analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 705 | Umwelt

So ist Deutschland

Die Klimapolitik der Bundesregierung konterkariert nette Hochwasser-Rhetorik

Von Guido Speckmann

Bäume und Schilder ragen aus einem über die Ufer getretenen Fluss.
Neue Normalität: Starkregen und Hochwasser. Foto: Wikimedia Common/stk, CC BY-SA 4.0

Nun musste er schon das vierte Mal in diesem Jahr die Gummistiefel anziehen. Als Kanzler Olaf Scholz (SPD) Anfang Juni im oberbayerischen Reichertshofen die Hochwassergeschädigten besuchte, sagte er einen bemerkenswerten Satz: Solidarität sei geübte Praxis. »Das gehört sich so, und so ist Deutschland«. So ist Deutschland aber gar nicht, nicht jenseits von Katastrophen. Geübte Praxis ist vielmehr diese: Zwar bekennt sich die politische Klasse rhetorisch zum Kampf gegen den Klimawandel, der Starkregen und andere Wetterextreme häufiger und intensiver werden lässt. Doch in der Praxis sind diese Worte nichts wert.

Das zeigten trefflich die Wochen vor den jüngsten Überschwemmungen und der Scholz-Besuch in Süddeutschland. Dort sagte er, die Aufgabe, den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten, dürfe nicht vernachlässigt werden. Eine »Mahnung« sei das, die aus diesem Ereignis und dieser Katastrophe mitgenommen werden müsse. Fast zeitgleich jedoch stellten Expert*innen und Gerichte der Ampelregierung ein schlechtes Zeugnis aus. Zudem wurden neue Gesetze auf den Weg gebracht, die den Klimaschutz zugunsten des fossilen Weiter-So entschärften.

So attestierte der Expertenrat für Klimafragen der Regierung Anfang des Monats, ihre Klimaziele bis 2030 zu verfehlen – und widersprach damit dem grünen Wirtschaftsminister, der im März verkündet hatte, Deutschland sei klimapolitisch erstmals auf Kurs. Nein, sagt das Gremium, die CO2-Reduktionsannahmen seien zu unwahrscheinlich, die Zahlen, auf die sich Habeck bezog, zu optimistisch. Zudem würden Sparmaßnahmen nach dem Karlsruher Haushaltsurteil im Klima- und Transformationsfonds darin nicht berücksichtigt.

Die Politik der Ampelregierung erfreut die fossilen Energiekonzerne, die mit der Kohlenstoffabscheidung ein grünes Feigenblatt erhalten, um ihr klimaschädliches Geschäft fortzusetzen.

Ähnlich urteilte Mitte Mai auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg und verdonnerte die Bundesregierung zu mehr Klimaschutz. Das selbst gesteckte Ziel einer CO2-Reduktion um 65 Prozent bis 2030 werde verfehlt, weil die Klimaschutzmaßnahmen unzureichend seien. Unbeirrt hält die Ampel derweil am neuen Klimaschutzgesetz fest, das wenige Tage nach dem Urteil den Bundesrat passierte. Dieses wird zu Recht als Aufweichung des Klimaschutzes kritisiert, weil die Sektorziele aufgegeben werden. Notorische Klimaschutzverweigerer wie der FDP-Verkehrsminister werden so aus der Verantwortung genommen.

Und noch einen klimapolitischen Rückschritt gab es: Ende Mai machte das Kabinett den Weg frei für Abscheidung, Transport und Verpressung von CO2 in der Nordsee. Damit setzt sie auf eine gefährliche Scheinlösung. Denn noch steht der Beweis aus, dass die sogenannte CCS-Technik etwas zum Klimaschutz beitragen kann. Das gilt auch für angebliche Vorzeigeprojekte in Norwegen. Schlimmer noch: Die Ampel lässt CCS auch in Gaskraftwerken zu. Das freut die fossilen Energiekonzerne, die nun ein grünes Feigenblatt erhalten, um ihr klimaschädliches Geschäft fortzusetzen. Die Überschrift der Pressemitteilung des zuständigen Ministeriums spricht Bände: »Entscheidung für CCS ist Richtungsentscheidung für die Industrie in Deutschland«. Erst kommt die Industrie, dann der Klimaschutz. Scholz wird seine Gummistiefel noch oft anziehen müssen.

Guido Speckmann

ist Redakteur bei ak.

Unterstütz unsere Arbeit mit einem Abo

Yes, du hast bis zum Ende gelesen! Wenn dir das öfter passiert, dann ist vielleicht ein Abo was für dich? Wir finanzieren unsere Arbeit nahezu komplett durch Abos – so stellen wir sicher, dass wir unabhängig bleiben. Mit einem ak-Jahresabo (ab 58 Euro, Sozialpreis 38 Euro) liest du jeden Monat auf 32 Seiten das wichtigste aus linker Debatte und Praxis weltweit. Du kannst ak mit einem Förderabo untersützen. Probeabo gibt es natürlich auch.