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|ak 705 | Deutschland

Das war die Linke

Die Linkspartei ist am Ende – das nicht mehr zu leugnen, wäre ein guter Anfang

Von Nelli Tügel

Martin Schirdewan und Janine Wissler stehen auf einer Bühne. Im Hinergrund ist ein Schriftzug "... es kommt drauf an, sie zu verändern. Die Linke."
Kann die Linkspartei noch die Kurve kriegen? Foto: Steffen Prößler/wikimedia, CC BY-Sa 4.0

So, Europawahlen vorbei, die Zuwächse für die Rechten sind dramatisch, wenn auch in keiner Weise unerwartet. Noch schlimmer als erwartet ist allerdings das Ergebnis für die deutsche Linkspartei, die 2,7 Prozent holte und damit ihr Ergebnis von 2019, das damals schon als katastrophal galt, halbierte. Sie wird nun wirklich nur noch von denen gewählt, die bereit sind, mit dieser Partei durch dick und dünn zu gehen – alle anderen sind weg. Und eine nennenswerte Zahl neuer Unterstützer*innen ließ sich nicht mobilisieren. Das lässt die Jubelberichte aus dem Karl-Liebknecht-Haus, denen zufolge es nach dem Austritt des Wagenknecht-Flügels zu einer enormen Eintrittswelle gekommen sei, noch fragwürdiger erscheinen als sowieso schon. Und dass es wirklich vollkommen egal ist, wenn irgendwelche Postautonomen mit großem Pomp in eine Partei eintreten, ist auf eine Art auch brutal. 

Nicht so brutal jedoch wie ein Blick dorthin, wo die letzten Hochburgen der Linken waren. Da ist zum Beispiel der Ostberliner Bezirk Lichtenberg, in dem am 9. Juni recht unbemerkt eine Ära zu Ende ging. Seit dem Anschluss der DDR hatte die PDS bzw. Linkspartei in Lichtenberg fast immer fast alles gewonnen, sie war eine Macht, auch im vorpolitischen Raum. Nun rutschte sie bei den Europawahlen auf den sechsten Platz ab. Oder Mecklenburg-Vorpommern: Bei den ebenfalls am 9. Juni abgehaltenen Kommunalwahlen kam die Partei dort nur auf 8,8 Prozent, halb so viel wie bei den letzten Kommunalwahlen, bei denen sie noch zweitstärkste Kraft geworden war. In Brandenburg kam sie nicht einmal mehr auf acht Prozent – wir reden hier von einer Kraft, die in den Nullerjahren in dem Bundesland an der 30-Prozent-Marke kratzte. 

Das Bündnis Sahra Wagenknecht ist weder in Brandenburg noch in Mecklenburg-Vorpommern flächendeckend bei den Kommunalwahlen angetreten, nur in einigen Orten. Der jetzt bei vielen Linkspartei-Mitgliedern, Unterstützer*innen und auch einigen Kommentator*innen locker sitzende Impuls, diese erbarmungslose Abberufung einer linken Partei der Wagenknecht-Abspaltung in die Schuhe zu schieben, nach dem Motto – seht her, sie stehlen ja gar nicht der AfD die Stimmen, sondern den Linken! – trägt aus diesem Grund nicht weit. 

Der locker sitzende Impuls, diese erbarmungslose Abberufung einer linken Partei der Wagenknecht-Abspaltung in die Schuhe zu schieben, nach dem Motto – seht her, sie stehlen ja gar nicht der AfD die Stimmen, sondern den Linken! – trägt nicht weit. 

Aber nicht nur aus diesem Grund. Wer sich ehrlich macht, muss sich weiteren unangenehmen Tatsachen stellen. Etwa, dass die Statistik zur Wähler*innenwanderung zwischen 2019 und heute zwar einen großen Verlust von Wähler*innen an das BSW zeigt, viele davon der Linken aber schon abhandengekommen waren, bevor Wagenknecht und Co. ihr eigenes Ding starteten. Vermutlich hat das BSW mehr linke Wähler*innen, die schon im Abgang begriffen waren, »aufgefangen« als es der Partei neu abgejagt hat. 

Zumindest gilt das für die Breite. In bestimmten Regionen, vor allem in Ostdeutschland, ist es anders. Dort hat die Gründung des BSW tatsächlich für regelrechte Einbrüche bei der Linken gesorgt, die nach allem, was man aus der Partei hört, dramatischer sind als erwartet – siehe Berlin-Lichtenberg. Doch was heißt das? Klar, es lässt sich jetzt mit dem Finger auf die verhassten Wagenknechte zeigen – die sind schuld, dass treue Alt-Unterstützer*innen, die die Linke aus Loyalität weitergewählt hätten, nun weg sind. Aber die Ergebnisse zeigen vor allem, dass es gerade dort, wo die Partei einst ihre Bastionen hatte, viele Menschen gibt, die sie nicht trotz, sondern gerade wegen Politiker*innen wie Wagenknecht und dem, wofür sie eben stehen, gewählt haben. Und dass das viel mehr Menschen sind als jene Linken, die stets gesagt haben, sie könnten die Partei erst dann unterstützen, wenn Wagenknecht weg ist. 

Daraus lassen sich natürlich weder ein Programm noch eine Strategie ableiten – nein, es ist schon gut, dass die Trennung vollzogen wurde, wenn auch Jahre zu spät. Es gibt kein Zurück. Aber manchmal ist es schon etwas wert, den Status quo angemessen zu beschreiben – ohne Beschönigungen, ohne Voluntarismus, ohne Arroganz. Das hat der Partei zuletzt häufig gefehlt. Einfach offen und ehrlich: Die Linke ist am Ende, Sahra Wagenknecht steht erst am Anfang.

Nelli Tügel

ist Redakteurin bei ak.