»Liebe Arbeiter*innen, liebe Anwohner*innen«
Beim Tesla-Protest in Grünheide versucht die Klimabewegung, mit neuen Ansätzen wieder auf die Füße zu kommen
Von Jan Ole Arps und Paul Dziedzic
Etwa 1.500 von ihnen sind angereist, überall rund um das Tesla-Werk in Grünheide streifen sie durch Waldstücke, blockieren den Schienen- und Autoverkehr, auf Anwohner*innen wirken sie bisweilen einschüchternd. »Langsam nervt es schon, es sind auch einige ganz schöne Schränke dabei«, sagt eine Verkäuferin im Grünheider Netto-Supermarkt am Freitagnachmittag.
Und in der Tat, die 1.500 Polizist*innen, die am Himmelfahrtswochenende hier eingerückt sind, sind nicht zimperlich. »So ein Maß an Polizeigewalt habe ich lange nicht mehr erlebt«, sagt Ole Becker. Ole Becker ist Sprecher von Disrupt, einem der Protestnetzwerke, die an diesem Wochenende ebenfalls ins Berliner Umland mobilisiert haben. Disrupt, ein Zusammenschluss linker Gruppen, versteht sich als antikapitalistischer Flügel der Klimabewegung – und als ein Ansatz, um aus der strategischen Sackgasse herauszukommen, in der die Bewegung steckt: durch Kapitalismuskritik, Engagement in lokalen Kämpfen und radikalere Aktionsformen. Die Proteste gegen das Tesla-Werk sind, wenn man so will, ihr erster Praxistest.
Im gewachsenen Interesse für den Tesla-Protest kommt auch eine inhaltliche Verschiebung in der Klimabewegung zum Ausdruck.
Ist er geglückt? »Ja«, findet Becker. »Es waren viele Leute bei den Aktionen, die gezeigt haben, sie meinen es ernst, wenn sie sagen, wir machen Tesla dicht.« Gemessen an der Medienaufmerksamkeit hat Becker Recht. Der Sturm auf das Tesla-Gelände, für den Disrupt verantwortlich zeichnet, machte international Schlagzeilen. Aber haben die Aktivist*innen das Werk tatsächlich erreicht? Ja, sagen die Demonstrierenden, nein, sagen die Polizei und Elon Musk. Noch zwei Zäune hätten zwischen den Aktivist*innen und den Produktionshallen gestanden, betonen der Multimilliardär und die deutschen Ordnungshüter*innen übereinstimmend. Stimmt, doch auch die Demonstrant*innen haben Recht. Die weitläufige Sandwüste, auf der sich die Jagdszenen zwischen Polizei und »blauem« oder »goldenem Finger« abspielten, sind gerodeter Wald – Teil des Werksgeländes, das Tesla bereits gehört.
Musks Ziel für Grünheide: eine Million Autos pro Jahr
Dass trotz gegensätzlicher Aussagen beide Seiten die Wahrheit sagen können, liegt an den gewaltigen Dimensionen des Geländes. 300 Hektar umfasst es schon, das entspricht einer Fläche von 420 Fußballfeldern. Hier produzieren 12.000 Arbeiter*innen etwa 250.000 Elektro-SUVs pro Jahr, für 500.000 Autos ist das Werk ausgelegt. Es sollen noch mehr werden, bis zu eine Million. Auch wenn der Verkauf derzeit stockt und Tesla Beschäftigte entlässt: Musk möchte das vor zwei Jahren eröffnete Werk in Grünheide, sein einziges in Europa, vorsorglich erweitern, denn der europäische Markt ist groß.
Dafür soll mehr Wald gerodet werden, der sich noch im Besitz des Landes Brandenburg befindet – und zum Teil, wie auch große Teile des bestehenden Fabrikgeländes, im Trinkwasserschutzgebiet liegt. Die Einwohner*innen der Gemeinde Grünheide sind in großer Mehrheit dagegen. 62 Prozent sprachen sich im Februar in einer Befragung gegen die Ausbaupläne und den Verkauf weiterer Waldflächen an Tesla aus. Am 16. Mai setzte sich der Gemeinderat über dieses Votum hinweg und stimmte dem minimal abgemilderten Bebauungsplan zu – die Voraussetzung für den Verkauf des zusätzlichen Geländes an das Unternehmen.
Die Sitzung war begleitet von Protesten. In der Woche davor hatten die Tesla-Gegner*innen zu Aktionstagen aufgerufen. Neben Disrupt mobilisierten das Bündnis »Tesla den Hahn abdrehen« nach Grünheide, ein Zusammenschluss von Umweltgruppen und linken Klimainitiativen aus Berlin und Brandenburg, außerdem die Waldbesetzer*innen von »Tesla stoppen« und natürlich die Bürgerinitiative Grünheide, die den Widerstand gegen Tesla überhaupt initiiert hat.
