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Nicht Fisch, nicht Fleisch

Das Bündnis Sahra Wagenknecht holt zum erfolgreichen Rundumschlag bei den anstehenden Landtagswahlen im Osten aus. Doch was will das BSW politisch?

Von Janis Ehling

Nahaufnahme von Sahra Wagenknecht, wie sie einen Vortrag vor Publikum hält
Unzufriedene aller Länder, vereinigt euch. Foto: Fraktion DIE LINKE. im Bundestag / Flickr , CC BY 2.0

Neue Parteien entstehen in Zeiten großer Krisen und Umbrüche, und in dieser Hinsicht hatten die vergangenen Jahre viel zu bieten: Krieg in Syrien und Fluchtbewegungen, Pandemie, Ukraine-Krieg, Inflation, Energiekrise und Umbrüche in der deutschen Industrie. Konservative und Rechte haben die Krise erfolgreich als »linksgrün verursacht« geframed und versprechen, dass mit ihnen nun wieder Ruhe einkehren könne. Verlogen, denn just die deutschen Konservativen haben in den Merkel-Jahren durch Aufschieberitis geglänzt und die Resilienz des Landes kaputtgespart. Die (wahrgenommene) Opposition gegen die Ampel steht dennoch rechts – auch weil die deutsche Linke in ihren vielen Facetten vorerst in der Defensive gefangen ist. Sahra Wagenknecht macht es wie Oskar Lafontaine Anfang der 1990er Jahre. Sie setzt sich an die Spitze des Ressentiments. Trotzdem ist es zu einfach, das BSW in die rechte Ecke zu stellen.

Krieg, Corona, Migration

Das Schlüsselereignis für die Abspaltung des BSW von der Linken ist der Ukraine-Krieg. Das BSW lehnt die Unterstützung der Ukraine gegen Russland ab und kritisiert ebenso jedwede Sanktionen gegen Russland. Oskar Lafontaine bezeichnet beispielsweise in seinem Buch auch die militärische Selbstverteidigung der Ukraine als falsch. Für das BSW ist der Ukraine-Krieg nur ein Krieg zwischen dem Westen und Russland. Die Ukraine spielt darin keine eigenständige Rolle. Diese Haltung zum Ukraine-Krieg bildet die inhaltliche Klammer des BSW und gleichzeitig die Brücke zu den konservativen und liberalen Mitgliedern und Sympathisant*innen des BSW. Während Wagenknecht und ihre Getreuen noch (zu Recht) jeden Angriffskrieg der Nato oder seiner Verbündeten kritisiert haben, sind sie beim russischen Angriffskrieg ebenso wie schon 2014 bei Assad in Syrien auffällig still.

Ein weiterer gemeinsamer Nenner des BSW ist die Ablehnung der Corona-Maßnahmen und die Kritik der Impfpolitik. Wo das BSW im Ausland kein Problem hat, staatsautoritäre Regime von Assad bis Putin zu verteidigen, agiert Wagenknecht in der Corona-Politik geradezu anarcholibertär und kritisiert die Bundesregierung noch immer vehement. Wagenknecht sammelt die Unzufriedenen aus der »bedrohten Mitte der Gesellschaft« und gibt dem Protest ein Gesicht. Kennzeichnend für Wagenknecht ist, dass sie meist bei der Kritik stehen bleibt und selten konkret sagt, was sie politisch will. Diese Unbestimmtheit ermöglicht es, ganz unterschiedliche Gruppen anzusprechen.

Abgesehen von ihrer Russland-Politik und Corona ist das BSW jedoch eher eine weitere Mitte-Partei. So verortete die sächsische Spitzenkandidatin Sabine Zimmermann das BSW jüngst in einem Interview folgerichtig zwischen SPD und Union.

Wagenknecht folgt dem Agenda-Setting des nach rechts gedrifteten Mainstreams und passt ihre Tonlage entsprechend an.

