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|ak 704 | Ökologie

»Wir haben eine Null-Toleranz-Politik für neue fossile Projekte«

Teddy Ogborn von der US-Gruppe Climate Defiance über Aktivismus im Zeichen des aufkommenden Faschismus

Interview: Nico Graack

Ein junger Mann (Teddy Ogborn) wird von Polizisten in Gewahrsam genommen.
Teddy Ogborn während einer Blockadeaktion in Manhattan. Foto: Planet over Profit

Ende letzten Jahres änderten die Klimaaktivist*innen der Letzten Generation ihre Strategie: Sie wollen sich von nun an auch an einer neuen US-amerikanischen Gruppe orientieren, die Vorstandsvorsitzende von fossilen Konzernen und Politiker*innen von Bühnen jagt: Climate Defiances. Doch was genau wollen die Aktivist*innen, die seit März letzten Jahres unter diesem Namen aktiv sind?

Darren Woods, der Vorstandsvorsitzende des größten US-amerikanischen Öl- und Gasunternehmens ExxonMobil, sollte im Dezember den STEM-Leadership-Award bekommen. Ihr wart da und habt seine Rede verhindert, indem ihr mit einem »Eat shit, Darren!«-Banner auf die Bühne kamt. Du hast den gut betuchten Anwesenden zugerufen: »Darren Woods ist ein Klimaverbrecher!« Das Video davon wurde weit über fünf Millionen Mal auf X geklickt. Wie kamst du auf diese Bühne?

Teddy Ogborn: Bevor ich mich der Klimabewegung anschloss, hatte ich echte Klimaangst. Ich lag paralysiert im Bett und wusste weder ein noch aus. Ausreichend wissenschaftliche Publikationen machen deutlich: Wir sind am Arsch, und unsere Regierung macht bei Weitem nicht genug. Wir haben keinen »Klimapräsidenten«. Für junge Leute interessiert sich Joe Biden nur als Faktor der Wahldemografie. Und wenn man Leute fragt, was man tun kann, dann reden sie von Strohhalmen aus Papier. Also habe ich »Klimaaktivismus New York City« gegoogelt. Über einige Stationen wie Extinction Rebellion bin ich bei Climate Defiance gelandet – auch, um dann so Arschlöcher wie Darren Woods von der Bühne zu jagen.

Worauf zielt ihr ab, wenn ihr mit einer so deutlichen Sprache auf die Bühne kommt?

Unsere Forderung ist einfach: der vollständige und sofortige Ausstieg aus den fossilen Rohstoffen. Bei jeder Aktion ist der Adressat die Öffentlichkeit. Und die Leute wollen das sehen. Es ist eine riesige Genugtuung, diese elitären, kritikfreien Räume aufzumischen. Ein paar junge Klimaaktivist*innen schaffen es, sich mit ein bisschen Schick-Machen da rein zu schleichen und dem ganzen Pomp die Maske herunterzureißen.

Was für einen Effekt erhofft ihr euch von dieser Message?

Sie funktioniert in dreierlei Hinsicht: Erstens verschieben wir das »Overton window« – also den Raum dessen, was sag- und denkbar ist. Zweitens üben wir enormen Druck auf diese Menschen aus, die sich nirgendwo mehr sicher fühlen können. Und auch die Veranstalter*innen solcher Events müssen zweimal überlegen, wen sie einladen. Drittens haben wir einen riesigen Zulauf an neuen Leuten, die sagen: »Hey, ich hab dieses Video gesehen. Ich will auch sowas machen!« 

Teddy Ogborn

ist 26 Jahre alt, lebt in New York City und ist der regionale Koordinator und Medienspezialist von Climate Defiance. Daneben ist er mit Planet over Profit aktiv.

Und die Leute im Raum?

Nun, das kommt darauf an. Wenn es um den CEO von ExxonMobil geht: Seine ganze Existenz besteht darin, die Gewinne aus der Förderung fossiler Brennstoffe zu maximieren und noch mehr zu verbrennen. Wir werden ihn nicht umstimmen. Genauso wenig wie sein Publikum. Und das ist der Grund, warum wir die Seriosität bei dieser Aktion mit dem »Eat shit Darren!«-Banner in den Wind geschlagen haben. Er ist niemand, den man respektieren muss. Ohne Übertreibung: Er trägt die Verantwortung für Millionen von Toten.