Dass die Stimmung vor Ort so klar gegen den Verkauf ausschlägt, war nicht immer so, erzählt Steffen Schorcht von der Bürgerinitiative. Seit 1995 wohnt er im benachbarten Erkner, nur einen Kilometer von der Gigafactory entfernt. Schon vor 20 Jahren setzte er sich für Umweltschutz in der Region ein. »Als ich im Herbst 2019 erfuhr, dass Tesla sich hier ansiedelt, war das ein Schock«, sagt der 63-Jährige.
Durstige Fabrik im trockenen Brandenburg
Tesla sei damals als Glücksfall für die Region präsentiert und von vielen auch so gesehen worden. Dass sich die Wahrnehmung geändert hat, liegt nicht nur an den Aktivitäten von Schorcht und seinen Mitstreiter*innen, die seit viereinhalb Jahren auf Waldspaziergängen über die Probleme informieren, Bebauungspläne und Umweltschutzauflagen studieren, Einsprüche formulieren, aufklären. Die Ansiedlung macht sich in der Gemeinde drastisch bemerkbar. Neu-Bürger*innen müssen ihren Wasserverbrauch schon jetzt beschränken. Ab 2025 gilt die Beschränkung dann für alle privaten Haushalte. Die durstige Fabrik in einer der trockensten Regionen Deutschlands bringt den regionalen Wasserversorger, den Wasserverband Strausberg-Erkner, an seine Kapazitätsgrenzen. Der Grundwasserspiegel sinkt, auch für die Trinkwasserversorgung Berlins sind diese Entwicklungen problematisch.
Zudem gibt es Sorgen um Havarien und um das Abwasser. 26 Vorfälle, bei denen Giftstoffe austraten, sind bislang bekannt geworden. Auch beim Abwasser aus der Produktion warnt der Wasserverband immer wieder, dass Tesla die Grenzwerte für Schadstoffe, etwa Stickstoff und Phosphor, regelmäßig überschreite, teils um das Fünffache. Da der Konzern auf Ermahnungen nicht reagiere, drohte der Wasserversorger Anfang des Jahres damit, die Abwasserentsorgung für Tesla einzustellen. Schon beim Bau der Fabrik hatten der Konzern und die zuständigen Landesbehörden Umweltbedenken ignoriert.
Als Teil der Taskforce Tesla der Naturschutzverbände verhandelte Schorcht seinerzeit mit dem Unternehmen. »Das waren intelligente, sozial kompetente junge Leute, die auch hier unter euch sitzen könnten«, berichtet er bei einem Workshop im Protestcamp. »Es gab Schnitten und Cola.« Nur: Die Nettigkeiten brachten nichts, Tesla habe die Naturschutzverbände bloß hingehalten.
Von der Einstellung »Not in my Backyard« seien sie in der Bürgerinitiative weggekommen, erzählt Steffen Schorcht. Der Protest habe ihren Horizont erweitert.
Von der Einstellung »Not in my Backyard« seien sie mit der Zeit weggekommen, erzählt Schorcht, der Protest habe ihren Horizont erweitert. Der Abbau schwindender Ressourcen, das falsche Versprechen grüner Elektromobilität, Ausbeutung, Profitgier, die Gefährdung der Trinkwasserversorgung: All das betreffe viele Menschen an vielen Orten, nicht nur in Grünheide. Ihnen sei klar geworden, dass sie mit ihrem Kampf gegen Tesla in einem Zusammenhang mit Wasserkämpfen in Südamerika und dem Widerstand gegen Ausbeutung und Umweltschäden in den Abbaustätten für die Rohstoffe stehen, die zur Batterieproduktion gebraucht werden. Irgendwann beschloss die Initiative, nach Verbündeten zu suchen und auf Ende Gelände in Berlin zuzugehen. Aus der Kooperation entstand das Bündnis Tesla den Hahn abdrehen, in dem die Bürgerinitiative und andere Gruppen gemeinsam Protestaktionen organisieren – und im Vorfeld der Bürger*innenbefragung zahlreiche Haustürgespräche in Grünheide absolvierten. Auch von den Waldbesetzer*innen, die seit Februar in einem Waldstück zwischen dem Bahnhof Fangschleuse und dem Tesla-Werk in Baumhäusern ausharren, ist Schorcht beeindruckt und betont, dass sie dem Anliegen helfen. »Ich habe Kinder im gleichen Alter, das gibt mir Hoffnung für die Zukunft.«
Zwischen Wald, See und Supermarkt
Wenn man vom Bahnhof in die andere Richtung geht und den Kreidemarkierungen auf dem Fahrradweg folgt, gelangt man nach einer Weile nach Grünheide. Auf dem Festplatz des Ortes haben die Protestierenden ein Protestcamp errichtet. Mehr als 1.000 Menschen diskutieren hier angeregt in Workshops oder lauschen Präsentationen zur Wassersituation in Brandenburg, viele haben ihre Zelte gleich für fünf Tage aufgeschlagen. Die kleine Lichtung liegt beschaulich zwischen Supermarkt, Wald und See, in dem sich die Aktivist*innen zwischen Aktionen und Workshops abkühlen können.