Wagenknecht folgt dem Agenda-Setting des nach rechts gedrifteten Mainstreams und passt ihre Tonlage entsprechend an. Auf ihren Social-Media-Kanälen zieht sie mittlerweile über »geflüchtete Messerstecher« her und wettert gegen »unkontrollierte Migration«. Sie schürt ebenso wie Union und SPD die Illusion, dass Migration einfach kontrollierbar wäre – die Beseitigung von Fluchtursachen wie Ungleichheit, Kriegen und Hunger scheint für sie nicht relevant zu sein. Damit springt sie der CDU und der AfD bei und verschafft ihnen unnötig Legitimation – von der Infragestellung der Genfer Flüchtlingskonvention bis zur Befürwortung von Asylverfahren in Drittstaaten wie Ruanda. Anders als die SPD lehnte das BSW Anfang des Jahres die Teilnahme an den Anti-Rechts-Demonstrationen gegen die Deportationspläne der AfD ab.

Nicht nur hier nimmt das BSW eine konservative Haltung ein. Neu ist Wagenknechts offene Stimmungsmache gegen Bürgergeldempfänger*innen. Hiermit grenzt sie sich deutlich von der Linkspartei ab – deren Gründungsmythos der Kampf gegen Hartz IV war. AfD und CDU zielen darauf ab, dass Erwerbslose jede noch so schlechte Arbeit annehmen müssen. Das BSW stimmt hier überein und nimmt bewusst eine sozial ständische Position ein. In der Sozialpolitik sind die Wahlprogramme zu den anstehenden Landtagswahlen größtenteils von der Linken kopiert. Nach vorn stellt das BSW hier die Forderung nach einer Sicherung der Renten. Das passt ganz zu ihrer Strategie, vor allem ältere Wähler*innen anzusprechen.

Neu ist beim BSW auch das Pochen auf einen starken Wirtschaftsstandort Deutschland und die Innovations- und Leistungsfähigkeit des deutschen Mittelstands. Den anstehenden energetischen Umbau der Industrie lehnt das BSW ab und insistiert zudem auf eine Aufhebung des Verbrennerverbots. Wagenknecht und Co. setzen sich stattdessen für E-Fuels ein, die nicht nur teuer sind, sondern auch den Bedarf absehbar nicht decken können. Neben der Corona-Politik dürfte ihr Hochhalten des Mittelstands und die Ablehnung des sozialökologischen Umbaus die größten internen Widersprüche produzieren.

Wagenknechts Selbstverortung als linkskonservativ ist der Versuch, sich offensiv in der Mitte zu verorten, um so maximal Wähler*innen anzusprechen. Das BSW kopiert hier die CSU oder den rechten Flügel der SPD. In einer Zeit der Krisen beteiligt sich das BSW fleißig am Nach-unten-treten. Im Unterschied zu CSU und SPD agiert das BSW im schlechtesten Sinne des Wortes populistisch, weil es Stimmungen jedweder Couleur aufgreift und verstärkt – egal ob es gegen Geflüchtete oder gegen das Selbstbestimmungsrecht von Transpersonen geht.

Eine illustre Truppe

Trotz der nur wenigen hundert handverlesenen Mitglieder ist das BSW schon jetzt eine mehr als illustre Truppe – vom Corona-Kritiker Friedrich Pürner, der nun für das BSW im Europaparlament sitzt, bis zu einigen FDPlern wie dem ehemaligen Abgeordneten und Möllemann-Vertrauten Stefan Grüll in NRW. In Dresden kandidierte Timo Backofen für das BSW, seines Zeichens Büroleiter des AfD-Bürgermeisters in Pirna. In Gera wechselten gleich zwei Kommunalvertreter des BSW zur Werteunion.

Das BSW ist mit einem ideologischen Potpourri ein magischer Anziehungspunkt für Glücksritter aller Art. Den Kern der Partei bildet aber die kleine Gruppe der abgespaltenen Abgeordneten und ihrer Mitarbeiter*innen. Alle wichtigen Fragen werden aber am Küchentisch in Merzig vom Ehepaar Wagenknecht-Lafontaine entschieden. Das Ehepaar gibt die politischen Linien vor, um die reale Organisation müssen sich aber andere kümmern. Anders als es die Wahlergebnisse der Europawahlen vermuten lassen, ist das BSW gerade im Osten personell schwach aufgestellt. Das BSW hat große Probleme, überhaupt Kandidat*innen für ihre Vorstände und Wahllisten im Osten zu finden. Nur in Thüringen gelang dem BSW mit dem überraschenden Wechsel der Eisenacher Bürgermeisterin Katja Wolf ein Coup. Aber lediglich in Sachsen gibt es mit Sabine Zimmermann eine ehemalige Abgeordnete, die organisatorisch sehr umtriebig und an die Parteispitze angebunden ist. In Sachsen-Anhalt organisiert John Lucas Dittrich, ein 19-jähriges Ex-Mitglied der Linkspartei, die Gründung eines Landesverbandes. Entsprechend wenige Listen konnte das BSW zu den Kommunalwahlen im Osten außerhalb Sachsens aufstellen.