In der Zeitschrift Rolling Stone wurde eure Taktik als die »Kunst des Unbehagens« beschrieben. Aber gibt es nicht auf Seiten der Leute, die ihr ins Visier nehmt, eine riesige Schamlosigkeit? Ich denke etwa an den Immobilienmagnaten Bruce Perceley, der sagte: »I don’t mind if you die!« 

Menschen, die bereit sind, Millionen von Menschenleben für einen zusätzlichen Dollar zu opfern, sind in der Tat schamlos. Sie sind schamlos auf die übelste und rassistischste Art, die ich mir vorstellen kann, und wir werden sie nicht ändern. Aber die »Kunst des Unbehagens« wirkt trotzdem. Ich habe das Video zur Aktion gegen Brian Moynihan bearbeitet, den CEO der Bank of America. Und das war ein Riesenspaß. Er ist tatsächlich sprachlos. Er bewegt irgendwie seine Lippen, als wollte er etwas sagen, aber ihm fällt nichts ein. Seine Hände sind fest zusammengepresst und er dreht seine Daumen. Dann rennt er die Treppe runter und versteckt sich in einem Büro. Der Punkt ist natürlich nicht nur, ihn zu demütigen. Es ist dieser fesselnde Moment der physischen Schwäche im Angesicht der Macht von Menschen, die sich erheben. Das bewegt die Menschen und zeigt ihnen, dass diese Verbrecher nicht unangreifbar sind. 

Einige Menschen empfinden das eher als hysterisch und irrational. Der Veranstalter bei der Aktion gegen Moynihan schlug auch in diese Kerbe und gab in einer Pressemitteilung zu verstehen, dass dieser Tag für einen konstruktiven Diskurs gedacht war, dem sich einige Störenfriede leider verweigerten. Ist das nicht eine Gefahr für eure Strategie? 

Das ist keine Gefahr, das ist unsere Strategie! Wir stellen das ganze Konzept der Hysterie auf den Kopf. Oft starten wir unsere Aktionen mit einer einfachen Frage: »Werden Sie sich dazu verpflichten, aus fossilen Energien oder der Zusammenarbeit mit fossilen Unternehmen auszusteigen?« Darauf hin brechen sie in Panik aus und fordern uns auf, uns doch bitte wieder hinzusetzen. Die Menschen beginnen zu verstehen, dass es irrational ist, über den Beitrag dieser Leute zur Gesellschaft zu reden, ohne über ihren Beitrag zur Apokalypse zu sprechen. Und die Zahlen sprechen für sich: Über uns wird zunehmend berichtet, unsere Mitgliedschaft wächst.

Aber bietet ihr den Rechten nicht eine gute Angriffsfläche, indem ihr mit euren Aktionen das Narrativ des nutzlosen, hysterischen Aktivismus bedient?

Ich denke, dass wir eine der bevorzugten Angriffsflächen in dieser Konfrontation vermeiden: Die US-Rechte kann uns nicht als Agent*innen der Demokraten darstellen. Unsere Aktionen richten sich neben Akteur*innen in der fossilen Industrie vor allem gegen jene, die sich als Vorkämpfer*innen für das Klima darstellen wollen – und das sind meist Demokraten. Biden bezeichnet sich selbst als »Klimapräsidenten«. Dazu eine lustige Anekdote von vor ein paar Tagen: Hillary Clinton hat eine Grafik gepostet, die Projektionen für die zu erwartenden CO2-Emissionen im Falle einer Trump- und einer Biden-Präsidentschaft zeigt. Dies sollte ein Pro-Biden-Post sein: Bidens Linie ist etwas niedriger. Zugleich ist da eine Ziellinie für 2050 – keiner von beiden kommt auch nur in ihre Nähe. Vier Milliarden Tonnen weniger Kohlenstoff unter Biden – na und? In 50 bis 80 Jahren haben wir trotzdem keinen bewohnbaren Planeten. Das Beste, was uns die Demokraten anzubieten haben, ist immer noch die Apokalypse.

Das Beste, was uns die Demokraten anzubieten haben, ist immer noch die Apokalypse.