»Allein, dass wir hier sind, ist ein Riesenerfolg«, sagt Karolina Drzewo von Tesla den Hahn abdrehen. »Letztes Jahr, als wir angefangen haben, waren wir gerade mal 30 Leute.« Heute wüssten die meisten, mit denen sie in Berlin und Brandenburg spricht, von der Wasserproblematik und den schlechten Arbeitsbedingungen bei Tesla.
In dem gewachsenen Interesse für den Tesla-Protest kommt auch eine inhaltliche Verschiebung in der Klimabewegung zum Ausdruck. Das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen, scheint immer unrealistischer, der Anti-Kohle-Protest hat sich mit dem Ausstiegsbeschluss totgelaufen. Am Kampf für die Einhaltung der Klimaziele festzuhalten, erzeugt vor allem Ohnmacht und Frustration, zumal nur der Appell an Regierungen bleibt, die die Forderungen ignorieren. Viele in der Bewegung sehnen sich daher nach neuen Ansatzpunkten, auch lokalen, in denen es nicht nur um das große Ganze geht. So ist das Thema Wasser in den Vordergrund gerückt. Ein Vorbild ist die französische Bewegung Soulèvements de la Terre (Aufstände der Erde), die im letzten Jahr mit Massenprotesten gegen riesige Wasserbecken der Agrarindustrie bekannt wurde.
Die Klimabewegung schwenkt um auf Wasserkämpfe
Soulèvements de la Terre beteiligt sich in Frankreich an lokalen Protesten gegen Bodenversiegelung, Land- und Watergrabbing. Zu ihren Aktionsformen gehören aber auch Sabotageaktionen an umweltschädlicher Infrastruktur, die Gruppe selbst spricht von »Entwaffnungsaktionen«, weil in Wahrheit die attackierten Projekte das Leben bedrohten. Dieser Ansatz ist für viele in der Klimabewegung attraktiv, nicht nur wegen der integrierten Militanz. Die Orientierung auf »Wasser-« oder »Bodengerechtigkeit« ermögliche es, sich besser auf Protestbedingungen vor Ort einzulassen. Zugleich ergeben sich schnell grundsätzliche Fragen, etwa darüber, was die Gesellschaft produziert, wie knappe Ressourcen eingesetzt und verteilt werden sollen – und wer darüber entscheidet. Und der Tesla-Konzern, der in weltumspannende Liefer- und Ausbeutungsketten eingebunden ist, bietet viele Ansatzpunkte, um lokale mit globalen Fragen zu verknüpfen. Entsprechend bemühen sich die Aktivist*innen um internationale Vernetzung, es werden Betroffene aus dem globalen Süden eingeladen, Transparente mit de- und antikolonialen Forderungen sind zu sehen.
Und noch etwas fällt auf gegenüber früheren Mobilisierungen der Klimabewegung: der starke Bezug auf die Beschäftigten. In vielen Protestreden wird auf die schweren Arbeitsbedingungen bei Tesla hingewiesen und zu Solidarität aufgerufen, jedesmal quittiert von großem Applaus. Im Bündnis Tesla den Hahn abdrehen hat sich eine Ansprechgruppe gegründet, die mit Arbeiter*innen das Gespräch über die Forderungen der Tesla-Gegner*innen sucht. Und als die Liste der IG Metall im März in den Betriebsrat einzog, zogen Aktivist*innen zum Gewerkschaftsbüro am Bahnhof Fangschleuse und überbrachten Glückwünsche.
Während der Protesttage ist das Gewerkschaftsbüro allerdings geschlossen, Beschäftigte oder IG-Metall-Fahnen sucht man bei den Demos vergebens. Ersteres mag daran liegen, dass das Unternehmen die Proteste nutzte, um das Werk für vier Tage zu schließen. Möglich, dass die Unterbrechung angesichts der Absatzflaute, mit der Tesla derzeit kämpft, gar nicht ungelegen kam. Von den globalen Stellenstreichungen im Unternehmen ist auch Grünheide betroffen, 300 Leiharbeiter*innen und 400 Stammbeschäftigten wurde in den letzten Wochen gekündigt. Es gibt aber, trotz aller Solidaritätsbekundungen, auch einen Interessenkonflikt. Die Protestierenden kämpfen gegen den Ausbau, die IG Metall ist dafür.
