Ich wollte nur frei sein
Erinnerungen einer Auschwitz-Überlebenden zur Befreiung
Von Esther Bejarano
Unsere Befreiung war im Mai 1945. Ich bin auf dem Todesmarsch gelaufen, wir waren sieben Mädchen, sind gelaufen, gelaufen, gelaufen, bis wir in das Städtchen Lübz kamen. Dort sind wir auf US-amerikanische und russische Soldaten getroffen. Wir wussten nicht, ob der Krieg vorbei ist oder nicht. Soldaten der Roten Armee kamen dann und sagten: Hitler ist tot. Amerikaner und Russen haben sich umarmt und geküsst und haben gerufen: Der Krieg ist aus! Das war meine Befreiung.
Ich habe mir nicht vorgestellt zu diesem Zeitpunkt, wie die künftige Gesellschaft aussehen sollte, ich wollte nur frei sein, wollte nicht mehr in Deutschland bleiben und auswandern.
Amerikanische Soldaten haben uns damals gesagt, dass es ein Displaced-Person-Camp in Bergen-Belsen gebe, das war ziemlich weit entfernt von Lübz, wir wollten dennoch versuchen, dorthin zu kommen und von da aus nach Palästina auszuwandern. Wir sind gelaufen, gelaufen, gelaufen, Autos, Busse oder Züge gab es nicht, alles war lahmgelegt, also mussten wir alles zu Fuß gehen. Manchmal haben uns Amerikaner oder Russen ein Stück mitgenommen.
Der 27. Januar ist der Tag der Befreiung von Auschwitz, aber im Grunde ist es nicht der Tag der Befreiung der Menschen, die dort inhaftiert waren. In Auschwitz blieben ja nur diejenigen, die so todkrank waren, dass sie nicht mehr laufen konnten. Diese Menschen wurden am 27. Januar 1945 befreit. Alle anderen sind auf Todesmärsche oder in andere Konzentrationslager geschickt worden. Für mich war der 27. Januar also noch keine Befreiung, das war später, im Mai.
Ich habe die Befürchtung, dass, wenn es so weitergeht, dass es dann wieder einen Faschismus gibt.
Was soll man sagen auf die Frage, was die Erinnerung an Auschwitz in der heutigen Zeit bedeutet? Ich habe die Befürchtung, dass, wenn es so weitergeht, wenn noch mehr Nazis herumlaufen in Deutschland, in Europa, in Amerika, dass es dann wieder einen Faschismus gibt. Wie würde der aussehen? Ich weiß es, weil ich es erlebt habe.
Nach der Befreiung im Jahr 1945 hat Konrad Adenauer Nazis wieder in die Regierung geholt, viele sind auch ins Ausland geflüchtet, damit man sie für ihre Taten, für ihre Verbrechen nicht belangen konnte. Aufklärung gab es nicht, niemand wollte etwas erzählen, die Menschen haben geschwiegen. Das war ein großer Fehler. Auch deswegen gibt es heute wieder so viele Nazis.
Ich kann nur hoffen, dass wir das in den Griff bekomme. Ich möchte, dass Menschen aufstehen, nicht mehr schweigen und sich gegen die neuen Faschisten auflehnen. Das ist das Allerwichtigste.
Von der Regierung haben wir nicht viel zu erwarten. Sie bezieht sich immer wieder auf die Meinungsfreiheit, darauf, dass jeder sagen dürfe, was er wolle, statt sich klar und deutlich und rechtzeitig gegen die neuen Nazis zu positionieren und ihr Treiben zu unterbinden. Das werfe ich der Regierung vor.
Man muss indes froh sein, dass es Antifaschismus gibt. Unmöglich sind die Anschuldigungen und die Kritik, die sich gegenwärtig gegen »die Antifa« richtet. Wer soll das eigentlich sein, »die Antifa«? Antifaschistinnen und Antifaschisten sind diejenigen, die etwas tun gegen die Nazis, die wieder auf unseren Straßen herumlaufen. Antifaschismus brauchen wir – unbedingt. Er ist für mich das Wichtigste, was wir momentan haben. Denn ich habe erlebt, was kommen wird, wenn die Nazis die Oberhand bekommen.