren die Produktionslinien der deutschen Industrie. Obwohl Deutschland meist zu den Top 5 der Rüstungsexporteure gehörte, war der Abstand zur Spitze groß, auch bei den Forschungsbudgets der deutschen Rüstungsfirmen. Der Sektor ist übrigens stark von mittelständischen Unternehmen und nicht nur von Rheinmetall geprägt.
Nach der Zeitenwende-Rede des Kanzlers verständigten sich die Staatsapparate monatelang über ihre Orderliste und platzierten diese. Zudem ging die Waffenhilfe für die Ukraine schnell über Ringtauschgeschäfte aus Lagerbeständen der Bundeswehr hinaus und umfasste Neuproduktionen für den laufenden großen Landkrieg. Rasch zeigte sich: Die Industrie konnte nicht schnell liefern, sondern musste erst ihre Produktion ausweiten – bis hin zum Neubau kompletter Fabriken. Das aber dauert und heißt auch, dass nicht zwingend jede Firma in der Lage ist, rekordträchtige Ordereingänge schnell in Absatzrekorde zu verwandeln.
Die Zeitenwende soll von einem Bestell-Event in den Raum der Produktion ausgedehnt werden.
In den letzten Monaten hat die Rüstungsindustrie zudem immer wieder erklärt, dass sie sich nicht traue, zu rasch ihre Produktionskapazitäten auszuweiten – aus Sorge, die Zeitenwende könnte nicht von Dauer sein. Teile der Bundesregierung wollen ihr offenkundig durch direkte Kapitalspritzen die Sorge vor unternehmerischen Risiken nehmen.
Sollte es zum Einstieg des Staates in die Rüstungsproduktion kommen, so wäre das eine Zeitenwende 2.0. Noch mehr öffentliche Mittel würden in Entwicklung und Produktion von Waffen fließen. Die mobilisierten Mittel würden kurzfristig den Kapitalstock von Rheinmetall und Co. erhöhen, ihre Absatz- und Gewinnchancen verbessern. Zudem würde ihr Gewicht als Kapitalfraktion gestärkt und ihre neuen Produktionskapazitäten würden dauerhaft nach Absatzmöglichkeiten suchen. In dem Maße, wie die Rüstungskonzerne stärker von staatlichen Produktionseingängen abhängig würden, könnte sie kaum auf politische Einflussnahme verzichten. Denn die Aufrechterhaltung einer großen Rüstungsproduktion bedarf der permanenten politischen Rechtfertigung. Doch dort, wo militärisch-industrielle Komplexe entstehen, sinkt der Rechtfertigungsaufwand.
Das Vorhaben ist jedoch in der Regierung umkämpft, die FDP spricht sich dagegen aus. Der Grund: Die Schaffung von europäischen Verteidigungs-Champions werde torpediert, wenn jeder Staat nur seine eigenen nationalen Schätzchen pampere, sagte deren verteidigungspolitischer Sprecher Alexander Müller. »Die Zersplitterung der europäischen Rüstungs-Landschaft bleibt dann ein teures Ärgernis.« Diese Begründung ist interessant, weil sie einerseits klassisch marktliberal ist, andererseits aber das Ziel europäischer Rüstungsgroßkonzerne klar vor Augen hat. Europäische Champions sind eigentlich kein typisches Ziel liberaler Politik. Damit hat sich im Grunde auch die FDP im Namen der Rüstung von ihrer eigenen ordoliberalen Ideologie distanziert. Hier dürften die Liberalen in Zukunft wohl flexibler sein, als zum Beispiel beim Tempolimit – zumal es sich gerade nicht um Verstaatlichung, sondern um Kapitalbeteiligungen handelt, die vom Rheinmetall-Vorstand übrigens ausdrücklich begrüßt werden.