»Solidarität mit den Arbeiter*innen!«
Bisher sind beide Seiten bemüht, diesen Gegensatz nicht in den Vordergrund zu rücken und lieber Gemeinsamkeiten zu betonen: bessere Arbeitsrechte, mehr Geld, mehr Arbeitsschutz, da sind alle dafür. Die IG Metall hat schon mit diesen Anliegen alle Hände voll zu tun in der Fabrik des erklärten Gewerkschaftsfeindes Musk. Bei Tesla herrscht ein strenges Regiment, die Arbeitsbedingungen sind hart, schwere Unfälle häufig, einen Tarifvertrag lehnt Tesla ab. Angesichts dessen sind die 40 Prozent, die die IG-Metall-Liste bei den Betriebsratswahlen im März einheimste, ein Erfolg. Zumal der Wahlkampf durch den Produktionsstopp infolge eines Anschlages auf die Stromversorgung kurz vor der Betriebsratswahl ebenfalls pausieren musste.
Als die IG Metall im März in den Betriebsrat einzog, zogen Aktivist*innen zum Gewerkschaftsbüro am Bahnhof Fangschleuse und überbrachten Glückwünsche.
Viele Beschäftigte nehmen den Umweltprotest eher mit Staunen oder Befremden zur Kenntnis, den Eindruck gewinnt man zumindest beim Schichtwechsel am Bahnhof Fangschleuse, wo die Tesla-Gegner*innen eine Mahnwache abhalten, an der an normalen Arbeitstagen viele Arbeiter*innen vorbeikommen. Die Kluft zwischen den Lebensrealitäten der weitgehend migrantischen Tesla-Arbeiter*innen und der ebenso weitgehend weißen, akademisch geprägten Aktivist*innen ist schwer zu leugnen.
Für die Tesla-Gegner*innen ist also noch einiges zu tun, wenn sie die Arbeiter*innen und die Gewerkschaften auf ihre Seite ziehen wollen. Bei Tesla den Hahn abdrehen gibt man sich optimistisch. »Es ist nicht unbedingt so, dass alle Arbeiter*innen die Haltung der Gewerkschaft zum Ausbau teilen«, sagt Bündnissprecherin Karolina Drzewo. Was die Klimakrise angeht, sei die IG Metall noch nicht ganz auf der Höhe der Zeit, aber das könne sich ja ändern. »Es würde sie stärken, wenn sie über die sozialökologische Transformation nachdenken würde, statt an etwas festzuhalten, was keine Zukunft hat«, ist Drzewo überzeugt. Ole Becker von Disrupt ergänzt: »In so einem Werk könnte man auch Dinge herstellen, die wir für eine echte Verkehrswende brauchen, Elektrobusse zum Beispiel.«
Wie die Annäherung zwischen »drinnen« und »draußen« gelingen kann, ist nicht die einzige Herausforderung, vor der der Tesla-Protest steht. Durch den Beschluss des Gemeinderates rücken der Verkauf des Geländes und die Rodungen näher. Bündnissprecherin Karolina Drzewo sieht trotzdem Optionen: »Wir sind nun schon geübt, hier massenhaften Protest zu organisieren. Wir werden weitermachen.« Von der Missachtung des Bürger*innenvotums sind die Aktiven enttäuscht, aber nicht entmutigt, mit der Entscheidung hatten sie gerechnet. »Gerade in einer Region, wo schon viel Politikverdrossenheit herrscht, ist so etwas trotzdem fatal«, sagt Karolina Drzewo. Bei den Kommunalwahlen im Juni werde die AfD profitieren, die sich als einzige Partei im Ort gegen die Werkserweiterung ausspricht. Die Initiative will nun vor Gericht ziehen, außerdem Tesla-kritische Kandidat*innen – außer solche von der AfD – bei den Kommunalwahlen unterstützen – und weiter Widerstand organisieren.
Und die Bewohner*innen des Ortes, wie sind sie auf die Ereignisse zu sprechen? Während der Aktionen in Grünheide waren auch skeptische Blicke zu sehen, manche Anwohner*innen fragen sich, ob Protestcamps, Polizei und Straßensperrungen nun ihr Normalzustand werden. Das Disrupt-Netzwerk erklärte im Anschluss an die Tage in einer Videobotschaft, die Polizei habe die Straßensperrungen künstlich in die Länge gezogen; auch die vorübergehende Einschränkung des Zugverkehrs sei das Werk der Polizei, von den Aktivist*innen habe sich, anders als die Polizei behauptet, zu keinem Zeitpunkt jemand auf den Bahngleisen befunden. Steffen Schorcht von der Bürgerinitiative sagt: »Natürlich gab es Einschnitte. Was ist eine Giga Factory gegen eine Halbtagessperrung der Anwohnerstraßen? Da sind die Relationen doch klar, und damit ist auch klar, auf welcher Seite wir stehen.«