Bemerkenswert ist der Support von Unternehmer*innen: So ist der Millionär und Unternehmer Ralph Suikat Schatzmeister der Partei. Stellvertretender Vorsitzender ist Shervin Haghsheno, der lange für den Baukonzern Bilfinger gearbeitet hat und noch heute im Präsidium des Instituts der deutschen Immobilienwirtschaft sitzt. Vielleicht ist die Einbindung der beiden Unternehmer*innen nur Zufall, aber aufgrund der wenigen Mitglieder ist das BSW massiv auf Großspenden angewiesen. Bislang bekam die Partei sechs- und siebenstellige Beiträge von einem Millionärspaar, um ihre Wahlkämpfe zu finanzieren.

Bald in Regierungsverantwortung?

Bei den letzten Europawahlen war deutlich zu sehen, dass das BSW vor allem im Osten Stimmen holt. Anders als von Wagenknecht und Co angepeilt, holte das BSW kaum Wähler*innen von der AfD oder aus dem Nichtwähler*innenspektrum. Die Wähler*innen wanderten überwiegend von der SPD und der Linken zum BSW. Im Osten kann das BSW sowohl mit seiner Ukraine-Politik als auch mit Protest punkten. Dort ist die »etablierte« Politik institutionell wie zivilgesellschaftlich relativ weit weg. Das liegt einerseits an der – in der DDR politisch gewollten – Passivität der Bürger*innen. Andererseits ist die institutionelle Kommunal- und Landespolitik im Osten selten wirklich attraktiv gewesen. Anders als im Westen Deutschlands gibt es hier kaum große Unternehmenssitze, wo nennenswert Steuern anfallen, und damit kaum politischen Handlungs- und Verteilungsspielraum. Zudem ist der Osten massiv von Abwanderung betroffen, und dadurch organisiert die Politik eher den Rückbau als irgendwelche Verbesserungen. Die Anti-Politik und die Protesthaltung des BSW kommt bei den Wähler*innen gut an. Im Westen ist das BSW hingegen bis auf das Saarland und Bremen fast flächendeckend unter fünf Prozent geblieben.

Das BSW wird bei den kommenden drei Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg gut abschneiden. Die Frage ist nur, was das BSW mit dem Ergebnis machen soll. Das BSW hat bislang nur Koalitionen mit der AfD und den Grünen ausgeschlossen. CDU und BSW haben hingegen Bereitschaft signalisiert, miteinander zu koalieren, viele andere Möglichkeiten wird es angesichts der derzeitigen Umfragen kaum geben. Wagenknecht hat selbst die Tolerierung von Minderheitsregierungen ausgeschlossen.

Wagenknechts Flügel hatte noch in der Linkspartei stets jede Regierungsbeteiligung scharf kritisiert. Auch jetzt dürfte das BSW seine Position intern kaum geändert haben. Im Osten fehlt der Partei schlicht das Personal für eine Regierungsbildung. Ihre Listen sind mit heißer Nadel kurzfristig zusammengestrickt. Sowohl die Koalitionsbildung als auch der Übergang in den politischen Alltag dürfte für das BSW daher einige Zerreißproben bereithalten.

Was das BSW politisch vorhat in den Landtagen und der Regierung, ist hingegen weitgehend unklar. In der Öffentlichkeit hervorgehoben wird vom BSW lediglich der Einsatz für ein Ende des Ukraine-Kriegs und die Einrichtung von Corona-Untersuchungsausschüssen – zusammen mit der AfD, wie Friedrich Pürner kürzlich medienwirksam ankündigte. Für die Führungsspitze ist das auch alles sekundär. Für sie sind die Landtagswahlen nur eine Vorbereitung auf die Bundestagswahl im kommenden Jahr. Klar ist nur, dass das BSW die gesellschaftliche Linke bei den kommenden Wahlen schwächen wird und viele Anlaufpunkte und Strukturen mit der Schwächung der Linkspartei wegfallen werden.

Janis Ehling

ist Parteienforscher und Mitglied im Parteivorstand der Linkspartei.