Manche halten diese Strategie angesichts der Aussicht auf Faschismus für gefährlich. Darf man auf den liberal-progressiven Kräften rumhacken, mit denen man zumindest noch kleine Fortschritte aushandeln kann? Ich denke da an die deutschen Grünen. Die Klimabewegung traut sich nicht richtig, sie ins Visier zu nehmen und trägt die schwierigen Kompromisse zugunsten kleiner Erfolge mit. 

In einem gewissen Sinne wollen wir ja das Beste aus der Situation machen! Wir sind keine »Alles anstecken und dann beim Brennen zuschauen«-Aktivist*innen. Uns ist klar, dass eine Trump-Präsidentschaft eine Katastrophe wäre. Wenn es eine andere Wahloption gäbe, die unser Zweiparteiensystem nicht ausschaltet, würde ich auf diese setzen. Aber wir haben nur Biden. Also müssen wir ihn zu dem Klimapräsidenten machen, den wir brauchen. Für den kurzfristigen Ausstieg aus fossilen Energien braucht es konstanten Druck auf die Menschen an der Macht – und unsere Strategie trägt Früchte.

Welche?

Vor kurzem hat die Biden-Administration überraschend angekündigt, alle neuen LNG-Exporte zu stoppen. Das ist natürlich auch der Verdienst der mutigen Menschen an den Frontlinien in den Förder- und Exportregionen wie dem Vessel Project of Louisiana, mit denen wir auch zusammengearbeitet haben. In der Pressemitteilung des Weißen Hauses werden auch wir unter den Stimmen genannt, die das begrüßen. Der Präsident redet von uns. Auch bei der kürzlichen Entscheidung, mehrere Millionen Hektar arktische Wildnis in Alaska unter Schutz zu stellen, zitierte die New York Times Biden mit den Worten, er sei überrascht von der Wut einiger Klimaaktivist*innen – mit einem Foto einer unserer Aktionen. 

Vor kurzem wurdet ihr von der Biden-Administration eingeladen, mit John Podesta zu sprechen – dem leitenden Berater Bidens für saubere Energien. Auch Fridays for Future sprachen mit hohen Regierungsfunktionär*innen. Was wollt ihr anders machen? 

Wenn wir einen Platz am Tisch angeboten bekommen, ziehen wir einen Stuhl ran – aber wir machen unmissverständlich klar, dass wir uns nicht mit diesen Leuten anfreunden. Wir haben eine Null-Toleranz-Politik für neue fossile Projekte. Und das bedeutet, dass wir keinen Millimeter nachgeben werden, wenn uns jemand sagt »Oh, wir sind in einer Übergangsphase und werden hoffentlich bis 2050 bei netto null sein«. Wir machen klar, dass wir auch weiterhin unerbittlich die Regierung in einem Wahljahr unter Druck setzen. Wenn sie das nicht wollen, können sie ja ernsthafte Zugeständnisse an die Klimabewegung machen. 

Die deutsche Letzte Generation will sich an euren Aktionen orientieren. Was würdest du ihr mit auf den Weg geben? 

Davon habe ich gehört und fand es so cool! Wenn ich meinen Freunden in Deutschland etwas zu sagen hätte, dann wäre es schlicht: Danke für das, was ihr tut! Ich freue mich darauf, mehr zu sehen. Ich möchte weiter zusammenarbeiten und global kooperieren. 

Du hast die Schamlosigkeit der fossilen Größen »rassistisch« genannt. Ist die Bewegung, von der du sprichst, nicht ziemlich weiß für eine »globale«?

Ich sehe mich als Teil einer globalen Bewegung, die weit mehr als die USA und Deutschland umfasst. Diese Machtzentren sind es, die überall auf dem Planeten Menschen ermorden. Es ist daher vor allem auch unsere Pflicht, hier gegen sie vorzugehen. Wir haben die Privilegien, uns in die Schusslinie zu bringen. Es ist witzig: Wenn wir dort auf diesen Elite-Veranstaltungen auftauchen – weiße, junge Menschen – dann denken die natürlicherweise, wir gehören zu ihnen. 

Nico Graack

ist freier Autor und Philosoph. Er arbeitet am Institut für Philosophie, Psychoanalyse und Kulturwissenschaften in Berlin und engagiert sich in verschiedenen Klimakontexten.