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|ak 705 | Deutschland

Die Abschiebelüge

Die neusten Forderungen aus der Regierung sind zwar inhaltslos, folgen aber einer kruden Logik

Von Pajam Masoumi

Nancy Faeser
Einst war »Kriminelle Ausländer raus« für die NPD reserviert, heute überschlagen sich Sozialdemokrat*innen mit Abschiebeforderungen. Foto: Steffen Prößdorf/Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0

Die Bundesregierung will mal wieder nach Afghanistan abschieben. Was kann dazu in einer linken Zeitung noch geschrieben werden? Sparen wir uns an dieser Stelle einmal die ohnmächtigen Appelle für eine humanere Asylpolitik und schauen uns die Forderung stattdessen in ihrer kruden Binnenlogik an.

Nach einer Messerattacke eines afghanischen Mannes auf den Rassisten Michael Stürzenberger ließ sich Olaf Scholz, Bundeskanzler und Befürworter der Brechmittelfolter, damit zitieren, er möchte »Schwerstkriminelle« auch nach Afghanistan abschieben. Zeitlich passend vor der EU-Wahl versuchte Scholz, mit populistischer Hetze noch ein paar Stimmen abzugreifen. Sofort sprang ihm seine SPD-Genossin, Innenministerin Nancy Faeser, zur Seite. Einst Gastautorin für den VVN-BdA, heute Meisterin darin, jegliche Probleme der maroden Bundesrepublik »den Ausländern« in die Schuhe zu schieben.

Forderungen ohne Inhalt

Weshalb ist die Forderung »Schwerstkriminelle« abzuschieben, populistisch? Eigentlich ziemlich simpel: Sie ist nicht umsetzbar, sondern appelliert nur an tief sitzende rassistische Reflexe. Ungefähr 50 Prozent der afghanischen Geflüchteten erhalten einen positiven Asylbescheid, die andere Hälfte steht unter einem besonderen »Abschiebeverbot«, wie Daniel Thym auf dem Verfassungsblog erklärt. Dieses Abschiebeverbot garantiert, ebenso wie ein positiver Asylbescheid, einen Schutz vor Abschiebungen aus Deutschland. Der traurige Witz an der Sache: Das wissen auch Olaf Scholz und Nancy Faeser. Die Forderung trotzdem zu erheben: Populismus pur.

Ein weiterer Grund, der Abschiebungen nach Afghanistan kaum möglich macht, sind die Taliban: Bisher hat kein einziges »westliches« Land ihre Legitimität anerkannt. Sollte die Bundesregierung nun in Verhandlungen mit den Taliban gehen, würde sie sie als Gesprächspartner auf diplomatischer Ebene akzeptieren und somit auch ihre Gewaltherrschaft über die Menschen in Afghanistan. Dies ist jedoch kaum gangbar, es gibt keine diplomatischen Verbindungen ins Land mehr. Auch wenn die Taliban sich sofort zu solchen Abschiebegesprächen bereit erklärten: Deutschland hat nicht vor, diese wieder aufzunehmen. Stattdessen prüft die Bundesregierung nun, ob Afghan*innen eventuell nach Pakistan abgeschoben und von da weiter nach Afghanistan vertrieben (ak 699) werden können.

Wie sich der angeheizte Zorn kanalisiert, konnten wir in den 1990er Jahren in Lichtenhagen, Mölln, Solingen, Guben und vielen anderen Orten sehen.

Ein dritter Grund, der die Forderung zu einem populistischen Wahlkampfmanöver macht, ist die Tatsache, dass das Verhalten eines Menschen nicht darüber entscheidet, ob eine Abschiebung legitim ist. Den Rahmen dafür bieten Gesetze, interpretiert von Gerichten, umgesetzt von Behörden. Politiker*innen haben nur bedingten Einfluss und können erst mal nur Anpassungen am Rahmen vornehmen. Selbst Terrorist*innen dürfen, wenn sie in ihrem Herkunftsland besonders verfolgt werden, nicht abgeschoben werden. Auch sie haben das Menschenrecht auf Asyl, welches – zumindest laut Gesetzestext – individuell nach Fall geprüft wird. Scholz argumentiert hingegen, dass »Sicherheitsinteresse Deutschlands wiege schwerer als das Sicherheitsinteresse des Täters« – noch eine dreiste Lüge.

Einpeitscher im Anzug

Dass die Abschiebepraxis als solche ohnehin abzulehnen ist, muss an dieser Stelle nicht erklärt werden. Fraglich bleibt indes, was passiert, wenn dem deutschen Michel noch einige Male versprochen wird, dass die Ausländer endlich verschwinden, aber sie es einfach nicht tun. Und das ist es, was die Scholzschen Scheinforderungen so gefährlich macht: Sie heizt rassistische Fantasien an, ohne dann auch liefern zu können. Das hat zur Folge, dass sich Konservative und Rechte immer weiter in ihren Empörungsmodus hineinsteigern werden. Sie können, obwohl ihnen bereits in allen Belangen der rote Teppich ausgerollt wird, der Regierung Untätigkeit vorwerfen – und da die sich zu dem nicht erreichbaren Ziel bekannt hat, sogar zurecht. Wie sich der zuvor angeheizte Zorn kanalisiert, konnten wir in den 1990er Jahren in Lichtenhagen, Mölln, Solingen, Guben und vielen anderen Orten sehen. Nun steht auch noch der nationale Taumel einer Fußballeuropameisterschaft bevor.

Abschließend ist an diese sozialdemokratische Führung daher nur noch eine Forderung zu stellen: Halt dein Lügenmaul, Olaf, bevor du noch mehr Menschen auf dem Gewissen hast.

Pajam Masoumi

ist in der Online-Redaktion bei ak.